Familientrio:Sollte ich mein Kind vor geschenkten Süßigkeiten schützen?

Vor einem Drogeriemarkt wird Traubenzucker an Kinder verteilt. Unsere Leserin will sich darüber bei der Geschäftsführung beschweren - und fragt sich, ob das übertrieben ist. Unsere Familienexperten antworten.

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Die Leserfrage

Traubenzucker

Quelle: dpa

Auf dem Weg von der Grundschule zu seiner Mittagsbetreuung kommt mein neunjähriger Sohn an einem neu eröffneten Drogerie-Markt vorbei. Dort bekommen die Kinder Traubenzucker geschenkt. Ich möchte das nicht und werde mich deswegen bei der Geschäftsführung beschweren. Meine Mutter findet, ich übertreibe damit. Hat sie recht? Luisa L., Freiburg

Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: familientrio@sueddeutsche.de

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Kirsten Fuchs

Kirsten Fuchs

Quelle: Stefanie Fiebrig

Meine Tochter hat mich einmal erwischt, als ich abends Schokolade aß. Seitdem sagt sie, dass sie sich aufs Erwachsenwerden freut, weil man nachts Schokolade essen kann. Ihr Sohn trifft also ohne Aufsichtsperson auf einen Zuckerdealer, so wie er später auf andere Verführungen treffen wird, ohne dass Sie dabei sind? Ich finde es superblöd, Zucker zu verschenken, genauso wie ich mich über Werbung und alle Kapitalismustricks ärgere. Für mich gehört es zur Erziehung, das Kindern beizubringen: Nimm dich in Acht vorm bösen Wolf, dem Straßenverkehr und Leuten, die wollen, dass du bei ihnen Geld ausgibst.

Mit der Drogerie können Sie trotzdem reden. Ich finde reden immer gut. Auch mit Ihrer Mutter können Sie reden. Dass Sie nämlich ihre Nichtsorge untertrieben finden. Zucker ist echt krasses Zeug. Ich bin da seit Jahren drauf. Und genau wie bei Alkohol ist es nicht schlecht angesehen, sich diesen Trost als Erwachsener einzuwerfen. Wie soll also ein Neunjähriger dem widerstehen? Aber später werden Sie nicht mit den Zigarettenverkäufern reden können, mit den Discobetreibern, mit den Mädchen und Jungen, die ihm das Herz brechen. Machen Sie ihn einfach so fit und klug, wie es nur geht. Das schafft der schon!

Kirsten Fuchs ist Schriftstellerin und lebt mit Tochter, Mann und Hund in Berlin. Sie schreibt vor allem Kinder- und Jugendbücher, außerdem Theaterstücke und Romane. Ihr bekanntestes Buch ist die "Mädchenmeute". Fuchs steigt als Nachfolgerin von Kirsten Boie neu in das Familientrio ein.

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Jesper Juul

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Quelle: Anne Kring

Ich stimme Ihrer Mutter zu. Sie werden noch für ein paar Jahre die Macht und Kontrolle innerhalb Ihrer Familie haben, aber versuchen Sie nicht, diese auf Kontakte ihres Sohnes außerhalb der Familie auszudehnen. Sie können direkt mit ihm sprechen und sagen: "Mir wäre lieber, du würdest ,Nein, danke' zu diesem Angebot sagen." Und zum Ladenbesitzer: "Ich stimme Ihrer Politik nicht zu, aber Sie können in Ihrem Laden natürlich machen, was Sie wollen."

Auf diese Weise erreichen Sie zwei Dinge: Erstens: Sie zeigen Respekt für den Ladenbesitzer und seine Regeln. Und zweitens: Sie sind ein Vorbild für Ihren Sohn, weil sie ihm vormachen, wie man eine gegenteilige Meinung kundtun kann, ohne jemanden frontal anzugreifen. Zeigen Sie ihm Ihre eigene Art zu argumentieren.

Jesper Juul ist Familientherapeut in Dänemark. Er hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben, darunter den in 14 Sprachen übersetzten Bestseller "Dein kompetentes Kind".

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Collien Ulmen-Fernandes

Collien Ulmen-Fernandez

Quelle: Anatol Kotte

Nichts fand ich gleichzeitig so schön und obskur wie das ungefragte Geschenk, die fremde Wurst aus den fremden, fleischfarbenen Fingern des Metzgers. Und alle gucken und erwarten für das Wurststück mindestens ein geschlagenes Rad zum Dank. Es war immer Wesen, Kern, Idee des Zugesteckten, dass es aus reinem Fett, purem Zucker, Schweinehirn besteht, mit dem es dem Kinde eine Freude zu machen galt.

Das Dinge-zugesteckt-Bekommen ist ein Erlebnis, das zur Kindheit gehört wie Fahrradfahrenlernen, Einpinkeln und Pokémon. Es ist dabei egal, ob es sich um Lutscher, Schokoladenstücke, Fleischwurst oder kleine Knackfrösche aus Blech handelt. Dem Kind allein obliegt es, das zugesteckte Produkt entweder a) in sich reinzuwerfen, b) langsam und vorsichtig zu lutschen oder c) misstrauisch in einer Ecke zu entsorgen, wo es dann schimmelt und langsam zu Irgendetwas wird. Sie haben da gar nichts mit zu tun. Es ist ein Kinder-Business. Eine alberne Tradition. Werbung. Es ist herrlich. Ja, Sie übertreiben.

Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin und Moderatorin. Die Mutter einer Tochter hat mehrfach Texte zum Thema Elternsein veröffentlicht, 2014 erschien von ihr das Buch "Ich bin dann mal Mama".

© SZ vom 02.12.2017/vbol
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