Familientrio:Wann hilft es nicht mehr, zu trösten?

Eine Frau wird von ihrem Ehemann schlecht behandelt, verlässt ihn aber nicht. Unterstützt die ihr beistehende Freundin durch ihr Verhalten die miese Ehe? Unsere Familienexperten antworten.

1 / 4
(Foto: Martins Zemlickis / Unsplash)

Meine Freundin ist mit einem Mann zusammen, der sie ständig runtermacht. Dann kommt sie zu mir, heult sich aus, und ich tröste sie. Der Mann ist wirklich abscheulich, er beschimpft sie zum Beispiel vor den gemeinsamen Kindern. Ich fände es besser, wenn sie sich trennen würden - und habe den Verdacht, dass ich durch meine Hilfe das System eher stabilisiere. Muss ich aufhören zu trösten? Alexandra P., Hamburg Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: familientrio@sueddeutsche.de.

2 / 4
(Foto: Stefanie Fiebrig)

Es ist vorbei, wenn es vorbei ist. Sowohl das Runterputzen durch den Mann als auch das Aushalten der Freundin als auch Ihr Trösten. Irgendwas wird irgendwann aufhören. Menschen sind ja verblüffend gut darin, Situationen auszuhalten, weil unsere Gehirne nicht fürs Glück, sondern für die Sicherheit gemacht sind. Also bleibt Ihre Freundin bei dem Mistkerl, weil sie Angst hat, sich einen anderen Mistkerl zu suchen. Vielleicht hat sie auch Angst, keinen anderen zu finden. Wenn sie zwar leidet, aber dran gewöhnt ist, dann ist sie in dieser Position auf jeden Fall sicher: Er macht alles falsch und ist böse. Sie ist tapfer und gut. Ich finde: Ihre Freundin soll da weg. Sagen Sie ihr das, aber alles dauert so lange, wie es dauert. Kirsten Fuchs ist Schriftstellerin und lebt mit Tochter, Mann und Hund in Berlin. Sie schreibt vor allem Kurzgeschichten und Romane, aber auch Theaterstücke sowie Kinder- und Jugendbücher. Ihr Buch "Mädchenmeute" erhielt 2016 den Deutschen Jugendliteraturpreis.

3 / 4
(Foto: Anne Kring)

Ich neige dazu, Ihnen recht zu geben. Sie sind Teil eines "Systems" mit einer destruktiven Dynamik geworden. Also: Ja, hören Sie auf zu trösten, zumindest so wie Sie es bislang getan haben. Sie können Ihre Rolle ändern, indem Sie sagen: "Ich spüre, dass meine Versuche, dich zu trösten, dich nicht wirklich dazu anregen, deine Rolle ihm gegenüber zu ändern. Wenn du dich entscheidest, deine Haltung zu ändern, werde ich ganz für dich da sein." Sollte sie antworten: "Ich will mich verändern, aber ich weiß nicht wie", antworten Sie: "Wenn du einige Ideen hast, würde ich mich freuen, sie mit dir zu besprechen." Wenn ein System, in diesem Fall Familie und Freund(e), auf einen Teil zerstörerisch wirkt, dann ist es immer auch für alle anderen zerstörerisch - wenn auch auf andere Weise. Das heißt, dass egal wie gut gemeint Ihr Beitrag ist, er immer vom System korrumpiert wird. Egal, wie ehrlich Sie helfen wollen, Sie erreichen damit, dass sich nichts zum Guten verändert. Sie können das mit Co-Abhängigkeiten bei Alkoholikern vergleichen. Da kann es sein, dass das ganze Umfeld - die Frau und die Kinder - die Sucht des Vaters etwa vor seinem Arbeitgeber verheimlichen und ihn decken. Und am Ende erreichen sei gerade damit, dass er nicht vom Alkohol loskommt.. Jesper Juul ist Vater, zweifacher Großvater und Familientherapeut in Dänemark. Er hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben, darunter den in 14 Sprachen übersetzten Bestseller "Dein kompetentes Kind".

4 / 4
(Foto: Anatol Kotte)

Natürlich ist Trösten immer und überall gut! Es verschafft Linderung, es hilft Ihrer Freundin in einer schwierigen Zeit; es gibt doch keinen schöneren Akt, sich zu verbrüdern. Vielleicht aber können Sie neben dieser akuten Hilfestellung, die gut und richtig ist (einen verletzten Spatzen würden Sie ja auch von der Straße kratzen), noch etwas Grundlegenderes tun: Versuchen Sie, Ihrer Freundin Mut zu machen, ihren Stolz, ihre Abwehrmechanismen zu aktivieren. Und stellen Sie ihr die Frage: Warum bist du mit diesem scheußlichen Mann noch zusammen? Geht's dir um die Kinder? In diesem Fall belegen viele Studien, dass eine friedliche Trennung gesünder ist als eine dauerhafte Demütigung. Hat sie Angst vor der Einsamkeit? In diesem Fall könnten Sie ihr anbieten, ihr eine Zeit lang durch die schlimmsten Herbsttage zu helfen. Aber Sie sollten nie und nirgendwo aufhören zu trösten. Streicheln Sie Ihrer Freundin die eine Hand. Und formen Sie ihr die andere Hand zur geballten Faust. Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin und Moderatorin. Die Mutter einer Tochter hat mehrfach Texte zum Thema Elternsein veröffentlicht, 2014 erschien von ihr das Buch "Ich bin dann mal Mama".

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: