Freizeitkicker gegen FC Bayern:Das Spiel seines Lebens

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Zwei Freizeitkicker der Paulaner-Traumelf jagen Bayern-Star Franck Ribery.  (Foto: dpa)

Ein Mal im Jahr dürfen Fans gegen den FC Bayern München kicken. Diesmal haben sich mehr als 19.000 Männer beworben, auf 26 Plätze. Sebastian Struller gehört zu den Glücklichen, die in Arco am Gardasee schließlich mit Müller, Lahm und Ribéry auflaufen.

Von Harald Hordych

Es ist der Vorabend des großen Spiels, im Restaurant an der Hafenpromenade von Riva del Garda sind die Tische festlich eingedeckt. Die 29 Spieler haben gerade das Abendtraining absolviert, sie sind sehr hungrig. Gleich kommt die Vorspeise. Vor der Vorspeise kommt die schlechte Nachricht. "Jungs", sagt einer der Organisatoren, "wir haben alles versucht." Er blickt einen Moment lang schweigend in die Runde. Alle blicken gebannt zurück.

Was passiert jetzt? Es klingt nach: Bayern München hat abgesagt, Guardiola geht ins kubanische Exil. Und nach dem Essen fahren wir zurück nach München.

Stattdessen sagt der Mann zerknirscht: "Es tut mir wahnsinnig leid, aber es wird definitiv keinen Trikottausch geben."

Frauen durften sich nicht bewerben

Oooch, das ist alles? Kein Trikottausch? Der Reporter, der mitten unter den Spieler sitzt, der von Anfang an dabei war und diese wackeren Burschen, die weder hartes Auswahltraining noch Casting vor Fernsehkameras aufhalten konnte, mittlerweile ganz gut kennt, widmet sich entspannt seinem Getränk, blickt dann auf - und sieht in viele enttäuschte, ja traurige Gesichter. Auch Sebastian Struller, 23, aus Weißenburg in Mittelfranken, schaut so ernst wie selten drein. Sein Blick sagt: Katastrophe.

Kein schweißgetränktes Trikot von Ribéry oder Shaqiri!

Dies ist die Geschichte eines seltsamen Fußballspiels. Für die eine Mannschaft ist es eine Pflichtübung. Für die andere ist es der Höhepunkt des Fußballerlebens. Fans bekommen beim "Cup des Südens" die Möglichkeit, sich mit den besten Spielern der derzeit wohl besten Klubmannschaft der Welt zu messen. Sie treten in einer live übertragenen Partie gegen Spieler an, die bei der Wahl des Weltfußballers als Mitfavoriten genannt werden: Philipp Lahm, Franck Ribéry, Thomas Müller. Deshalb heißt ihre Mannschaft "Paulaner Traumelf".

Möglich macht dies einer der Sponsoren des FC Bayern München, der sich pro Saison ein Spiel gesichert hat. Audi holt für den Audi-Cup den AC Mailand. Die Bierbrauer setzen zum dritten Mal seit 2011 auf das aus ihrer Sicht höchste Maß an Volksnähe. 19 208 Männer haben sich beworben. Frauen haben sich beschwert, weil sie sich nicht bewerben durften. Aber Männer und Frauen dürfen nicht zusammen spielen, basta. Auch im Zukunftsmarkt China lief in einem sozialen Netzwerk ein Casting. Der 29-jährige Steuerbeamte Jiaping Cao hat sich unter 1200 Bewerbern durchgesetzt.

In diesem Zimmer lässt sich ein ganzes Fußballerleben ablesen

19 000 Bewerber in Europa, 1200 in China? Das ist ein Wahnsinn, eigentlich. Um zu verstehen, wie weit der Fußball mittlerweile in das Leben der Fans hinreicht, muss diese Geschichte lange vor dem Anpfiff im Campo Sportivo in Arco beginnen, im Zimmer von Sebastian Struller.

In diesem Zimmer lässt sich ein ganzes Fußballerleben ablesen, das jetzt schon 19 Jahre dauert, obwohl Struller erst 23 Jahre alt ist. Beim TSV Weißenburg spielt er als Innenverteidiger in der Kreisliga. Er ist ein offener und sympathischer junger Mann, der ein abgeschlossenes Bachelorstudium in Betriebswirtschaft hat. Er wohnt unterm Dach in seinem Elternhaus, in dem auch die Metzgerei des Vaters untergebracht ist.

In Sebastian Strullers Zimmer stehen auf Schränken und Regalen, wie mit der Wasserwaage ausgerichtet, viele von den Fußballschuhen, die er in seinem Leben getragen hat. Die ersten sind verloren gegangen, das ärgert ihn, aber die, die er als Achtjähriger trug, werden blank geputzt präsentiert, neben mindestens zehn anderen, die so glänzen, als habe er sie gerade gekauft. "Ich kann keine Fußballschuhe wegschmeißen, das schaff ich nicht", sagt er und öffnet ein zweiflügeligen Regalschrank. Darin: alle Medaillen, die er jemals gewonnen hat, alle Pokale, alle Auszeichnungen, seitdem er laufen kann. "Der Fußball geht in meinem Leben schon klar vor", sagt Struller.

Es klingt wie: Das Leben ist nun mal die schönste Nebensache der Welt. Zu den Hauptsachen gehört seit seinem vierten Lebensjahr der FC Bayern München.

Sebastian Struller besitzt 17 verschiedene FCB-Trikots. Teilweise Original-Trikots mit Original-Unterschriften. Aber es ist eben noch keins darunter, das aus einem Spiel stammt, in dem er selbst gegen seine Idole gespielt hat. Auf dem Teppich liegen nicht weniger als drei Fußbälle.

Man kann sich ausmalen, wie er hier immer wieder für das Casting geübt hat. Während auf seiner Stirn einen Ball auf einer Flasche jonglierte, füllte er ein Glas mit Weißbier. Und man kann sich auch ausmalen, warum bei Spielen der deutschen Nationalelf allein in Berlin 400 000 Menschen zur Straße des 17. Juni kommen und warum der Deutsche Fußballbund mehr Mitglieder hat als manches EU-Land Einwohner.

Ball, Bayern, Ballgefühl

In das Casting für die Traumelf drei Wochen zuvor in München hatten es 80 Spieler geschafft. Viele von ihnen sind kaum älter als 20. An zwei Tagen absolvieren sie Fußballübungen, die helfen sollen, ihre Stärken zu erkennen, sowie ein Fernsehcasting vor einer Jury, der auch Fußballweltmeister Paul Breitner und TV-Moderator Waldemar Hartmann angehören.

Die Aufgabe lautet: Ball, Bayern, Ballgefühl. Jeder Teilnehmer hat vier Minuten. Keiner hält die Zeit ein. Wer sich ein Trikot über den Kopf ziehen kann, während ein Ball in seinem Nacken liegt, tut das. Wer das nicht kann, macht Trapattonis Wutrede nach (Strunz wie Flasche leer), sagt ein Gedicht auf (Ich und der FC Bayern) oder spielt auf einem Alphorn von vier Metern Länge.

Kluges Väterchen Waldi

Einer sagt flehend: "Bitte nehmt mich mit! Ich trage die Bälle, ich putze die Schuhe. Ich mache alles. Nehmt mich nur mit."

Das hilft ihm am Ende nicht, aber danach haben alle erst mal einen Kloß im Hals. Teamchef Waldemar Hartmann, dessen jovialer Witz in seinen Shows auch schon mal angestrengt wirkt, erweist sich in diesem Casting als kluges Väterchen Waldi. Er steuert über einen ganzen Abend und einen ganzen Tag lang eine Jury, die sich das Prädikat "Geduldigste und wohlwollendste Casting-Jury aller Zeiten" verdient. Auch als einer der Teilnehmer das Vaterunser in ein Gebet verwandelt ("Bayern München im Himmel, geheiligt werde dein Name"), bewahrt die Jury die Fassung und Paul Breitner stets das Ziel im Auge: Entscheidend bleibt, was der Mann auf dem Platz kann.

Die 26 Glücklichen, die am Ende benannt werden, brüllen so laut, als ob sie gerade das Siegtor im WM-Finale geschossen hätten. Andere hingegen kämpfen mit den Tränen. Hartmann redet deshalb viel über das Verlieren und wie schwer ihnen die Entscheidung gefallen sei. Und dass nicht unwichtig war, dass auch Teilnehmer aus anderen Ländern bedacht werden mussten.

Im Bus nach Arco, dem Ort, wo die Bayern München bis zum 12. Juli ihr Trainingsquartier aufgeschlagen haben, sitzen schließlich - einschließlich dreier Wild Cards, die noch dazugekommen sind - 29 Teilnehmer aus sieben Ländern. Ein Torwart aus Polen ist dabei; ein Schwede, der Goethes "Heidenröslein" auf deutsch rezitiert hat, weil seine Mutter ihm gesagt hat, das wäre Deutschlands bester Dichter; und ein Schweizer, der mit Shaqiri die Modeschule besucht hat. Riesenlacher beim Casting.

Gabriel hat seinen Abi-Ball abgesagt - fürs Spiel

Sie alle sind Freizeitfußballer, aber es sind genug darunter, die mindestens vier Mal die Woche trainieren und viert- oder fünftklassig spielen. Alex Burkhardt aus Göttingen zum Beispiel spielt jedes Jahr gegen einen Bundesligisten. Aber das ist eben nicht der Champions-League-Sieger. Gabriel, 18, hat sein Abi mit 1,0 abgeschlossen, an diesem Freitag ist sein Abi-Ball. Er hat ihn für das Spiel abgesagt.

Nach Arco fahren junge Männer, die während der ganzen Fahrt mühelos über Fußball reden können, die wissen, warum 2004 ein Spieler von Jena nach Wattenscheid gewechselt ist und mit wem er vorher in der Jugend gespielt hat. Das klingt eigenartig, aber es gibt in Deutschland Millionen Männer, die auch so reden, die aber nicht so gut Fußball spielen können wie diese 29.

Zwei Fernsehteams begleiten sie die ganze Zeit. Immer wieder müssen sie das Schild mit dem Emblem des Sponsors hochhalten und Schlachtenlieder noch mal singen, die sie beim ersten Mal spontan gesungen haben. Das sind nun mal die Regeln dieses Spiels. Sie sind nicht nur für 15 Minuten Fußballstars, sondern auch für zwei Tage Werbeträger. Das kostet keinen von ihnen auch nur ein Achselzucken, denn das Ziel lockt.

Das Ziel lautet: Ihren Stars so nah wie möglich kommen, und zwar dort, wo sie sich selbst am besten auskennen: auf dem Platz. Und dort liegt seit Rehagel die Wahrheit. "Wie schnell ist Shaqiri, wie schnell ist Ribéry?", rätselt Sebastian Struller kurz vor dem Spiel. "Ballannahme, Ballmitnahme, den Ball vorbeilegen, abschließen. Wie schnell sind die?" Fachleute unter sich. Und noch etwas will der begabte Fan wissen, der irgendwann als Kind selbst mal Profi werden wollte: Wie ist der Star, wenn er sich in einen Menschen zurückverwandelt?

Die erste Halbzeit ist hervorragend

4000 Zuschauer sind ins Stadion gekommen, allein Alex aus Südtirol hat für 120 Freunde Karten besorgt. Auch Strullers Freundin Carolin, seine Schwester, seine Eltern sind da. Die Freundin besucht ihn auch im Abschlusstraining. Hat er in den Tagen vor dem Spiel viel darüber gesprochen? "Viel?", sagt sie. "Er spricht seit Wochen von nichts anderem." Sebastian Struller grinst schuldbewusst. Und dann rutscht es heraus: "Ach, wäre das schön, wenn Pep sagen würde: Komm, du kannst hierbleiben. Bei uns im Trainingslager."

Das Spiel endet 0:13. Die erste Halbzeit ist hervorragend, die Bayern führen nur mit 2:0. Beide Mannschaften kehren mit einem komplett neuen Team auf den Rasen zurück. Dann fällt Tor auf Tor. Struller ist im zweiten Team. Nach dem Schlusspfiff flitzen alle sofort zu Pizarro, Kroos, Shaqiri und bitten sie, Autogramme auf ihrem Trikot zu hinterlassen. Pep Guardiola wird dabei von Leibwächtern abgeschirmt.

Was bleibt noch? Dass Lahm oft reklamiert hat, haben alle als befremdlich empfunden. Und Sebastian Struller freut sich über eine große Ehre, die ihm widerfahren ist. Nicht nur, dass er den berühmten Stürmer Pizarro gestört und danach ausgespielt hatte - Pizarro hat es sogar für nötig gehalten, ihn zu foulen. Ein unvergesslicher Moment. Auch wenn einer aus der Traumelf auf der Heimfahrt konsterniert feststellt, dass es sich 90 Minuten lang "wie ein ganz normales Fußballspiel angefühlt hat".

© SZ vom 08.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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