Fashion Week Berlin:"Deutschland ist ein modisches Entwicklungsland"

Eine Moderatorin sprach auf der Berliner Fashion Week aus, was das europäische Ausland schon lange von uns denkt. Und es stimmt: deutsche Mode - ein Drama.

Katharina Höller

Unberührte Orte, häufig der Baufälligkeit nahe, werden von findigen Kreativen entdeckt, die dort wie aus dem Nichts plötzlich Kultur und Underground zelebrieren - dafür ist die Hauptstadt bekannt. Hugo Boss nutzt diese Besonderheit Berlins schon seit der ersten Fashion Week im Sommer 2007 und übertrumpft sich selbst, was die extravaganten Locations seiner Defilees anbelangt. So war auch der Auftakt dieser Fashion Week mit der modisch progressiven HUGO-Kollektion fulminant.

Fashion Week Berlin: Janin Reinhardt sprach als Moderatorin des Karstadt New Generation Award aus, was  europäische Nachbarn schon lange von uns denken: "Deutschland ist ein modisches Entwicklungsland". Und leider gibt das Schluss-Kleid von Designerin Sisi Wasabi, die sich von Asterix & Obelix inspirieren ließ, allen Vorurteilen Recht.

Janin Reinhardt sprach als Moderatorin des Karstadt New Generation Award aus, was europäische Nachbarn schon lange von uns denken: "Deutschland ist ein modisches Entwicklungsland". Und leider gibt das Schluss-Kleid von Designerin Sisi Wasabi, die sich von Asterix & Obelix inspirieren ließ, allen Vorurteilen Recht.

(Foto: Foto: ddp)

Prominenz - mehr national als international - und Presse chauffierte Boss zum abgelegenen Westhafen, wo Designer Bruno Pieters das industrielle Flair der zwanziger Jahre zum Leben erwecken wollte. Inspiriert vom Bauhaus-Stil, unterstrich das Ambiente der Peter-Behrens-Architektur sehr gut die kühle, nüchterne Ausstrahlung der Mode des Belgiers. Einfarbige, androgyne Looks in Blau, Schwarz, Weiß und Beige wurden präsentiert von internationalen Models wie Tanya Dziahileva und Alana Zimmer.

Auch die Gäste waren vereinzelt hochkarätig: "Sex and the City"-Darstallerin Kim Catrall saß neben Rupert Everett, während Hollywood-Sternchen Mischa Barton für begeisterte Fotografen posierte. Sogar deutsche Fußballer zeigten sich modebewusst: Nationalspieler Christoph Metzelder kam im Cardigan gepeppt mit schwarzem Lederschlips - und erklärte vogue.de, was sich einige seiner Kollegen noch hinter die Ohren schreiben sollten: "Ein Spieler bewegt sich heutzutage nicht nur auf dem Platz, er muss sich und seinen Verein repräsentieren. Deswegen ist Mode für den Fußball wichtig."

Auch für Berlin ist Mode eine runde Sache. Die Stadt profitiert von den Designern vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Deshalb weckt Berlin mit aller Macht Mythen der Vergangenheit zu neuem Leben: Die Hauptstadt war in den zwanziger Jahren über deutsche Grenzen hinaus als Stadt der Konfektion bekannt. "Mit der Fashion Week wollen wir an die historischen Wurzeln anknüpfen und an der nächsten Renaissance des Modestandorts arbeiten", sagt Harald Wolf, Senator für Wirtschaft, Technologie und Frauen.

Prominenter Ort für die Auferstehung der Modestadt war der Bebelplatz an der Prachtmeile Unter den Linden. Zwischen Staatsoper und Alter Bibliothek wurde binnen kürzester Zeit ein großes weißes Zelt als Zentrum des Geschehens aufgebaut. Es erinnerte sehr an die Mutter aller Fashion Weeks, die im historischen New Yorker Bryant Park ebenfalls in Zelten abgehalten wird. Die Idee, ein derart glamouröses Szenario nachzuahmen, ist natürlich gut. Trotzdem sahen die weißen Planen neben der Staatsoper nach Volksfest aus und wirkten etwas deplatziert.

Diese Location war vielleicht einer der Gründe, weshalb namhafte Designer ihre Kollektionen anderswo vorstellten: Am Abend des ersten Tages zeigte sich Joop!Jeans im abgelegenen, verfallenen Wriezener Bahnhof von seiner besten Seite. Die Front Row war mit den Schauspielerinnen Andrea Sawatzki, Anna Maria Mühe, Nicolette Krebitz und Catherine Flemming gut besetzt. Für den Creative Director Dirk Schönberger, der seit einem Jahr im Amt ist, liefen mit Natasha Poly und der deutschen Newcomerin Toni Garrn gleich zwei internationale Topmodels über den Laufsteg. Um den ersten Modetag gebührlich zu beenden, wurde danach in der berühmt-berüchtigten Panorama Bar zu Klängen des französischen DJ-Teams Justice kräftig weitergefeiert.

"Deutschland ist ein modisches Entwicklungsland"

Dementsprechend niedrig war die Promi-Dichte am nächsten Morgen bei Basso&Brooke. Schade eigentlich, denn der Brite Christopher Brooke und sein brasilianischer Kompagnon Bruno Basso zeigten eine beeindruckende Retrospektive ihrer letzten Arbeiten. Die Designer sind berühmt für bunte Kunstwerke aus Stoffen, deren Muster sich scheinbar beißen - und dabei dennoch zu einer Einheit verschmelzen. Gewürdigt hat ihre Arbeit bereits das New Yorker Metropolitan Museum of Art, indem es Outfits für die hauseigene Kostümsammlung kaufte. Zur Show in Berlin wurden die Reihen leider nicht voll.

Steigende Besucherzahlen waren nachmittags zur Offsite-Präsentation der Berliner Designerin Bernadett Penkov zu verzeichnen. Sie hatte sich mit der Königlichen Porzellan Manufaktur zusammengetan, um eine sehr künstlerische Fusion von Mode und Porzellan vorzustellen. "Letzten Endes habe ich die Mitarbeiter wohl an den Rand des Wahnsinns getrieben, weil sie innerhalb von vier Wochen zehn Objekte für mich fertigen mussten", erzählt Bernadett Penkov über das Projekt. Die Absolventin der Berliner Modeschule Esmod hat Auszeichnungen wie den "Moët & Chandon Fashion Debut" und den "Who's Next Talent Award" aus Paris erhalten und zeigt ihre Arbeit eigentlich auf der Fashion Week in London. "Dort läuft die Modewoche schon professioneller ab, auch weil die Strukturen schon vorhanden sind."

Ihre weißen Kleider vereinten Spitze und Porzellan, was sie zart und zerbrechlich wirken ließen. Die bemitleidenswerten Models mussten während der Präsentation absolut still stehen und wurden dabei von Besuchern und Fotografen umringt. Sogar anfassen konnte man die Haute-Couture-Kleider, wenn man sich nicht dabei erwischen ließ - Mode hautnah sozusagen. "Künstlerische Offsite-Events wie hier machen eine richtige Modewoche aus", schwärmte Silvia Kadolsky, Leiterin der Berliner Modeschule Esmod. "Natürlich ist es schön, ehemaligen Schützlingen zuzusehen, wie sie sich entwickeln." Nicht nur die Mentorin bestaunte Penkovs Kollektion, auch Ex-Vogue-Chefredakteurin Angelika Blechschmidt stattete der Berlinerin einen Besuch ab.

Das hohe Niveau hielt sich beim Karstadt New Generation Award, der jungen Designern die Möglichkeit gibt, eine Kollektion für das bekannte Warenhaus zu entwerfen. Esther Perbandt überzeugte mit aufwendigem Flechtwerk und Boessert/Schorn mit ihrer Verarbeitung von Batikstoffen, die zuletzt gar nicht mehr als solche erkennbar waren. Der Gewinner Marcel Ostertag experimentierte mit Perlen und Federn und wagte sich somit an eine der Königsdisziplinen in der Mode.

Nur das Stuttgarter Label "Blutsgeschwister" - dem Namen nach wohl am bekanntesten - ging daneben völlig unter. Ihre karierten Hemdchen standen zwar Germany's Next Topmodel Barbara Meier recht gut, hätten so aber genauso gut in der Kinderabteilung von H&M hängen können.

Der Freitagabend bot mit Michalsky und Unrath & Strano wieder zwei große Namen, wobei letzteres Design-Duo den Erwartungen nicht gerecht wurde. Die Kollektion hinterließ keinerlei bleibenden Eindruck - im Gegenteil: Das Sammelsurium schlechter Kopien aus alten Gucci und Versace-Kollektionen sollte man getrost vergessen. Einziger Lichtblick war mal wieder Model Toni Garrn, die mit ihren 16 Lenzen engelsgleich das Abschlusskleid vorführen durfte.

Die Prominenz ahnte dies wohl zuvor und entschied sich - mit Ausnahme von Kati Witt - für die Michalsky-Show, die offsite in Wedding stattfand. Wolfgang Joop schaute bei seinem Kollegen genauso vorbei wie die Schauspieler Daniel Brühl, Robert Stadlober und August Diehl. Michalsky, der sich anfangs als Creative Director für Adidias verdient machte, trug mit schmeichelnden Farben und Formen dick auf und sorgte damit für die richtige Außenwirkung. Er führte der deutschen Modebranche beispielhaft vor, woran es leider immer noch in dramatischer Weise mangelt: Professionalität und Glamour!

Dem Arbeitsamt sei an dieser Stelle verraten, dass die Berufsgruppe der Promi-Stylisten in Deutschland besonders schlecht vertreten ist. Gut zu erkennen war dieses Defizit an den haarsträubenden modischen Fehltritten, die manche Vorabendserien-Sternchen und Moderatoren sich leisteten: Ganz vorne dabei auf der Liste der "Worst Dressed Promis" der Fashion Week war Hubertus Regout, seines Zeichens Modedesigner in der Telenovela "Verliebt in Berlin". Solariumgebrutzelt und in eine weiße Wurstpelle gehüllt, ließ er keck seinen Hemdkragen offen und zeigte Brusthaare, während ein gläsernen Skorpion an einer Kette um seinen Hals baumelte. Ralf Schumacher kam mit seiner Angetrauten - ihre Oberweite düfte den Airbags seiner Rennautos mittlerweile Konkurrenz machen - und glitzerte in einem Sakko mit Strassapplikationen mit ihr um die Wette.

Das war bei der Show von Sisi Wasabi, die mit ihrem offensichtlich von Asterix & Obelix inspirierten Schluss-Kleid ebenfalls ziemlich daneben lag.

Auch Schauspielerin Dorkas Kiefer sollte vor der Fashion Week vielleicht nicht den Otto-Katalog konsultieren. Ihr olivgrünes Hippie-Kleid zur Show von Kilian Kerner kann man getrost als Beleidigung fürs Auge bezeichnen. Den Rahmen in doppeltem Sinne sprengte jedoch RTL-Heimwerkerkönigin Tine Wittler, die ihre sehr weibliche Figur kurzerhand in eine ihrer Tapeten wickelte. Bei der Präsentation von Bernadett Penkov prostete sie fleißig ihrem Kollegen Regout zu. Sie alle trugen dazu bei, dass das schöne weiße Zelt neben der Staatsoper ab und zu mehr ans Oktoberfest erinnerte als an eine Fashion Week.

Dem Drama entgegenwirkte der "Elle Fashion Star" am Samstagabend im Tempodrom. Das Modemagazin feierte seinen 20. Geburtstag und verlieh erstmalig den "Platinum Fashion Award" - an Karl Lagerfeld für sein Lebenswerk. Burda-Gattin Maria Furtwängler durfte die Laudatio halten, während Claudia Schiffer dem Meister seine Trophäe überreichte. Wenigstens ein bisschen Glanz und Gloria für die Modewüste Deutschland! Modezar Lagerfeld ließ sich jedoch zu keinem Statement über die 3. Berliner Modewoche hinreißen. "Ist das nicht ein bisschen früh?" fragte er.

Mit der Präsentation von Vivienne Westwoods "Anglomania"-Kollektion endete das bunte Treiben in der Hauptstadt. Mit einem persönlichen Auftritt der Designerin rechnete vorab selbst in Insider-Kreisen niemand. Und doch kreuzte die Mode-Omi auf. Über ihr spontanes Kommen in Kenntnis gesetzt wurden die Mitarbeiter ihrer deutschen Agentur scheinbar zuletzt. Oder hatten sie einfach nur vergessen, die Plätze im Zelt nachzuzählen?

Bestimmt 150 Personen zu viel wurden für diese letzte Show gebucht. Alles geladene Gäste, die schließlich das Defilee auf Bildschirmen im Foyer verfolgen mussten. Genauso schlecht vorbereitet auf diese Panne waren die Bars - mit Beginn der Show versiegten die Getränkequellen schlagartig.

Welch peinliche Fehlplanung! Eigentlich sollten die Organisatoren eines so großen Events in der Lage sein, ihre Kapazitäten vorher zu kalkulieren. Aber die Erfahrung zeigt, was eine gute Fashion Week ausmacht: Und das ist Übung, Übung, Übung.

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