Feminismus:"Muslimische Frauen kennen oft ihre eigene Religion nicht"

Muslim

Kopftuchtragende Feministinnen? In Deutschland kommt das vielen komisch vor.

(Foto: dpa)

Islamischer Feminismus - geht das überhaupt? Eine Tagung in Berlin geht dieser Frage nach und bietet Einsicht in eine wenig bekannte Bewegung.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Wer spricht und wer schweigt? Wer wird gehört, wessen Stimme verhallt? Muslimische Frauen waren in Deutschland lange stumm, andere redeten für sie, über sie - so beklagen es jene, die nicht mehr stumm sein wollen. Sie sehen sich häufig mit der Frage konfrontiert: Feminismus und Islam, geht das überhaupt? Antworten auf diese Frage suchten auch die Teilnehmer der Tagung "Islamischer Feminismus - Internationale Annäherungen", die nun in Berlin stattfand.

Eine feministische Konferenz, auf der ein Großteil der Rednerinnen Kopftuch trägt, ist immer noch ungewohnt im Deutschland des Jahres 2016. Ausnahmslos beschreiben die Teilnehmerinnen ein Spannungsfeld: Für den nicht muslimischen Teil der Gesellschaft seien sie Opfer ihrer Männer. Und für die eigene Community seien sie, die aufbegehrten gegen überholte Traditionen, häufig Nestbeschmutzerinnen.

"Wollen nicht befreit werden"

"Muslimische Frauen wollen nicht befreit werden": Mit dieser These eröffnet Tuba Işık vom "Aktionsbündnis muslimischer Frauen" die Tagung, die ihr Verein mit der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet. Organisiert hat sie die Journalistin Kübra Gümüşay. Klar, die Botschaft geht an die Nicht-Muslime im Publikum, stellvertretend für die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Daher auch der Appell von Mitorganisator Dietmar Molthagen von der FES: "Lassen Sie zu, dass Sie sich auf andere Sichtweisen einlassen."

Das klingt einerseits ein wenig unsicher und zeigt andererseits, was die Besonderheit dieser Veranstaltung ausmacht. Die Konferenz bricht mit den hierzulande vertrauten Diskussionsmustern à la "Ist der Islam gut oder schlecht?" und bietet stattdessen den Blick hinein in eine Bewegung, die explizit versucht, Religion und Feminismus zu verbinden.

Der Blick nicht-muslimischer Feministinnen auf ihr islamisches Gegenüber spielt allenfalls am Anfang eine Rolle, als Ina Czyborra, Frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, ihren Weg in den Feminismus schildert. "Ich habe mich vor vielen Jahren gefragt, ob ich eine katholische Feministin sein kann. Und schließlich für mich entschieden: wohl eher nicht." Die Abkehr von der Religion, wie Czyborra sie beschreibt, ist typisch für viele Feministinnen des Westens. Und erklärt auch, warum es ihnen häufig leichter fällt, mit Feministinnen anderer Kulturkreise einen gemeinsamen Nenner zu finden, die dem Glauben endgültig den Rücken kehrten - Stichwort: Kopftuchstreit.

Kämpfe nach innen und außen

Aber was ist mit den anderen? Von den Kämpfen, die sie austragen, berichten die Rednerinnen aus Deutschland, Frankreich, Belgien und den USA. Da ist zum Beispiel Hanane Karimi, Wissenschaftlerin an der Universität Straßburg. Die auf Ethik spezialisierte Soziologin kritisiert in ihrem Vortrag das Kopftuchverbot an französischen Schulen. "Emanzipation, das müssen effektive Maßnahmen sein, die das Leben von Frauen verbessern", sagt sie. Das Kopftuchverbot habe die gegenteilige Wirkung: Es verunsichere junge islamische Frauen, bringe sie im schlimmsten Fall dazu, nur Jobs anzunehmen, in denen sie nicht öffentlich sichtbar seien. Oder gleich zuhause zu bleiben. Der weibliche Körper wird zur Kampfzone.

Von diesen Beobachtungen schlägt Karimi sogleich einen Bogen zum Umgang mit dem Thema in vielen muslimischen Ländern, wo der weibliche Körper aus dem öffentlichen Raum verbannt werde. "Wenn Frauen in den männlich geprägten öffentlichen Raum eindringen, dann zerstören sie die Vorstellung einer Gesellschaft, die sie an ihre Häuser bindet", sagt die Soziologin. Eine Vorstellung, die nicht nur in muslimisch geprägten Herkunftsländern herrscht, wie Karimi weiß - sondern von dort oft nach Europa mitgebracht wird. Gemeinsam mit anderen Frauen protestierte Karimi vor einiger Zeit in der Großen Moschee in Paris dagegen, dass Frauen dort nur im Untergeschoss beten dürfen.

Mit demselben Problem beschäftigt sich das Projekt von Podiumsteilnehmerin Hind Makki. Auf Tumblr vergleicht sie Bilder von den Frauen vorbehaltenen Räumen in Moscheen auf der ganzen Welt mit denen der Männer, um auf die Ungleichbehandlung hinzuweisen. Von ihrer eigenen Community wurde ihr vorgeworfen, in der Öffentlichkeit "schmutzige Wäsche zu waschen". Ähnlich erging es den Pariser Frauen um Karimi. Ihnen gelang es nicht, die Männer der Moschee dafür zu sensibilisieren, dass der Gebetsraum im Untergeschoss Frauen benachteilige. Die Pariser Rebellinnen planen nun, eine eigene Moschee nur für Frauen zu eröffnen, erzählt sie. "Wir brauchen einen Ort für Austausch, für Dialog."

Die Bedeutung von Hautfarbe und Sexualität

Was muslimische Frauen auch noch brauchen: Bildung. Das ist die Kernbotschaft der US-Amerikanerin Anse Tamara Gray, Gründerin des Bildungsnetzwerkes Rabata.org. "Muslimische Frauen kennen oft ihre eigene Religion nicht, können den Koran nicht lesen", sagt sie, die 20 Jahre in Syrien lebte und dort die islamische Religion und ihre Traditionen studierte. Wenn Frauen zum Beispiel kein Arabisch verstünden, seien sie auf Koran-Übersetzungen von Männern angewiesen - "und die sind häufig sexistisch." Nur wer die eigene Religion und ihre Grundlagen kenne, könne Religion und Feminismus überhaupt miteinander verbinden.

"Viele Frauen trauen sich nicht, Forderungen nach Gleichberechtigung zu stellen, weil sie denken, sie verstoßen damit gegen die Regeln des Islam", sagt sie. Dabei sei es zum Beispiel in dessen Tradition, dass Frauen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, Bildung erlangen. Gray warnt davor, die zweifellos vorhandenen kulturellen Probleme in mehrheitlich muslimischen Ländern automatisch mit dem Islam als Religion zu verbinden. Auch das post-koloniale Trauma vieler dieser Länder spiele eine Rolle für die Verunsicherung der Frauen. "Sie haben Angst, mit ihren Forderungen westlich zu erscheinen, sich auf die Seite der alten Kolonialmächte zu stellen."

Finanzielle Unabhängigkeit als Ziel

Soweit die Besonderheiten des islamischen Feminismus'. Grays Vortrag beinhaltet aber auch Aspekte westlicher Debatten: So pocht die Expertin für Bildung muslimischer Frauen auf deren finanzielle Unabhängigkeit als einen der wichtigsten Faktoren. Bislang blieben viele Frauen auf der ganzen Welt in von Gewalt geprägten Beziehungen, weil sie es sich schlicht nicht leisten könnten, ihren Mann zu verlassen.

Auch andere Probleme des islamischen Feminismus scheinen vertraut. Es sei ja ganz schön, auf Konferenzen über Feminismus zu reden, doch den Großteil der muslimischen Frauen erreiche man damit nicht, wirft eine Zuschauerin ein. Muss der islamische Feminismus in Deutschland nicht eher mit den Verbänden zusammenarbeiten? In die Moscheen gehen? "Wie kommen wir ran an die Ayşe-Tante?", ruft die Rednerin und erntet einige Lacher. Doch die Frage kennen natürlich auch westliche Feministinnen.

Und wer darf überhaupt sprechen für den islamischen Feminismus? Auch in der muslimischen Community gebe es Hierarchien, sagt eine Zuhörerin aus dem Publikum. "Ich habe Angst, dass wir diese Hierarchien fortschreiben, wenn wir immer nur weiße Muslimas sprechen lassen", sagt sie. Der Feminismus ließe sich auch in seiner islamischen Ausprägung nicht diskutieren, ohne sich zugleich über Rassismus, Klassen- und Bildungsunterschiede Gedanken zu machen.

Getrennt marschieren, gemeinsam zuschlagen

Bei einigen Rednerinnen hat sich da einiges an Frust aufgestaut - nicht zuletzt gegenüber etablierten Institutionen und Medien, die auswählten, mit welchen Muslima die Diskussion überhaupt geführt werde. Sie kritisieren explizit die Friedrich-Ebert-Stiftung als Veranstalter von Tagungen. Wo sind zum Beispiel die queeren Muslimas? Wo die schwarzen? Wer redet mit Alevitinnen? Mit denen, die gegen den amerikanischen Imperialismus kämpfen? Oder mit denen, die Fluchterfahrung haben? "Unsere Bewegungen sollten stets von den Mitgliedern der Community geführt werden, die am stärksten marginalisiert sind", schlägt eine Diskutantin aus dem Publikum vor.

In letzter Konsequenz hieße das wohl, dass keine der Podiumsteilnehmerinnen der FES-Tagung dort sitzen dürfte. Sei es, weil sie weiß und heterosexuell sind, einer Mehrheitsströmung des Islam angehören oder schlicht das Privileg genießen, in einem reichen Land geboren zu sein.

Derartige Diskussionen kennen nicht nur islamische Feministinnen, sie sorgen auch im westlich geprägten Feminismus für das, was oft als "Grabenkämpfe" verspottet wird. Daran erinnert die Berliner Politikerin Ina Czyborra: In Deutschland stritten sich proletarische mit bürgerlichen Feministinnen, lesbische mit heterosexuellen. Manchmal müsse man einfach "getrennt marschieren und gemeinsam zuschlagen", findet die SPD-Abgeordnete. Im Falle der proletarischen und der bürgerlichen Feministinnen habe das in Bezug auf das Frauenwahlrecht funktioniert.

Weniger militärisch formuliert es Anse Tamara Gray: "Wir müssen uns unsere Meinungsverschiedenheiten vergeben und zusammenarbeiten in den Themen, in denen wir übereinstimmen." Und einig sind sich die Teilnehmerinnen zumindest darin, dass der islamische Feminismus noch zu wenig zu Wort kommt. Dass es aber gerade jetzt, wo immer mehr muslimische Menschen nach Europa kommen, bitter nötig wäre.

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