Ferran Adrià: "Weltbester Koch":Die geheime Botschaft der Auster

Jedes Rezept hat für ihn eine Aussage. Sterne-Koch Ferran Adrià über seine Kreationen und Kritiker, über Frauen in der Küche und das Ende im "El Bulli".

A. Ameri-Siemens

Für viele Menschen ist es ein unerfüllter Traum, einmal im "El Bulli" an der Costa Brava zu speisen. Einerseits ist das für seine kühnen Kreationen gerühmte Restaurant für viele schlicht unerschwinglich, andererseits haben dort gerade mal fünfzig Gäste Platz. Wer die entlegene Bucht in der Nähe von Barcelona besucht, kommt vor allem wegen des Chefs: Der Katalane Ferran Adrià Acosta gilt als einer der besten seines Fachs, auch wenn er in seiner Heimat zuletzt stark angefeindet wurde - zu entrückt und effektheischend sei seine Methode, Speisen in ihre Einzelteile zu zerlegen, warf ihm die Konkurrenz vor. Adrià selbst bleibt ganz gelassen - gerade erst wurde das "El Bulli" in London wieder zum "besten Restaurant der Welt" gekürt.

ferran adria; dpa

Seine Kritiker werfen Molekularkoch Ferran Adrià Acosta Effekthascherei vor

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Adrià, werden Sie eigentlich ab und zu von Freunden zuhause bekocht?

Adrià: Sie denken, die Leute hätten Angst vor mir?

SZ: Es kann einen doch ein wenig einschüchtern: Sie gelten als bester Koch der Welt, haben drei Michelin-Sterne und eine Ehrendoktorwürde. Kollegen wie Paul Bocuse überschütten Sie mit Komplimenten: Sie hätten die Kochkunst revolutioniert.

Adrià: Ich werde wirklich nicht allzu oft von anderen zum Essen eingeladen. Damit muss ich wohl leben. Dabei bin ich ein ganz normaler Mensch, der traditionelle, einfach zubereitete Gerichte sehr schätzt.

SZ: Sie gelten als Erfinder der Molekularküche. In Ihrem neuen Buch "Ein Tag im El Bulli", das Einblick in den Alltag Ihres Restaurants gibt, findet man den Begriff indes nirgendwo. Warum?

Adrià: In Spanien spricht kein Mensch von Molekularküche, den Begriff gibt es nur in Deutschland und den USA. Das heißt noch nicht mal, dass ich ihn nicht mag. Er ist nur einfach unzutreffend.

SZ: Dafür hält er sich aber doch ganz schön hartnäckig. Was soll das denn sein, die Molekularküche?

Adrià: Ich nehme an, der Begriff hat sich festgesetzt, weil es die einfachste Art war, zu beschreiben, dass wir im El Bulli etwas Neues machen. Unsere Küche auf den Einsatz von Flüssigstickstoff, Gefriertrocknung oder Ähnliches zu reduzieren, ist aber lächerlich.

SZ: Ihr Kollege und Landsmann Santi Santamaría hat Sie unlängst schwer angegriffen: Ihre Küche verfolge vor allem das Ziel, Leute zu beeindrucken. Wie viel Chemie muss denn nun sein?

Adrià: Natürlich arbeiten wir mit verschiedenen Stoffen, um die Textur von Speisen zu verändern. Aber dieser Teil unserer Arbeit macht im Gesamtbild vielleicht drei, vier Prozent aus! Dass wir ein Chemielabor betreiben, ist eine Legende. Jeder, der in meine Küche kommt, sieht: Es geht viel mehr um Handwerk und Präzision als um Wissenschaft und Chemie. Wir arbeiten sehr vielseitig.

SZ: Was Ihnen jedes Jahr für die insgesamt 8000 Plätze zwei Millionen Anfragen beschert. An 160 Abenden je 50 Gäste, mehr passen ins el Bulli nicht hinein. Warum vergrößern Sie nicht?

Adrià: Ich weiß, es enttäuscht viele, dass wir nicht mehr Gäste annehmen. Aber das, was wir tun, würde sonst seine Reinheit verlieren. Es geht nicht anders.

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Radikales Genießen

SZ: Sie schreiben, jedes Gericht habe eine Aussage. Was ist die Botschaft von Seeanemonen mit Austern und Kaninchenhirn?

Adrià: Dieses Gericht erzählt von der Geschichte, Kultur und Tradition unseres Landes, ist gleichzeitig sehr radikal - und damit im Hier und Jetzt.

SZ: Können Sie das erklären?

Adrià: Seeanemonen werden in Andalusien traditionell frittiert gegessen. Wir haben sie gedämpft, um mehr von ihrem Geschmack zu erhalten. Sie stehen für Kultur und Geschichte. Kaninchenhirn haben wir im El Bulli schon seit 20 Jahren auf der Speisekarte. Es ist geschmacklich viel besser als Kalbs- oder Lammhirn - und schafft Harmonie zur Textur der Seeanemone. Die Auster dient dazu, den Meeresgeschmack noch zu verstärken.

SZ: Wofür steht sie?

Adrià: Wir haben in Katalonien die Gewohnheit, Scampi die Köpfe auszusaugen. Diese Kultur, Frische zu genießen hat auch etwas sehr Radikales. Das steckt im Gericht. Und Seeanemonen gab es in der Haute Cuisine bislang nicht. Damit sind wir einen radikalen Schritt gegangen. Ich versetzte etwas Traditionelles, Alltägliches an einen anderen Ort.

SZ: Sie schreiben, jedes Gericht fordere zum Nachdenken und Analysieren auf.

Adrià: Schon während der Testphase wusste ich, dass dies ein schwieriges Gericht für den Gast sein wird. Wer nicht will, muss unsere Seeanemonen aber nicht essen! Wir fragen vorher. Viele Gäste haben es nicht verstanden, andere waren mutig und probierten. Es ist also eine Herausforderung, eine Mutprobe. Eigentlich will ich mit dieser Kombination Harmonie ausdrücken ...

SZ: Es klingt wenig harmonisch, wenn Sie davon ausgehen, dass viele dieses Gericht nicht gerne essen werden!

Adrià: Es ist vielleicht eine fremdartige Harmonie, aber für sie will ich Interesse wecken. So ist es doch im Leben. Manche Dinge scheinen einem fremd zu sein, doch wenn man sich auf sie einlässt, erkennt man, wie viel Genuss oder Freude sie einem bereiten können.

SZ: Seit letztem Jahr kooperieren Sie mit der Harvard University im Rahmen eines "Cooking and Science Dialogue." Wie kann man sich das vorstellen?

Auf der nächsten Seite: Der Austausch von Wissenschaft und Küche

Mit Olivensphären vor dem Fernseher

Adrià: Es geht um einen Austausch zwischen Wissenschaft und Küche.

SZ: Was soll das bringen?

Adrià: Ein Beispiel: Es gibt sieben oder acht Texturmittel, die wir gebrauchen und die unser Verständnis von Kochen revolutioniert haben. Geliermittel etwa werden beim Backen seit 50 Jahren gebraucht. Wir haben sie nur anders angewandt, und darüber sind wir mit Wissenschaftlern im Dialog. Die größere Revolution wird es aber sein, wenn sich asiatische Produkte stärker in Europa durchsetzen. Die Verwendung von Algen zum Beispiel. Damit haben wir im El Bulli vor ein paar Jahren begonnen.

SZ: Wie viel Ihrer eigenen Erfindungen muten Sie sich selbst zu? Sitzen Sie manchmal mit einer Schale Olivensphären vorm Fernseher?

Adrià: Nein. Ich esse das Menü einmal pro Woche im El Bulli in der Küche. Was meine Gäste empfinden, will ich auch spüren: die einzelne Sequenz, die Abfolge der Speisen. Ansonsten esse ich ganz normal. Und das sehr gerne. Es ist wichtig, dass das Essen aus unserer Küche auch für mich etwas Besonderes bleibt. Sonst kann ich mich nicht mehr in meine Gäste hineinversetzen.

b>SZ: Wenn man Ihr Buch durchblättert, fällt auf: Frauen in der Küche sind entweder Gastköchinnen oder Praktikantinnen. Keine einzige ist in einer leitenden Position. Wie kommt das?

Adrià: Für mich ist es kein Unterschied, ob ich in der Küche mit einem Mann oder einer Frau zusammenarbeite. Hauptsache, die wichtigen Faktoren stimmen: Talent, Motivation, gut im Team zu sein. Die vier, fünf Frauen, die im Laufe der Jahre eine wichtigere, führende Rolle hätten übernehmen können, wollten lieber eine Stelle, die Privatleben zulässt. Während der 140 Tage, die wir im Jahr geöffnet haben, gibt es nur das Restaurant - keine Zeit für Familie oder Freunde. Und es gibt viele Menschen, die so nicht leben wollen.

SZ: Was sagt Ihre Frau dazu?

Adrià: Ach, ich mache es an den restlichen 215 Tagen wieder gut. Wir haben keine Kinder, das macht es uns leichter als Köchen oder Köchinnen, die auch Verpflichtungen als Eltern haben.

SZ: Werfen Sie für uns doch bitte mal einen Blick in die Zukunft. Welches Produkt der Lebensmittelindustrie wird Karriere machen?

Adrià: Frischgepresste Säfte, die man wie Softdrinks im Supermarkt kaufen kann. Es gibt eine neue Hochdrucktechnik, die den Geschmack erhält. Und salzige Eiscremes. In der Haute Cuisine sind Gazpacho- oder Basilikum-Sorbet fester Bestandteil, das wird sich im Mainstream durchsetzen.

SZ: Es gibt Gerüchte, dass Sie sich im Jahr 2012, wenn Sie 50 Jahre alt sind, aus dem El Bulli zurückziehen wollen.

Adrià: Na ja, heute sage ich lieber doch: nein. Wir fühlen uns noch frisch und haben Elan.

SZ: Wie lange halten Sie es aus, nicht selbst zu kochen?

Adrià: Nicht lange, gar nicht lang.

SZ: Und was machen Sie, wenn im El Bulli wirklich Schluss ist?

Adrià: Ich könnte meine Erfahrung der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen und mich auf die Ausbildung anderer konzentrieren.

Das Buch "Ein Tag im elBulli: Einblicke in die Ideenwelt, Methoden und Kreativität von Ferran Adrià" ist im Phaidon Verlag erschienen.

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