Familientrio:Mein Sohn will nichts abgeben - soll ich ihn zwingen?

Familientrio: Wenn es dazu bereit ist, lernt fast jedes Kind irgendwann zu teilen.

Wenn es dazu bereit ist, lernt fast jedes Kind irgendwann zu teilen.

(Foto: designritter / photocase.de)

Der Zweijährige will partout nicht mit anderen Kindern teilen. Ist das in Ordnung? Drei Experten geben Rat.

Leserin Nadine F. aus München fragt:

Mein Sohn (2) will anderen Kindern nichts wegnehmen, andererseits aber auch nichts abgeben oder ausleihen. Andere Eltern raten mir, ich solle ihn zum Teilen zwingen. Ist das wirklich notwendig, damit er als soziales Wesen anerkannt wird? Oder vermittle ich ihm damit: Wegnehmen ist nicht okay. Aber wenn andere dir etwas wegnehmen, dann schon?

Drei Experten antworten:

Kirsten Boie: Ihr Sohn sollte abgeben lernen!

Mit zwei Jahren haben Kinder noch keinen wirklichen Begriff von Eigentum, sie wissen nur: Will haben! Und greifen eben zu. Natürlich ist es die Aufgabe von Eltern, ihnen allmählich zu vermitteln, was Eigentum bedeutet: Gerade Eltern des "räuberischen" Kindes könnten dann eingreifen. Wenn Ihr Sohn jetzt aber immerzu die Erfahrung macht, dass er nicht abgeben muss, ist es genau das, was er lernt. Diese Einstellung ändert sich später nicht automatisch, warum auch, wenn sie zu seinem Vorteil ist? Gleichzeitig sollte er natürlich erleben, dass auch andere ihm etwas abgeben.

Aber welche Kämpfe tragen in Ihrem Umfeld Eltern um ihre Kinder aus? Von denjenigen, die denken, abgeben wäre eine Zumutung, sollten Sie sich lieber fernhalten. Denn Abgeben und Teilen sind Grundprinzipien unserer Gesellschaft, sie beruht haargenau darauf, nicht nur beim Solidarprinzip von Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung. Darum ist es gut, wenn schon ein Kind die Berechtigung eines solchen Verhaltens lernt und nicht in dem Glauben aufwächst, (nur) ihm stünde alles zu. Auch in der Gruppe wird es sonst später Schwierigkeiten haben. Und Sie wissen doch: Eigentum verpflichtet!

Kirsten Boie
(Foto: Christian Charisius/dpa)

Kirsten Boie ist Schriftstellerin und Autorin von mehr als hundert Kinder- und Jugendbüchern, darunter die allseits bekannten und geliebten Geschichten "aus dem Möwenweg" oder die Abenteuer des kleinen "Ritter Trenk".

Jesper Juul: Ihr Sohn hat noch viel Zeit!

Kinder haben eine natürliche Veranlagung darin, Dinge mit anderen zu teilen, das zeigt sich immer wieder während der ersten drei, vier Jahre. Wenn sie jemanden verlieren, der ihnen nahesteht (das kann auch ein Haustier sein), können sie anschließend durch eine Zeit gehen, in der sie sich an Dinge klammern. Ihr Sohn ist erst zwei und deswegen hat er noch viel Zeit.

Familientrio: Jesper Juul ist Vater, zweifacher Großvater und Familientherapeut in Dänemark. Er hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben, darunter den in 14 Sprachen übersetzten Bestseller "Dein kompetentes Kind".

Jesper Juul ist Vater, zweifacher Großvater und Familientherapeut in Dänemark. Er hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben, darunter den in 14 Sprachen übersetzten Bestseller "Dein kompetentes Kind".

(Foto: Anne Kring)

(Zu) viele Eltern haben allerdings aus dem Teilen ihr persönliches Prestige-Projekt gemacht, und weil viele Kinder auf sie hören, verpassen sie diese natürliche Entwicklung und erleben nicht, wie ihre Eltern ihnen vertrauen, das auch zu lernen. Wenn Sie Ihren Sohn im Streit mit einem Kind sehen, sagen Sie ihm: "Ich wünsche mir, dass du dein Spielzeug mit anderen teilst. Aber nimm dir Zeit, bis du bereit dafür bist."

Ich kann Ihnen garantieren, dass er das beherzigen wird, wenn er so weit ist - vor allem, wenn er vorher mit Kindern zusammen sein kann, die ihm ihre Sachen anbieten. Kinder werden mit diesen sozialen Fertigkeiten geboren und der großen Lust, mit anderen zu teilen.

Jesper Juul ist Familientherapeut in Dänemark und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung

Collien Ulmen-Fernandes: Verschieben Sie die Frage!

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(Foto: Anatol Kotte)

Ich musste dreimal gucken, welches Alter in der Klammer steht. Da steht 2! Nicht 7, nicht 15. Ihr Sohn ist auch nicht Donald Trump, der eine Mauer zu Mexiko bauen will, um seinen Wohlstand zu verteidigen. Ihr Sohn will nur seinen Keks alleine aufessen, ohne dass ihm ein anderer draufschlabbert. Er versteht gerade ein Milliardstel der Probleme unserer Zivilisation und hat das Recht, autark zu sein, ohne dass man in ihm gleich einen künftigen Ebenezer Scrooge vermutet.

Daher würde ich Ihnen raten, diese Frage zu verschieben. Wäre er älter, fände ich die Sorge angemessen, dann könnte man ihm Robin Hood vorlesen, um ihm das Teilen näherzubringen. Ihr Sohn wird bestimmt mal ein ganz toller Teiler. Bis dahin: Leben Sie es ihm ein bisschen vor, dann erledigt sich das Thema von alleine.

Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin, Model und Moderatorin. Die Mutter einer kleinen Tochter hat bereits mehrfach Texte zum Thema Elternsein veröffentlicht, 2014 erschien von ihr das Buch "Ich bin dann mal Mama".

Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: familientrio@sueddeutsche.de

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