Fleisch in der Gastronomie:Je fetter, desto besser

Glückliche Tiere, glückliche Gourmets: Warum in der Gastronomie gerade alle von fettem Fleisch schwärmen und niemand mehr Schnellmastrinder essen sollte.

Robert Lücke

Der Kellner serviert das Entrecôte. Das Fleisch ist durchzogen von einer feinen, weißsilbrigen Maserung; es ist daunenweich und hat einen leicht buttrigen Geschmack. Nichts an ihm ist zäh, trocken, ledrig. Das kommt vom Fett. Fettes Fleisch ist gut, fettes Fleisch ist der Trend in der Top-Gastronomie - die mageren Jahre sind vorbei.

Fleisch in der Gastronomie: Die Glanrinder auf dem Hof von Horst Backmann in Hermespand in der Eifel sind nach dem westpfälzischen Fluss Glan benannt. Besondes gefragt sind die Rinder aus einer alten Rasse in der Spitzengastronomie.

Die Glanrinder auf dem Hof von Horst Backmann in Hermespand in der Eifel sind nach dem westpfälzischen Fluss Glan benannt. Besondes gefragt sind die Rinder aus einer alten Rasse in der Spitzengastronomie.

(Foto: Foto: ddp)

Die Entrecôtes, die Nils Henkel in seinem Drei-Sterne-Lokal "Gourmetrestaurant Lerbach" in Bergisch Gladbach brät, stammen vom Simmenthaler Rind, einer uralten genügsamen Rinderrasse aus den Schweizer Bergen. "Es ist kernig, aber dennoch zart, nicht einfach nur weich und labberig", schwärmt Henkel. Und es hat Fett.

Das steckt auch im US-amerikanischen Beef von Dan Morgan aus Nebraska, Rindfleisch von Donald Russell aus Irland, in den Steaks der Wagyu-Kühe aus Australien, in dem deutschen Glanrind, in den spanischen schwarzen Iberico-Schweinen, dem Manglalitzer Wollschwein und dem Bunten Bentheimer Schwein. Alle sind alte Rassen, die es eigentlich nicht mehr gäbe, würden sich nicht Menschen finden, die sie erhalten, züchten und ihr Fleisch an die besten Köche verkaufen.

Und immer mehr Menschen essen dieses Fleisch mit Genuss. Henkel ist begeistert davon, und auch andere Kollegen wie Johannes King vom Sylter Söl'ring Hof, Jean-Claude Bourgueil vom Düsseldorfer "Schiffchen" oder Vincent Klink von der Stuttgarter "Wielandshöhe" kochen gerne mit fettem Fleisch.

Wer Fett aß, musste arm oder dumm sein

Sie wissen, warum: "Fett ist der beste Aromaträger", sagt Karl Heinz Wolf, der Ende der siebziger Jahre die Edelspedition Rungis Express gründete und heute im Salzkammergut Ochsen, Schweine und Hühner, alles alte Haustierrasen, züchtet. "Bei den alten Rassen sitzt das Fett im Fleisch und nicht nur als dünner Rand außen dran." Das Fleisch seiner "Egelseer Landschweine" landet zum Beispiel auf den Tellern im "Vendôme" in Bergisch-Gladbach. Dort verarbeitet Joachim Wissler, wie Henkel mit drei Sternen dekoriert, Kinn, Bäckchen und Koteletts.

Und was in der Spitzengastronomie gut ankommt, findet meist sehr rasch den Weg in einfachere Lokale, denn die Lieferanten stellen sich darauf ein, und die Gäste fragen danach. "Ich bin immer froh, wenn sich jemand als Kenner outet und sagt, er möchte ein möglichst mit Fett durchwachsenes Stück", sagt Walter Stemberg, 16-Punkte-Koch aus Velbert bei Bochum. Er serviert seinen Gästen außer Nebraska-Entrecôtes auch Koteletts vom Iberico-Schwein. Offenbar findet dieser Trend viele Nachahmer: Fleischhändler berichten davon, dass fette Fleischsorten mehr denn je gefragt sind.

Das war lange Zeit ganz anders. Denn Fett galt als alles andere als fein. Wer fettiges Fleisch aß, musste arm oder dumm sein oder beides. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt der fette Schweinebraten zwar als Statussymbol - wer sich den leisten konnte, hatte es geschafft. Dann aber kam die Fitnesswelle aus den USA über den Atlantik geschwappt, und in den siebziger Jahren nistete sich der Irrglaube ein, nur mageres Fleisch gehöre auf den Teller.

"Euter auf vier Beinen"

Fortan bestellten viele Frauen ihren Salat maximal mit Putenbruststreifen, und noch heute empfängt einen die typische weißbeschürzte Fleischfachverkäuferin an der Supermarktfleischtheke gerne mit den Worten: "Dieses schöne magere Stück für Sie?"

"Nein, mager ist nicht schön", sagt Spitzenkoch Bourgueil, mager ist die fleischgewordene Langeweile. Aber trotzdem wurden aus Rindern und Schweinen Fleischberge, gezüchtet auf schnelles Wachstum, mit viel Muskelmasse und wenig Fett. Oder es landen Milchrinderrassen in den Töpfen: "Euter auf vier Beinen", nennen Spötter die deutschen Milchkühe gerne. Ihr Fleisch ist nicht so wichtig.

Die Spezialisierung der Bauern unterstützte also den Trend zu fettarmen Steaks. Klassische Rassen wie etwa Angus oder Herford, die in Großbritannien und Nord- sowie Südamerika verbreitet sind, sucht man hierzulande oft vergebens - auf Bauernhöfen wie auf Speisekarten. Auch Zweinutzungsrinder, die ordentlich viel Milch geben und gutes Fleisch haben, wurden immer seltener, etwa das Simmenthaler Rind, das in Bayern als Rotbraunes Fleckvieh noch recht verbreitet ist. Deren Fleisch landet oft in den Markthallen von Brüssel und Paris - dort weiß man eben, was schmeckt.

"Warum soll das einer essen?"

Eine der wenigen Ausnahmen ist Horst Backmann, der auf seinem Hof in der Eifel Glanrinder züchtet und zu jenen Landwirten gehört, die der dumpf mampfenden Mehrheit mitteilen, wie gut Fett schmecken kann. Dafür wurde er jahrelang als weltfremder Spinner verspottet. Backmann sieht aus wie Heidis Opa und sagt: "Schnellmastrinder schmecken nicht. Warum soll das einer essen?" Ja, warum? Backmanns Rinder wachsen in Jahren auf eine Größe heran, für die andere Monate brauchen, sie bewegen sich, und das Fleisch reift sozusagen am Tier. Das braucht Zeit, die heute kaum ein Rinderzüchter mehr investieren will.

Aber wie kam es nun eigentlich zum Fett-Boom? Angefangen hat es mit der Langeweile und dem Wunsch nach Luxus, nach etwas Besonderem. Da passte es gut, dass Anfang des neuen Jahrtausends die Geschichten von japanischen Kühen aus Kobe die Runde machten. Denen sagte man nach, sie würden von Mönchen oder Geishas massiert, bekämen Sake und Bier zu trinken und dürften Mozart oder Koto hören.

Siegeszug der fetten Rassen

Das mit den Massagen und dem Alkohol waren urbane Legenden. Wahr ist hingegen, dass ihr sehr teures Fleisch dank Rasse und Mast je nach Qualitätsstufe fast weiß vor lauter Fetteinlagerungen ist. Die Leute probierten das Fleisch wegen der tollen Geschichten und stellten fest, wie gut es schmeckt: butterzart und etwas nussig. Als Folge wurden in den neunziger Jahren in Australien und später in den USA und anderswo Kobe-Rinder nachgezüchtet, die Rasse nennt sich Wagyu. Ihr Fleisch gehört heute in gut sortierte Delikatessenabteilungen, wenn die Qualität auch sehr schwankt.

Das war der Anfang. Dem Wagyu folgten weitere fette Rassen, zuletzt das Fleisch der für ihre Schinken berühmten spanischen Iberico-Schweine. Aus Stücken wie "Presa" oder "Secreto" machen Köche wie Ferran Adrià oder Martin Berasategui in Nordspanien Köstlichkeiten, von denen sich andere Spitzenköche inspirieren lassen. Inzwischen finden sich solche Steaks und Schmorstücke auch auf deutschen Tellern wieder. Sehr zur Freude vieler Genießer, die nun endlich auch mal ein Stück Fleisch bekommen, das nach mehr schmeckt als nur nach tierischem Protein. In London und in deutschen Großstädten gibt es inzwischen sogar Wagyu-Burger, was beweist, wie schnell die Trends aus der Spitzengastronomie die Niederungen der Esskultur erreichen.

Umso erfreulicher, denn nun dürfte die Renaissance von Fett und Geschmack auch den Züchtern alter Haustierrassen einen Boom bescheren. Auf deren Archehöfen leben und sterben jene Tiere, die später auf dem Teller von Gourmets liegen - oft aus der Region, was umwelt- und klimafreundlich ist und ebenso trendy wie das Fleisch selbst. "Offenbar akzeptieren viele erst jetzt, was wir seit Jahren praktizieren und predigen", sagt Horst Backmann. Es lohnt sich also doch manchmal, Fett anzusetzen.

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