Fotoalbum:Reinhold Beckmann

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Der Reporter, Produzent, Sportmoderator und Talkmaster entpuppt sich beim Termin in Begleitung seiner 13 Jahre alten Dackelgefährtin vor allem als: begeisterter Musiker.

Protokolle von Ralf Wiegand

(Foto: privat)

Musik Das Foto zeigt meinen Bruder Alfons, mich, meinen zweiten Bruder Willi, der leider schon verstorben ist, und einen Freund aus dem Nachbarort (von links) im Garten meines Elternhauses in Twistringen. Wir waren damals keine Band - wir waren wirklich die Beach Boys! Das gleiche Outfit, der gleiche Haarschnitt. Vor allem mein um sieben Jahre älterer Bruder Willi war regelrecht besessen von den Klängen der Strandjungs aus Kalifornien. Wir wollten Carl, Dennis und Brian Wilson sein. Schon vor der Schule hörten wir auf dem alten Dual-Plattenspieler die Songs. "Good Vibrations", "God Only knows" und "Warmth of the Sun" - diese göttlichen, mehrstimmigen Chorsätze. Und ja, mein Bruder hat wirklich geglaubt, Brian Wilson sei ein Genie.

Die Musik war ein Leben lang mein Sehnsuchtsort. Ich war 14 oder 15, da stand da die Gitarre meines Bruders, der aufgehört hatte zu spielen. Ich fing an. Es gab dann auch eine erste Band, wir haben Punk gespielt, bevor der Punk erfunden war. Drei Akkorde reichten, und im Dilettantischen waren wir genial. In der Schule hatte ich später einen sehr charismatischen Musiklehrer, und eine Weile überlegte ich, Musik zu studieren. Wir spielten damals kleine Gitarrenkonzerte. Aber das akademische Herangehen an die klassische Musik war es dann doch nicht, ich schlug einen anderen Lebensweg ein.

Dass ich heute wieder Musik mache, mit eigener Band, liegt an Ina Müller. Ich war zu Gast in ihrer ersten Sendung "Inas Nacht", vor zehn Jahren, und spielte mit ihr einen Bossa Nova von Antônio Carlos Jobim. "Águas de Março", ein wunderbar lyrisches Stück. Danach kamen zwei Mitglieder ihrer Band zu mir: Wollen wir nicht etwas zusammen machen? Wir haben ein Wochenende lang gespielt und gespielt - das war im Prinzip der Startschuss für "Beckmann & Band". Heute genieße ich es ungemein, wieder jeden Tag zu spielen. Musik machen macht glücklich! So einfach ist das. Wenn ich die Gitarre in der Hand habe, hat das übrige Kopfkino keine Chance. Das ist das Geheimnis.

Momente Wenn ich wirklich etwas vermisse, dann die Eins-zu-eins-Gespräche in meiner früheren Talkshow. Wie beim Auftritt von Stephen Hawking 2005. Angeblich erst der zweite Besuch des Jahrhundertgenies in einer Talkshow überhaupt, nach Larry King. Brillante Gedanken und ein eiserner Lebenswille, trotz ALS - unaufhaltsamer Muskelschwund. Wir haben ihm die Fragen vorher schicken müssen, weil er ja seinen Sprachcomputer mit dem Augenlid bediente. Das brauchte eine lange Vorbereitung. Dennoch hat er es geschafft, komplexe Dinge des Universums so zu erklären, dass wir alle sie verstanden. Die Zuschauer haben sich damals auf diese ausführlichen Gespräche eingelassen. Es gibt Lebensgeschichten, die kannst du nur in so einem Format erzählen, etwa von Loki Schmidt, unserem Hamburger Mädchen, oder von Íngrid Betancourt, die nach ihrer Befreiung aus der Geiselhaft der kolumbianischen Farc bei uns war. Nur dann entstehen Momente wie mit Gerhard Schröder, der auf meine Frage, ob Putin ein lupenreiner Demokrat sei, mit einem gedehnten "Jaaa" antwortete.

Quotenhit Rowan Atkinson, also Mr. Bean, war einmal mein Gast in der Sonntagssendung "Ranissimo" bei Sat 1. Doppelmoderation, ich mit Worten, er pantomimisch. Es war sehr lustig. "Ranissimo" war eigentlich der kleine Ableger von "Ran", aber plötzlich mit dieser Unterhaltungsform ein Quotenbrüller. Fußball war ja damals Anfang der Neunziger noch nicht das Event, das er heute ist. Die Stadien waren leer, obwohl Deutschland gerade die WM gewonnen hatte. Kinder und Frauen gingen kaum zu den Spielen. Bundesligafußball war uncool. Wir haben Eros Ramazzotti und Rod Stewart ins Studio geholt, das jugendliche Publikum angesprochen. Sogar die Politik drängte in die Sendung: Eines Tages hatten wir die Bitte von Helmut Kohl auf dem Tisch, einmal zu uns kommen zu dürfen. Wahlkampf 1994. Wir haben lange überlegt und uns dann entschieden, eine Sendung mit dem Bundeskanzler zu machen - und eine mit Rudolf Scharping von der SPD. Und was soll man sagen, Helmut Kohl war besser. Die Fußball-Puristen haben uns damals natürlich langen Hafer gegeben, weil wir Fußball und Unterhaltung vermischt haben, lange vor der Debatte, ob Helene Fischer in der Pause eine Pokalfinales spielen darf. "Ranissimo" war aber eine grandiose Erfindung.

(Foto: Tamer Alyas)

Hilfe Für die erste Reportage des Formats "#Beckmann" sind wir im Januar 2015 nach Dohuk im Irak gereist. Wir wollten die Geschichte des Genozids an den Jesiden erzählen - und stießen auf das Flüchtlingsthema. Wir sahen damals schon all die Menschen, die wenig später zu uns kommen sollten. Pater Emanuel, mit dem ich hier spreche, hat versucht, mit seiner Organisation Capni wenigstens ein paar Strukturen in dem Chaos aufzubauen. Wir filmten die Bilder von traumatisierten Kindern, die nicht mehr sprachen, trafen auf Leute, die in Betongerippen hausten, wartend, irgendwo unterzukommen. Es war ein halbes Jahr, bevor die Flüchtlinge bei uns eintrafen. So schließt sich ein Kreis: Mit meinem Verein NestWerk e. V. machen wir seit 20 Jahren Jugendarbeit in Hamburg. Daraus ist Integrationsarbeit geworden. Wir betreuen viele Jugendliche, die aus dem Irak, aus Afghanistan oder Syrien gekommen sind. Die Erfahrung als Filmemacher im Irak hilft mir, deren Geschichte besser zu verstehen.

(Foto: WDR)

Privatkonzert Zur Begegnung mit Johnny Cash und seiner Frau June Carter kam es in der WDR-Reihe "Backstage", ein hinreißender Moment. Cash hatte sich derart verspätet, dass wir für die Livestrecke schon eingepackt hatten. Er hat sich so geschämt, dass er fast flehte: Was kann ich tun, um das wiedergutzumachen? Ich schlug einen kleinen Film vor, den wir auch drehten. Interview und Garderobenkonzert. Danach ist etwas ganz Besonderes passiert: Cash ließ meinen Kameramann und mich nicht gehen, sondern ließ beim anschließenden Konzert zwei Stühle für uns auf die Bühne stellen, hinter die Boxen. Nach jedem Song hat er sich zu uns gedreht und uns gegrüßt. Seitdem bin ich ein Johnny-Cash-Jünger.

(Foto: privat)

Grenzenlos Ich bin damals, 1983, zufällig in diese Produktion gerutscht. Es war die Zeit, als von Zelluloid auf Videotechnik umgestellt wurde. Ich kam gerade aus der entsprechenden Ausbildung, arbeitete für die junge Firma "Tag Traum" in Köln, als ein Anruf vom WDR kam: Udo Lindenberg im Palast der Republik. Wir haben ihn zwei Tage und zwei Nächte begleitet. So bin ich neben Udo auf der Rückbank, wir beide in Lederjacken, über die Grenze. Mir ist damals klar geworden, welch Symbol Udo für die DDR-Jugend war. Im Westen ist ihm der Auftritt als Anbiederung ausgelegt worden, und der Osten verwehrte ihm dennoch sein großes Ziel, eine Tournee in der DDR. Was aber bis heute gilt, wenn er auftritt, sah man schon damals: Udo wurde, im wahrsten Sinne des Wortes, grenzenlos geliebt.

Unterwegs Wenn ich heute mit meiner Band unterwegs bin - wir sind zu fünft -, dann ist das einfach eine große Freude. Wir spielen jedes zweite oder dritte Wochenende, es ist wie früher, wenn man mit den Kumpels samstags zum Fußball gefahren ist: Rein in den Bus und los. Das Ensemble-Erlebnis schlägt alles. Ich sage immer, ich bin jetzt im Freispielbereich. Und alte Flipper-Spieler wissen, was ich damit meine. Es geht nicht mehr ums Werdenwollen, sondern um das Sein. Ein schönes Gefühl, wie damals, als man einfach den Daumen in den Wind hielt. Dafür will ich mir Zeit nehmen. So heißt auch unser neues Album: "Freispiel".

© SZ vom 26.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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