Feminismus-Debatte:Wer schlau ist, spielt mit

Alice Schwarzer, Charlotte Roche und Eva Herman: Wie Frauen im Feminismusbetrieb ihr Auskommen sichern.

Juli Zeh

Neulich bin ich bei der Familie einer Freundin zu Besuch. Nach dem Abendessen läuft der Fernseher.

Juli Zeh

Juli Zeh, Jahrgang 1974, ist Schriftstellerin. Zu ihren Werken gehören die Romane "Adler und Engel", "Spieltrieb" und "Schilf".

(Foto: Foto: AP)

"Guckt mal", ruft die Mutter meiner Freundin, "da ist Alice Schwarzer!" Das wäre mir ohne den Hinweis kaum aufgefallen. Ich dachte immer, das Gesicht von Alice Schwarzer würde gewissermaßen ab Werk auf alle Fernsehbildschirme gemalt.

"Früher war die immer so aggressiv", sagt die Mutter meiner Freundin, die übrigens 1942, also im selben Jahr wie Frau Schwarzer, geboren ist. "Inzwischen hat sie aber reden gelernt und lacht auch gern. Hat sich toll entwickelt, die Frau. Sieht auch gut aus für ihr Alter."

Vom Monster zur Marke: Treffender als die Mutter meiner Freundin könnte man die Transformation des deutschen Feminismus wohl kaum zusammenfassen. Alice Schwarzer, das ehemalige "Sturmgeschütz der Gleichberechtigung" (Harald Schmidt, in lobender Absicht), wurde vom Medienbetrieb sauber für die eigenen Reihen rekrutiert.

"Lest ihr eigentlich Emma?"

Meine Freundin und ich sehen uns an. Wir lesen Emma nicht, und wir kennen auch niemanden, der Emma liest. Warum sollten wir auch? Selbst Alice Schwarzer wählt, wenn sie etwas Provokatives über Burma zu sagen hat, nicht ihre eigene Zeitung als Sprachrohr, sondern die FAZ.

Der gute alte Kampf gegen Pornos kinderleicht modernisiert

Einstweilen titelt Emma mit den Gefahren der Online-Sexsucht für den Mann von heute. So lässt sich der gute alte Kampf gegen die Pornographie kinderleicht modernisieren: Man tut einfach ein bisschen Internet dazu. Erkenntnisgewinn und gesellschaftliche Relevanz tendieren trotzdem gegen null.

Die Gründe dafür, warum Alice Schwarzers Medienpräsenz ungebrochen ist, während der klassische Feminismus, den sie verkörpert, in der Bedeutungslosigkeit versinkt, sind simpel.

Frau Schwarzer ist, ob zu Recht oder zu Unrecht, die personifizierte Perpetuierung des weiblichen Opferschemas. Die Reduzierung komplexer Zusammenhänge auf Schwarz und Weiß, das Anbieten handlicher Mann-Frau-Antagonismen passt den Talkshows mit ihrem Parolengestus bestens in den Kram.

Dabei ist das Medienphänomen Schwarzer gerade deshalb so beliebt, weil es als solches den bestehenden Strukturen nicht gefährlich werden kann. Hinter den Kulissen liegen sich sämtliche Protagonisten in den Armen; Schattenboxen ist ihr Geschäft. Deshalb kann Alice Schwarzer heute für Bild werben und von Harald Schmidt, dem Altmeister des chauvinistischen Witzes, einen Publizistikpreis entgegennehmen.

Wenn die Intimrasur zum politischen Problem wird

Einstweilen versucht die nachfolgende Generation unter dem uralten Etikett "neu" eine Wiederbelebung des Feminismus durch Mund-zu-Möse-Beatmung. Die "neuen" Vertreterinnen nennen sich gern "Girls" oder "Mädchen", haben reden gelernt, lachen auch gern und sehen nicht nur für ihr Alter gut aus.

Dagegen wäre an sich nichts einzuwenden; auch nicht gegen das Projekt, den Geschlechterkampf im dualen System der Unterhaltungsindustrie zu recyceln und damit tüchtig Geld zu verdienen. Von mir aus können junge Frauen auch gern ungewaschene Mösen und Vaginasekret in Döschen als eine Form weiblicher Freiheit betrachten - der wahre Kern der Freiheit in unserem Land besteht ja gerade darin, dass wir (fast) jedem Schwachsinn eine Ausdrucksmöglichkeit zugestehen.

Ärgerlich wird es, wenn durch die Verwendung des Begriffs "Feminismus" andere Frauen in Sippenhaft genommen und Alleinvertretungsansprüche behauptet werden. Vielleicht befreit es von einem gewissen psychischen Druck, die totale Reduzierung der Frau auf ihren Körper eigenhändig zu Ende zu führen, indem man Intimrasur zu einem politischen Problem erhebt.

Wer schlau ist, spielt mit

Es gibt aber Leute, mich zum Beispiel, die damit nichts zu tun haben wollen. Wenn öffentliche Selbstentwürdigung durch Vertierung ("Vagina Style") oder Infantilisierung ("neue Mädchen") tatsächlich das wäre, was von weiblicher Freiheit im 21. Jahrhundert übrigbliebe, dann gute Nacht.

alice schwarzer emma- herausgeberin dpa

Alice Schwarzer

(Foto: Foto: dpa)

Sämtliche Frauen, die ich kenne, ziehen es glücklicherweise vor, sich wie erwachsene Menschen zu benehmen und ihre Freiheit vor allem im Bereich des Geistigen zu suchen. Sie fühlen sich weder als Opfer noch als "Emanzen" oder "Alphamädchen" und empfänden derartige Bezeichnungen als latente Beleidigung.

Traurig ist, dass hinter dem Geschlechter-Remmidemmi die tatsächlich vorhandenen Missstände (nach wie vor fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie, frappierende Unterschiede bei den Gehältern) weitgehend unangetastet bleiben, und das gerade weil sie auf den Müllhalden der Feminismusdebatte so bequem liegen.

Vom leicht muffigen Geruch befreit

Die deutsche Gesellschaft ist ein wahrer Profi des Selbstbetrugs, wenn es um ihre Modernisierungsfähigkeit geht. Das Auftreten einer Figur wie Eva Herman hat in den letzten Jahren anschaulich gezeigt, wo wir stehen. Leider helfen beim kollektiven Selbstbetrug Begriffe, bei deren öffentlicher Verwendung es immer um Schuldzuweisungen, Täter-Opfer-Schemata, Generationenkonflikte und ums Rechthaben geht. Sie betonieren überflüssige Fronten und stehen pragmatischen Lösungsversuchen im Weg.

Der "Feminismus" ist ideologisch behaftet und wird sich von seinem leicht muffigen Geruch auch nicht durch das Hinzufügen der Attribute "neu" oder "jung" befreien lassen.

Viel eher wäre es an der Zeit, "Frauenfragen" als Gesellschaftsfragen zu betrachten und sie damit aus dem toten Winkel herauszuholen. Eine Fahrt nach Holland oder Schweden sagt mehr über die Möglichkeiten von angewandter Gleichberechtigung im alltäglichen Berufs- und Familienleben als zehn Talkshows mit Alice Schwarzer oder Charlotte Roche. Die Probleme sind bekannt, für die Lösungen gibt es Beispiele. Worauf warten wir also noch?

Immer erst einmal darauf, wer gewinnt.

"Ha!", ruft die Mutter meiner Freundin und zeigt auf die Mattscheibe. "Jetzt hat sie's dem alten Chauvi aber tüchtig gegeben!"

Was muss die Welt schön gewesen sein, als es noch alte Chauvis und hässliche Emanzen gab. Immerhin haben wir dafür dreckige Mösen und zu kleine Schwänze.

In der Sehnsucht nach Einfachheit treffen sich Vergreisung und Infantilisierung unserer Gesellschaft auf wundersame Weise. Wer schlau ist, spielt mit und schöpft ab.

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