Fashion Week Paris:Meuterei in Paris

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Bei den Schauen an der Seine führen Punks und Seeräuber hohe Schneiderkunst vor - manches Design aber wirkt erschreckend gewöhnlich.

Peter Bäldle

Ausgerechnet mit einer "Nacht in Florenz", von Roberto Cavalli anlässlich seines 40. Jubiläums spektakulär in Szene gesetzt, beginnen in Paris die Schauen für Frühjahr/Sommer 2011. Feuerwerksraketen explodieren per Projektion auf der Neo-Renaissance-Fassade der Kunstakademie, in der Kerzen die Gäste an angestrahlten Roben und Statuen vorbei zur Party im Innenhof leiten. Dort erreicht der Abend zwischen Palmen und zebragestreiften Polstern seinen Höhepunkt, als nach strippenden Crazy-Horse-Girls eine anmutig zwitschernde Kylie Minogue im weißen Göttinnenkleid auftritt, einen schmachtenden Cavalli zu ihren Füßen.

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Umso schneller aber findet am Morgen danach die Mode wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Ausgerechnet Balenciaga und Balmain, die beiden Konkurrenten im Wettstreit um den Führungsanspruch, lassen sich diesmal von derselben Quelle inspirieren: dem Punk der frühen Jahre, als Madonna noch Doc-Martens-Stiefel trug.

Und so lässt Nicolas Ghesquière für Balenciaga seine Mädchen in derben Halbschuhen mit genagelten, flachen Profilsohlen über schwarzlackierte Bohlen stapfen. "Vielleicht werden sie einmal als 'High-Heels-Killer' in die Modegeschichte eingehen", bemerkt er lachend nach der Schau. Seine Muse jedenfalls, die Schauspielerin Charlotte Gainsbourg, findet sie herrlich bequem.

Lack, Sicherheitsnadeln, Spitze

Natürlich wird Punk bei Balenciaga auf Couture-Niveau interpretiert. Und so zeigen kurze Mäntel nassglänzende, grafische Hahnentrittmuster, und Motorradjacken aus rotem Lackleder begleiten weiße Männerhemden mit metallisch schimmernden Kragenspitzen. Ghesquières Kombinationen sind ein Wechselspiel aus maskulinen und femininen Elementen, aus festen Materialien und schleierhafter Durchsicht. Dabei nehmen Neoprenwesten fein gemusterten Organzablusen die Transparenz, während Miniröcke aus Leder durch Einblicke überraschen.

Wird Ghesquières Punk-Chic durch Schneiderkunst geadelt, so jagt ihn Christophe Decarnin bei Balmain durch den Reißwolf in die Trash-Ecke. Wieder einmal zeigen Netzstrumpfhosen und Seidenleibchen Löcher, Sicherheitsnadeln halten sie zusammen. Auch Denim-Miniröcke mit gerissenem Saum sind dicht mit blitzenden Nieten gespickt. Jeans hingegen, ob aus rotem Metallic-Leder oder wie durch den Dreck gezogen, sind so eng, als hätte man sie auf die Haut gepinselt. Dazu zeigen Blazer Männerschultern, Motorradblousons kommen ganz ohne Polster aus. Und vom Band grölen die Sex Pistols in Endlosschleife: "I did it my way!"

Das mag sich auch John Galliano gedacht haben, als er beschließt, Marlon Brandos Südseeabenteuer in dem Film "Meuterei auf der Bounty" bei Dior stattfinden zu lassen. Das Ergebnis sind Sommerkleidchen mit kurzen Volantröcken in Karibikfarben für Palmwedel und Orchideen, die auf jedem Traumschiff "bella figura" machen. Weiße Parkas und kastige Seemannsjacken bieten Schutz, Shorts und weite Matrosenhosen sorgen für Abwechslung. Das sieht alles so frisch und verständlich aus, dass man schon während der Schau die Verkaufskassen klingeln hört. Käpt'n Galliano jedenfalls, mit Seemannsmütze und zu Zöpfen geflochtenen Haaren, scheint zufrieden. Die Mode aber bringt all dies keinen Schritt weiter.

Der Druck, global verkaufen zu müssen, lastet auf den Kollektionen. Die Deutschfranzösin Isabel Marant, als "Designerin der bürgerlichen Bohème" in den anglo-amerikanischen Modemagazinen gehypt, zeigt so viele Jeansshorts mit Netzshirts unter Blümchenblusen, dass man am Ende glaubt, immer dasselbe gesehen zu haben. Ihre Mode wirkt so vertraut, als hätte sie jetzt schon die Straße erobert.

Allerweltsmode und Jerseykleider

Auch Karl Lagerfeld entwirft für Diego Della Valles Hogan-Sneakers eine Serie von nüchternen, grauen Allwetterjacken, die aussehen, als wären sie nie weg gewesen. Dies aber wird mit einem Cocktail in einer ebenso nüchternen Halle tüchtig gefeiert, einer Mischung aus Einkaufspassage und Versicherungstempel, wozu sich tout Paris bereitwillig einfindet. Der wahre Grund dafür ist aber des Meisters erster Werbefilm "Der Brief" mit Baptiste Giabiconi in der Hauptrolle, jenem Jüngling, der den großen Karl zu neuen Ufern aufbrechen lässt. In Schwarz/Weiß gedreht, habe er sich von den Regisseuren der Nouvelle Vague aus den sechziger Jahren inspirieren lassen, was bedeutet, dass Karls Welle so neu auch nicht mehr ist.

"Ich habe alles geändert", stammelt hingegen ein erschöpfter Alber Elbaz am Ende seiner fulminanten Schau für Lanvin. Und in der Tat beschreitet er neue Wege: klarlinig, dem Körper folgend oder ihn umflutend, dabei stets gnadenlos modern. Aufregende Drapé-Effekte erzielen Stoffbahnen an schlichten Jerseykleidern, und hüftlange Jacken mit Fledermausärmeln begleiten kurze Röcke über Leggings.

Neu sind auch superweite, knöchellange Hemdenkleider und durchplissierte Stoffe in winterlich anmutenden Farben wie Nussbraun, Graphitgrau und Weinrot, was Giftgrün und Fuchsia zuweilen durchbrechen. Überglücklich küsst Elbaz den Striptease-Star Dita Von Teese, und eine weiße Rose schenkt er der Schauspielerin Clotilde Courau, die mit dem Enkel des letzten italienischen Königs verheiratet ist und derzeit im Strip-Tempel "Crazy Horse" erotische Lieder zum Besten gibt. Aufregend, aber vollständig angezogen von Roberto Cavalli aus Florenz.

© SZ vom 04.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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