Frauen-Ratgeber-Boom:Schreibt das nicht auf!

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Es gibt immer mehr Sachbücher von Frauen, deren einziger Maßstab ihre eigene Erlebniswelt ist. Das sollen sie lassen - sich und uns zuliebe.

Johan Schloemann

Auf in die Frauensaison! Der Bücherherbst lässt wieder, nicht zu knapp, saftige Früchte vom Baum der weiblichen Bekenntnisse fallen. Dieses Fallobst wird dann, ohne übermäßig penibles Verlesen der Früchte in den Verlagen, gestapelt in die Buchhandlungen und Literaturredaktionen geliefert.

Schreibende Frauen: Heinrich Heine meinte, sie hätten bloß "ein Auge auf das Papier und das andre auf einen Mann gerichtet". (Foto: Foto: Montage/sueddeutsche.de)

"Frauen, die schreiben, leben gefährlich", hieß ein im vergangenen Jahr erschienenes, dekorativ bebildertes, Frauenbuch. Das Buch hieß so, weil es von Frauen handelte, die sich in der Vergangenheit gegen die Männerwelt als Autorinnen durchsetzen wollten und deswegen in Anfeindung oder in den Selbstmord oder in sonstiges Elend gelangten. Gleich auf den ersten Seiten des Buches war aber auch zu lesen, dass Männer, die über schreibende Frauen schreiben, nicht minder gefährlich leben. Ihnen droht nämlich der Ruf des Geschlechtsreduktionisten.

"Während in der Wahrnehmung schreibender Männer", warnte da der Germanist Stefan Bollmann, "nur in Ausnahmefällen das Geschlecht eine Rolle spielt, müssen schreibende Frauen nach wie vor darauf gefasst sein, dass ihr Werk unter dem Aspekt des kleinen Unterschieds mit den großen Folgen untersucht wird. Ich kenne nicht wenige Frauen, die das mittlerweile als einen Akt umgekehrter Diskriminierung betrachten."

In der Tat, die Kritik an den schreibenden Frauen hat eine alte, unrühmliche Tradition. Heinrich Heine meinte, sie hätten bloß "ein Auge auf das Papier und das andre auf einen Mann gerichtet". Sollte man da nicht lieber eingeschüchtert Abstand nehmen von dem Gedanken, mehrere Frauenbücher der Saison in einen einzigen Früchtetopf zu werfen?

Geschminkter Bekenntnisschmutz

Nein, sollte man nicht. Nicht dass nicht viele Frauen viele gute Bücher schreiben würden - darum geht es nicht. Der neue Typus des Ich-Sachbuchs von sogenannten Persönlichkeiten jedoch, von öffentlich bekannten Frauen, die ihre Berichte und Ideen unbedingt mit eigener Emotion und mit eigenen Erfahrungen beglaubigen wollen, diese Glaubwürdigkeitserpressung, dieser ganze geschminkte Bekenntnisschmutz nimmt derzeit solche Ausmaße an, dass jeder aufrechte Mensch die Gefahr auf sich nehmen sollte, diese Gruppe von Frauen zu diskriminieren.

Kaum hatte die Nachfolgerin des Moppel-Ichs, das "Runzel-Ich" der Susanne Fröhlich, sich in den Buchhandlungen breitgemacht - mit ihrer Ratgeberliteratur über Frauenkörperprobleme, begleitet von gelockter grinsender Dauerpräsenz der Autorin -, da gesellte sich bekanntlich kürzlich Eva Herman ("Ich konnte nicht anders") mit ihrem soziologischen Klassiker "Das Prinzip Arche Noah" dazu.

Während Eva Herman den Wunsch nach mehr und glücklicheren Kindern und nach treuen Frauen luzide herausarbeitet, "die Empathie und Mütterlichkeit zu ihrem Lebensprinzip machen", hat in Frankreich gerade Corinne Maier die umgekehrte Bestseller-Formel entwickelt: Nach ihrer "Entdeckung der Faulheit", einem erfolgreichen Buch über das Nichtstun im Büro, hat Maier auf der soliden Basis eigener Mutterschaft in dem Werk "No Kid" die These entwickelt, dass Kinder nur noch nerven und nichts als "kreischende Gremlins" sind: "Die Geburtenverweigerung ist unsere einzige Chance", ruft die gallische Lysistrata

Emotionale Pornographie

Schon nähert sich da die edle Wilde Sabine Kuegler, das "Dschungelkind", mit ihrem nunmehr dritten Buch seit ihrem Wiedereintritt in unsere grausame westliche Welt: "Gebt den Frauen das Geld! Und sie werden die Welt verändern", heißt es und verspricht den "Blick einer Eingeborenen auf aktuelle Frauendebatten". Ein Ergebnis der Studie ist das Desiderat einer "Atmosphäre grundlegender Harmonie, wie sie nur entstehen kann, wenn die elementaren Kräfte dieser Welt einigermaßen miteinander in Einklang sind - männlich und weiblich, Sonne und Mond oder wie immer man diese beiden Pole menschlichen Lebens umschreiben will."

Wie immer man diese Diskurslage umschreiben will, sie wäre unvollständig, erwähnte man nicht noch ein weiteres Opus, das jetzt druckfrisch vorliegt. Die Autorin: Arabella Kiesbauer. Der Titel: "Mein afrikanisches Herz". Sic.

Dieses Buch nun verdient, auch wenn es wehtut, ein wenig nähere Betrachtung. Es handelt davon, dass die frühere Moderatorin der mit ihrem Vornamen benannten Nachmittagstalkshow auf den Spuren ihres nie kennengelernten, inzwischen verstorbenen Vaters nach Ghana fährt, von dem sich ihre deutsche Mutter kurz nach Geburt der Tochter getrennt hatte.

Als Ausgangspunkt der Reise, die Kiesbauer mit allerlei neuen Verwandten und Sitten bekanntmacht, wird ein Sinndefizit nach Jahren des Boulevard-Fernsehens geschildert. Die Heilung dieses Mangelempfindens konnte nur die genealogische Suche bringen, und diese hat, so ist die Autorin überzeugt, auch noch ursächlich die Überwindung ihrer Fruchtbarkeitsprobleme ermöglicht: "Ich musste erst zu meinen afrikanischen Wurzeln stehen, um empfangen zu können . (...) Sobald ich losließ, war ich frei. Frei für mein Baby."

Das Ganze liest sich dann beispielsweise so: ,,Eine Sehnsucht, die sich nicht länger unterdrücken lässt, weitet mir das Herz ... Plötzlich habe ich eine afrikanische Seele." - "Alles, was ich sehe, höre und empfinde, kann ich in dieser Intensität kaum noch aushalten." - "Nie habe ich mich richtig getraut, mehr Gefühl zu zeigen, zu meinen eigenen Empfindungen zu stehen, mich in meine Emotionalität fallen zu lassen. Heute habe ich die Gewissheit, dass diese verborgene Kraft, die in mir sehr ausgeprägt ist, ein Teil meines Vaters, meiner afrikanischen Ahnen ist." Am Grab des Vaters heißt es: "Ich spüre Salz auf meinen Lippen. Ich weine leise vor mich hin." Außerdem gibt es in dem äußerst detaillierten Buch noch: Schlafstörungen; übersinnliche Kontakte mit der verstorbenen Großmutter; ein "Retreat" auf Mallorca mit dem Ziel, "uns Teilnehmer, die wir alle mit einer Reizüberflutung zu kämpfen hatten, dazu zu bringen, besser auf unser Inneres zu hören".

Bemerkenswert ist nun bei Arabella Kiesbauer nicht bloß diese emotionale Pornographie, mit der sie der Forderung Eva Hermans nachkommt, "die ganze Fülle weiblicher Gefühle zu leben". Sondern auch die Blindheit gegenüber dem Verwertungsmechanismus der Gefühle, dem sie als Autorin unterworfen ist. Kiesbauer meint nämlich, einen Läuterungsprozess durchlaufen zu haben: von der Uneigentlichkeit der Fernsehwelt hin zum Echten, Wahren der eigenen Persönlichkeit und des eigenen Schicksals. Ihre in ein Buch gefasste Lebensveränderung soll dokumentieren: Vom totgelaufenen Betrieb der Medienwelt hat sie ins Authentische hinübergefunden.

Weibliches Bücherobst

Das wäre vielleicht wirklich so, wenn diese Wendung ein persönlicher Vorgang bliebe. Aber sie wird ja gerade mit der Buchwerdung bis ins Kleinste öffentlich gemacht! Das heißt: Wenn diejenige, die jahrelang täglich im Fernsehen in aggressiver Plauderstimmung ihre Studiogäste zur Offenbarung des Persönlichen gebracht hat, wenn diese Freilegerin jetzt das Publikum an jeder eigenen Träne teilhaben lässt - dann ist dies nichts als eine Verlegung der Gefühlsarena in die hemmungslose Selbstvorführung. Keine Bekehrung, sondern nur eine spiegelbildliche Umkehrung des zuvor Praktizierten mit dem Mittel der öffentlichen Therapie. Für die aber nicht die Therapierte, sondern ihre Konsumenten bezahlen müssen. Aus der einst als befreiend und verpflichtend gedachten Idee, das Private sei politisch, aus der daraus abgeleiteten Lizenz zur Offenlegung ist ein ganz anderes Prinzip geworden: Das Private ist ein Produkt.

Wie groß die Macht dieses Zusammenhangs von verkaufender Darbietung und tiefer Empfindung, von modernem Kapitalismus und Gefühlswelt - so hat es die israelische Soziologin Eva Illouz in ihren ich-freien Büchern eindringlich dargestellt - inzwischen ist, das ist daran abzulesen, dass Arabella Kiesbauer selbst nichts, aber auch gar nichts von diesem Zusammenhang bemerkt. So schreibt sie: "Zwischen zwanzig und dreißig hatte ich mich über meine Fernsehtätigkeit definiert. (...) Nun dagegen stand mein Privatleben an erster Stelle, und die vielen Eitelkeiten, die ich früher ausgelebt hatte, wurden zu unwichtigem Beiwerk." Nicht eine Sekunde reflektiert Kiesbauer, dass dieses "Privatleben", derart intim auf 250 Seiten ausgebreitet, kein Privatleben ist; dass die Eitelkeit hier kein Beiwerk, sondern der Urgrund eines solchen Buches ist.

Fatal an diesen Erzählstrategien ist die Bestätigung aller Klischees, wonach Frauen nur mit Bauch und Herz denken können. Das mag irgendein Bedürfnis ansprechen, im Ganzen aber ist das weibliche Bücherobst des Herbstes so reif an Emotionen, dass es schon faul ist. Die Gefühlsgärung der Argumente, die aus dem Ich kommen, greift die Ursprünge des weiblichen Schreibens im bürgerlichen Zeitalter auf, wenn auch in trauriger Schwundstufe: die Empfindsamkeit des Herzens im Briefroman oder die um 1800 aufblühenden Abenteuer-Autobiographien ungewöhnlicher Frauen.

Der Gipfel der Perfidie

Auch Eva Herman entwickelt ihre Thesen gegen Krippenbetreuung, Ganztagsschulen, Alice Schwarzer und sonstige ,,Zersetzungsprozesse'' (Herman) aus einem persönlichen Läuterungsmodell. "Ich verurteile niemanden", schreibt sie, "der seinen Partner verlässt. Ich selber habe in meinem Leben einige Trennungen erlebt, unter anderem vom Vater meines Kindes. Doch die Ansichten verändern sich, der Mensch entwickelt sich." (...) "Auch ich kenne diese Anwandlungen. Als erfolgreiche Karrierefrau vor einigen Jahren erging es mir in einigen Situationen ähnlich, mit dem Ergebnis, dass ich nicht immer rücksichtsvoll für andere entschied. In ruhigen Momenten wurde mir dann durchaus klar, dass dies nicht der Königweg sein kann ... Erst als mein Kind auf der Welt war, geriet die glitzernder Ego-Welt ins Schlingern, und ich fing an nachzudenken." Ach, hätte sie nicht damit angefangen!

Sachargumente werden in dieser Literaturform immer nach dem Muster: "Neulich traf ich Maleen, die kleine Tochter eines Bekannten ..." eingeleitet. Ähnlich geht auch das Dschungelkind Sabine Kuegler vor. Ihr neues Buch ist zwar über weite Strecken ein Bericht über die finanzielle Lage der Frauen in der Dritten Welt und ein Plädoyer für Abhilfe mit Mikrokrediten und ähnlichen Maßnahmen; aber auch diese schreibende Frau unterliegt dem Missverständnis, nur durch Ich-Beglaubigung sei ein Thema ein Thema. So kommt Kuegler zum Beispiel (aufgrund fragwürdiger Forschungen) zu der Ansicht, "dass am Anfang der menschlichen Zivilisation ein partnerschaftliches Verhältnis der beiden Geschlechter stand". Und fügt dann den Satz an: ,,Auch meine Intuition sagt mir, dass es ursprünglich so gewesen sein muss." Na dann.

Ebenfalls neu auf dem Markt ist übrigens das "Schwarzbuch zur Lage der Frauen". Darin wird überwiegend sachlich über die Misshandlung und Benachteiligung von Frauen weltweit informiert, von den Steinigungen in Iran bis zur häuslichen Gewalt in Spanien. Der Gipfel der Perfidie: Das Buch erscheint just im selben Verlag wie die Machwerke von Eva Herman ("die Klugheit des Herzens wiederentdecken" und den Männern bitte nicht "die Berechtigung zum Kampf, zur Dominanz nehmen") und Arabella Kiesbauer ("Es ist wie Kino in meinem Kopf, und der Film zeigt mich in der Hauptrolle").

Im Jahre 1931 sprach Erika Mann einmal hoffnungsvoll von der erwünschten Eigenart der modernen Autorin: "Die Frau, die Reportage macht, in Aufsätzen, Theaterstücken, Romanen. Sie bekennt nicht, sie schreibt sich nicht die Seele aus dem Leib, ihr eigenes Schicksal steht still beiseite, die Frau berichtet, anstatt zu beichten." Verehrte Damen, gnädige Frauen, das wär' doch was.

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