Ein Leser fragt:
Seit meine beste Freundin auf den letzten Drücker (mit 43) Mutter geworden ist, erkenne ich sie nicht wieder. Seit vier Jahren dreht sich ihr Leben nur noch um ihre Tochter. Sie sagt, es gehe ihr so gut wie nie. Ich habe selbst ein Kind, kann dieses Aufgehen in der Mutterrolle aber nicht nachvollziehen. Ich sollte mich für sie freuen, in Wahrheit fehlt mir meine Freundin von früher. Was tun? Martha F., Berlin
Drei Experten antworten:
Kirsten Boie: Vorsichtig und ohne Vorwurf ansprechen
Ihre Erfahrung ist gar nicht so selten. Gerade Mütter, die ihre Kinder spät bekommen, organisieren ihr Leben häufig vollkommen um ihr Kind herum. Sie haben schon so viel vom Leben gehabt, dass sie sich nun ganz dem Kind widmen können; ganz anders als jüngere Frauen haben sie ihren Lebenshunger auf Reisen, Partys, Kultur, Karriere, etc. schon einigermaßen stillen können. Für das Umfeld ist das manchmal schwierig - sowohl für kinderlose Menschen wie auch für Eltern, die ihre Kinder gelassener aufgezogen haben, vor allem dann, wenn von jedem erwartet wird, die gleiche Begeisterung für dieses Kind zu zeigen, wie die Mutter sie empfindet (wenn als Mutter auch zu Recht). Leider sehe ich kaum Möglichkeiten, wie Sie Ihre "Freundin von früher" zurückbekommen könnten. Denn, wie Sie schreiben, ist Ihre Freundin ja glücklich mit ihrem Leben. Der Freundin also fehlt Ihre ehemalige Beziehung in der damaligen Form offenbar nicht. Vorsichtig und ohne Vorwurf ansprechen können Sie das Thema natürlich schon - vermutlich hilft aber nur abzuwarten. Denn ganz allmählich wird sich auch Ihre Freundin wieder allem zuwenden, was das Leben sonst noch ausmacht. Auf die Dauer genügt selbst das wunderbarste Kind nicht als alleiniger Lebensinhalt.
Kirsten Boie ist Schriftstellerin und Autorin von mehr als hundert Kinder- und Jugend- büchern, darunter die allseits bekannten und geliebten Geschichten "aus dem Möwenweg" oder die Abenteuer des kleinen "Ritter Trenk".
Jesper Juul: Das arme Kind!
Wie würde wohl Ihre Freundin reagieren, wenn Sie ihr diese Frage zeigen würden, die Sie uns stellen? Oder anders gesagt: Basiert Ihre Freundschaft auf ehrlichen Rückmeldungen oder vielmehr auf Diplomatie? Aus professioneller Sicht ist meine Reaktion allerdings die folgende: "Das arme Kind!" Das einzige und so bedeutsame Kind im Leben dieser Mutter zu sein, ist ein lähmende Bürde. Es ist nicht nur für eine Vierjährige ungesund, in so einer engen Symbiose mit einem Elternteil zu leben, sondern für beide - egal, wer gerade mehr an persönlicher Freiheit opfert.
Jesper Juul ist Vater, zweifacher Großvater und Familientherapeut in Dänemark. Er hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben, darunter den in 14 Sprachen übersetzten Bestseller "Dein kompetentes Kind".
(Foto: Anne Kring)Jesper Juul ist Familientherapeut in Dänemark und Autor zahlreicher internatio- naler Bestseller zum Thema Erziehung und Familie.
Katia Saalfrank: Es gibt drei Möglichkeiten
Verstehe ich Sie richtig, dass Sie eigentlich seit vier Jahren schon in dieser Freundschaft "durchhalten"? Das heißt, Sie haben Ihre Gedanken dazu Ihrer Freundin gegenüber noch nie geäußert? Erstaunlich. Ich frage mich, wie Sie das ausgehalten haben, und warum es gerade jetzt für Sie zum Thema wird. Gab es denn einen Auslöser dafür, dass das Thema nun für Sie noch einmal präsent ist? Und warum haben Sie es nicht bereits zu Beginn dieser Entwicklung angesprochen? Sie haben aus meiner Sicht drei Möglichkeiten: 1. Sie gehen jetzt auf Abstand. 2. Sie leben weiterhin damit so wie bisher auch. 3. Sie sprechen Ihre Sehnsucht danach, Ihre "frühere" Freundin wiederzubekommen, offen bei ihr an. Vielleicht finden Sie ja gemeinsam Aspekte von früher, die sich mit Ihren beiden Leben von heute verbinden lassen.
Katia Saalfrank ist Pädagogin, Musik- therapeutin und wurde als Fachberaterin in der Sendung "Die Super Nanny" bekannt. Heute arbeitet sie in ihrer eigenen Praxis in der Eltern- und Familienberatung.
Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: familientrio@sueddeutsche.de