Freundschaft:Zwei Frauen, ein Mann

Antje und Katharina

Marlene und Sarah haben herausgefunden, dass sie zeitgleich mit dem selben Mann eine Beziehung geführt haben. Heute sind sie gute Freundinnen und haben zeitweise auch zusammen gewohnt.

(Foto: Hanna Lenz)

Ohne es zu wissen, hatten Marlene und Sarah den gleichen Freund. Zur gleichen Zeit. Und trotzdem wurden die beiden zu Freundinnen. Protokolle einer ungewöhnlichen Freundschaft.

Protokolle von Anne Backhaus

Marlene*

Ich hatte mal ein Foto von ihr auf Facebook in seiner Freundesliste gesehen. Da war aber nur der Hinterkopf drauf, ihre blonde Mähne im Wind. Als sie dann vor mir saß, wusste ich sofort, dass sie es ist, die Frau, mit der er wahrscheinlich auch etwas hatte. Keine Ahnung, warum ich mir da so sicher war. Es war mitten in der Nacht, eine Bar in Hamburg, in der ich meinen 29. Geburtstag feierte. Und da war sie, Sarah. Es hat mich einfach zu ihr hingezogen, ich hatte keinen Plan. Ich sagte: "Ich glaube, wir haben einen gemeinsamen Freund und müssen reden."

Dieser Freund, das war mein Ex. Ich hatte mich einige Wochen zuvor von Simon getrennt, wir waren etwas über ein Jahr zusammen. Ein hübscher Mann, Mitte 30, Sänger, sehr offen und nett. Es war schön mit ihm, aber es gab immer wieder merkwürdige Zwischenfälle.

Zum Beispiel setzte ich ihn oft bei seinen Freunden vor der Tür ab, lernte aber nie einen von ihnen kennen. Einmal habe ich ihn spontan zu Hause besucht, da ist er total ausgeflippt. Als ich sagte, dass er wirkt, als würde er etwas verheimlichen, meinte er, ich litt unter Verfolgungswahn und könne nicht klar denken. Irgendwann meinte er, ich solle in Therapie gehen, weil ich so misstrauisch sei.

"Wir haben uns sofort unglaublich gut verstanden"

Ich weiß nicht, warum ich mir das derart lange habe gefallen lassen. Warum ich mich selbst viel mehr hinterfragte als ihn. Manchmal dachte ich schon selbst, ich spinne. Dann traf ich Sarah. "Simon kenne ich, klar. Das ist mein Freund," sagte sie. Seit einem knappen Jahr seien sie zusammen. Mir wurde ein bisschen schlecht, aber ich war nicht wütend auf sie. Es war seltsam, wir haben uns sofort unglaublich gut verstanden.

In dieser Nacht sagte ich ihr, dass wir uns im vergangenen Jahr einen Mann geteilt haben. Für sie ist da eine Welt zusammengebrochen. Ich war schon etwas weiter von ihm weg und kam besser damit klar. Trotzdem hat es mich natürlich mitgenommen, wie sehr er mich angelogen hatte. Sarah und ich haben stundenlang geredet. "Wo wohnst du?" fragte ich. Sie nannte die Straße, in der ich ihn immer bei seinen Freunden abgesetzt hatte. "Ach, du bist der blaue Mercedes!" rief sie. Seine Ankunft mit mir hatte sie ein paar Mal oben vom Fenster aus gesehen, aber er verriet ihr natürlich nie, wer das Auto fuhr.

In den Wochen nach unserem ersten Treffen habe ich Sarah jeden Tag gesehen, oft auch nachts. Wir haben all die Monate mit Simon akribisch abgeglichen und uns dabei gegenseitig Halt gegeben. Es war fast so, als würden wir gemeinsam ein gigantisches Puzzle lösen. Mir hat das gut getan. Sarah war die Bestätigung dafür, dass ich nicht krankhaft eifersüchtig und irre bin. Sie war die Einzige, die mir helfen konnte, endlich dieses ungute Gefühl loszuwerden.

Das Ganze war ja schwer zu fassen. Wir hatten zum Beispiel beide unseren Kram bei ihm im Badezimmer stehen, aber nie den der anderen gesehen. Er muss also jedes Mal vor und nach unseren Besuchen die Cremes, Haarbürsten und Duschgele ausgetauscht haben. Er hat auch bei uns beiden übernachtet, so oft, dass wir nie auf die Idee gekommen wären, er hätte überhaupt Zeit für eine andere Frau. Nur über den Sex zu reden, den wir mit ihm hatten, das war irgendwie komisch. Als wären wir plötzlich Konkurrentinnen.

"Sie ist inzwischen wie eine Schwester"

Weil Sarah aus ihrer WG ausziehen musste, schlüpfte sie bei mir unter. Aus ein paar geplanten Wochen auf meinem Sofa wurden anderthalb Jahre. Wir sind uns total ähnlich, deswegen mögen wir uns wohl so sehr. Und deswegen mochte er vermutlich auch uns beide. Obwohl meine Wohnung klein ist und wir immer aufeinander hockten, gab es nie ein ernsthaftes Problem. Ganz im Gegenteil.

Über drei Jahre ist unser erstes Treffen nun her. Ohne Sarah wäre mein Leben ziemlich leer, ich hatte vor ihr noch nie eine beste Freundin. Diese tiefe Verbundenheit mit ihr ist etwas Besonderes für mich. Sie ist inzwischen wie eine Schwester. So ein Ereignis schweißt eben zusammen. Zumindest, wenn man damit umgeht, wie wir das gemacht haben.

Letztes Jahr im Mai fiel uns plötzlich auf, dass Simon an dem Tag Geburtstag hat. Wir haben beide keinen Kontakt mehr zu ihm, trotzdem haben wir ihm per SMS gratuliert und uns bedankt, dass er uns zusammengebracht hat. "Gerne geschehen", schrieb er zurück. Wir mussten sehr darüber lachen.

Sarahs Sicht: "Natürlich ist nicht immer alles gut"

Sarah*

Hätten wir uns zwei Monate früher kennengelernt, wären wir heute wahrscheinlich nicht befreundet. Vielleicht hätten wir uns gehasst und für immer verpasst. Zum Glück trafen wir uns aber zum ersten Mal, als Marlene sich schon von Simon getrennt hatte. Ich war noch mit ihm zusammen, aber die Beziehung ging dem Ende zu. Dabei war er eigentlich so ein toller Mann.

Wir haben uns beide für Mathematik interessiert, zusammen Musik gemacht, der Sex war fantastisch und er hat überlegt, wie unsere Kinder heißen sollen. Als Frau Mitte 30 schlägt das natürlich voll ein. Es gab keinen Grund, auf komische Ideen zu kommen. Ich war verliebt. Ich dachte, das sei eine normale Beziehung und wir würden eine Familie gründen.

Als Marlene mich in einer Bar ansprach, hatte ich diesen Gedanken schon fast aufgegeben. Er war seit einigen Monaten extrem eifersüchtig. Hatte ich zum Beispiel ein Kleid an, das ihm gefiel, hat er mir erst ein Kompliment gemacht und mich dann kurz darauf beschuldigt, es nur zu tragen, um andere Männer kennenzulernen. Ich war ganz perplex in solchen Situationen. Umgekehrt durfte ich ihn nach gar nichts fragen. Er hatte ein echtes Talent dafür, mir permanent ein schlechtes Gewissen zu machen. Das ging an meine Substanz. Und an die meiner Gefühle.

"Im Film würden sich die Frauen an den Haaren ziehen"

Diese erste Unterhaltung mit Marlene in der Bar konnte ich nur zulassen, weil die Liebe zu Simon schon Risse hatte. Und weil sie seit einiger Zeit von ihm getrennt war, konnte sie das Gespräch mit mir suchen. "Ich glaube, wir haben einen gemeinsamen Freund und müssen reden." Diesen Satz werde ich vermutlich nie vergessen.

Wir haben an diesem Abend viel Rotwein getrunken. Im Film würden sich Frauen, die herausfinden, dass sie sich ungewollt einen Mann geteilt haben, anschreien und an den Haaren ziehen. Es klingt also vielleicht merkwürdig, aber ich war irgendwie erleichtert. Plötzlich war ich nicht mehr die Einzige, mit der er so schlecht umgegangen ist. Trotzdem war es natürlich ein Schock. Er hat jeder von uns einfach nur das Leben vorgespielt, nach dem sie sich gesehnt hat.

Ich bin richtig auf ihn hereingefallen und habe eine ganze Weile gebraucht, um mich wieder auf die Reihe zu kriegen. Dieses Glück, von dem ich dachte, ich hätte es gefunden, ist rückblickend Stück für Stück zersprungen. Das war hart. Er hat mich so respektlos behandelt, mein Selbstvertrauen völlig erschüttert.

Ich war immer eine Frau, die Männern ihre Freiheit gelassen hat. Einfach, weil ich das für mich genauso möchte. Lerne ich jetzt jemanden kennen und er sagt, er hat morgen keine Zeit, weil er zum Sport geht, dann frage ich mich schon, ob das wohl stimmt. Da ist etwas kaputt gegangen.

Ohne Marlene hätte ich vielleicht nie von dem Betrug erfahren, aber ohne sie wäre ich auch nicht die Person, die ich heute bin. Das ist schon eine sehr spezielle und intensive Erfahrung, nicht nur mit dem gleichen Mann zusammen gewesen zu sein, sondern das auch noch zur gleichen Zeit. Wenn man auf diese Weise zu Freundinnen wird, kann man sich alles von der Seele reden. Die andere weiß immer genau, was du meinst. Schließlich hat sie ihn genau so erlebt wie man selbst.

"Ihre Mutter hatte Angst, dass wir beide ein Paar sind"

Marlene ist Familie für mich. Etwas, wovon ich sonst nicht viel habe. Wir haben keine Geheimnisse voreinander, den Punkt haben wir gleich zu Beginn unserer Freundschaft übersprungen. Ich muss vor ihr nichts verstecken und kann genauso sein, wie ich mich fühle.

Natürlich ist nicht immer alles gut, aber das gehört dazu. Aber sogar dann können wir sehr ehrlich miteinander sein. "Sarah, ich brauche jetzt Zeit für mich." "Marlene, du nervst mich gerade tierisch." Geht alles.

Inzwischen ist Marlene neu verliebt, sie und ihr Freund erwarten ein Baby. Viele haben gefragt, wie sich das für mich anfühlt, weil wir uns eben so nahe stehen und jetzt auch andere Menschen wichtig für sie sind. Ich freue mich darüber. Sogar ihre Mutter ist nun viel netter zu mir, die hatte immer Angst, dass wir beide eigentlich ein Paar sind. Zwei Frauen, so eng und immer zusammen, der Gedanke liegt halt nahe.

Ich hoffe, irgendwann einen Mann zu treffen, mit dem ich mich wohlfühle und dem ich vertrauen kann. Aber ich bin da entspannt, schließlich bin ich nicht allein.

* beide Namen geändert

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