Familie und Partnerschaft:Vater, Mutter, Krise

Kinderbetreuung nach Trennung

Patchwork-Familien: Besonders heikel ist die Konstellation, so die Experten, wenn ein Mann mit Kindern mit einer neuen Frau ohne Kinder zusammenkommt.

(Foto: stockcreations - Fotolia)

Patchwork? Kein Problem mehr, oder? Was längst gesellschaftlich akzeptiert ist, ist allerdings besonders anfällig: Die Hälfte der Beziehungen geht kaputt.

Von Hannah Wilhelm

Sie haben Hänsel und Gretel in den Wald geschickt. Sie wollten Schneewittchen vergiften und haben Aschenputtel putzen lassen. Stiefmütter sind, das weiß jedes Kind, hinterhältig und böse. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sie heutzutage Bonus-Mütter genannt werden.

Lange wurde das Phänomen Patchwork romantisiert, also Familien, in denen mindestens ein Partner ein Kind aus einer früheren Beziehung mitbringt. Weil es bei Demi Moore und Ashton Kutcher so hübsch aussah. Und bei Christian Wulff und seiner Frau Bettina auch. Vor allem aber, weil kein Problem sein durfte, was längst gesellschaftliche Wirklichkeit geworden ist.

Deutschlands Familienberatungsstellen und Therapeuten sehen das anders: Geschätzt die Hälfte der neuen Beziehungen geht wieder kaputt - die Trennungswahrscheinlichkeit ist damit höher als unter Paaren in erster Ehe. Kein Zufall also, dass sowohl Demi Moore und Ashton Kutcher als auch die Wulffs wieder getrennt sind.

Besonders heikel ist die Konstellation, so die Experten, wenn ein Mann mit Kindern mit einer neuen Frau ohne Kinder zusammenkommt. "Es ist schwieriger, wenn einer von beiden kein Kind und damit weniger Verständnis hat für das Leben mit Kindern", erklärt Therapeutin Andrea Müller, die in der Nähe von München Patchwork-Familien berät. Zudem machen die Ansprüche der Gesellschaft an eine Stiefmutter sowie ihre eigenen eben jene Konstellation so schwierig. Denn die Ansprüche sind hoch. Zu hoch. "Ganz oft nehmen sich die Beteiligten vor, nun alles richtig zu machen, nachdem beim ersten Mal etwas schiefgegangen ist", sagt Andrea Müller.

Stiefmütter haben es oft schwerer als Stiefväter

Nicht selten wird der Stiefmutter die Schuld für viele Probleme in die Schuhe geschoben. Sie war doch schon bei Aschenputtel die Böse. Katharina Grünewald ist selbst Stiefmutter zweier Kinder und berät als Psychologin in Köln betroffene Familien. Sie findet: Stiefmutter zu sein ist ein ziemlich schwieriger Job in einer ziemlich schwierigen Situation. "Eine Stiefmutter soll die von der Trennung geschädigten Kinder lieben und retten. Und von einem Moment auf den anderen Mutter sein, auch wenn sie das vorher nicht war", sagt sie. Die enormen Ansprüche liegen daran, dass unsere Gesellschaft grundsätzlich die Rolle der Mutter übermäßig romantisiert. So wird auch von einer Stiefmutter plötzlich viel verlangt.

Für die Stiefväter gilt das weniger. Deshalb fühlen sich diese oft weniger belastet, weniger unter Druck als eine Stiefmutter. Kümmert er sich, finden das alle Umstehenden bewundernswert. Kümmert er sich nicht, gibt es dafür auch Verständnis. Diese Freiheit hat eine Stiefmutter nicht.

Der neue Mann an ihrer Seite, der Vater der Kinder, möchte eine "normale Familie" leben und seinen Kindern auch eine solche bieten mit Zoobesuchen, Spieleabenden, Urlaubsplänen. Schließlich hat er nur seine Frau verlassen und nicht seine Kinder. Und dieses Mal soll es bitte gut gehen. "Die unausgesprochenen und ausgesprochenen Erwartungen machen es so schwer", sagt Katharina Grünewald. Der Vater wünscht sich, dass seine Partnerin mitspielen und die Kinder genauso wichtig und toll finden soll wie er. "Grundsätzlich ist das Bild der armen Kinder sehr stark. Dagegen kann sich kaum eine Stiefmutter wehren", sagt Grünewald. Die Kinder gehen vor. Und viele Frauen überfordern sich und stellen ihre Bedürfnisse zurück.

Die Euphorie der Stiefmütter überfordert die Kinder meist

Sonja zum Beispiel, die noch bis vor vier Wochen alleine lebte, zieht ruckzuck mit Robert zusammen. Sie macht jeden Tag mit seiner achtjährigen Tochter Johanna Hausaufgaben statt Freunde zu treffen und organisiert eine überdimensionierte Geburtstagsfeier für die Kleine. Sechs Stunden bastelt sie an einer Torte voll mit Marzipan-Prinzessinnen. Als alle Freundinnen da sind, sagt Johanna laut: "Von der Torte esse ich nichts, die ist von der da und nicht von meiner Mama." Die Euphorie der Stiefmütter überfordert die Kinder meist.

Die Kinder wünschen sich häufig ihre Familie zurück. Sind sie beim Papa, fehlt die Mama. Und andersherum. Haben sie miterlebt, wie etwa die Mutter unter der Trennung leidet, bringt sie Papas neue Freundin in Loyalitätskonflikte. "Viele Kinder haben das Gefühl, sie dürfen sich etwa nicht mit der neuen Frau ihres Vaters verstehen, weil sie damit ihre Mutter verraten", erklärt Grünewald. Daher glauben sie, sich von der Stiefmutter distanzieren zu müssen, gerade dann, wenn sie etwas Nettes getan hat. Wie eine Torte zu backen.

Ob es dazu kommt, hat auch mit dem Verhalten des Ex-Partners zu tun. Manch Zurückgelassener macht das Kind zum Partnerersatz - eine der größten Problematiken für Verlassene, weiß Grünewald.

Je mehr sich eine Stiefmutter überfordert, desto eher kommt es zu seltsamen Überreaktionen - "die Frauen verhalten sich plötzlich wirklich wie eine böse Stiefmutter", sagt Grünewald, die ein Buch zum Thema geschrieben hat. Etwa Sonja, eine an sich vernünftige Frau, die sich plötzlich selbst dabei ertappt, wie sie dem Stiefkind die zerknautschten Erdbeeren gibt und die schönen zurückbehält. Oder wie sie ausrastet, wenn Jacken auf dem Boden landen und Krümel neben dem Mülleimer.

Das schlechte Gewissen: ein typisches Patchwork-Problem

"Ich kann Stiefeltern nur raten, nicht zu viel zu übernehmen und auf ihre Bedürfnisse zu hören", sagt Grünewald. Mutter oder Vater rät sie, Erwartungen zurückzuschrauben und dem neuen Partner den Freiraum zu geben, ein Verhältnis zu dem Kind und ihrer Rolle zu entwickeln.

Auch das schlechte Gewissen gegenüber den Kindern taucht in Patchwork-Familien häufig auf, wenn man die Familie verlassen und sein Glück über das der Kinder gestellt hat. Dazu kommt die Angst, die Kinder könnten zur Mutter abwandern. Im deutschen Rechtssystem haben Mütter oft bessere Chancen auf viel Zeit mit den Kindern. Die Angst ist also begründet. Mit dem Resultat, dass Väter den Kindern oft keine Grenzen setzen, wenn sie zu Besuch sind. Paul zum Beispiel schickt seine zwei Kinder abends nicht ins Bett. Ist doch so nett, dass sie jetzt da sind. Dass sie am nächsten Morgen in die Schule müssen? Geschenkt. Seine Freundin Christiane ist davon genervt, sie will abends ihren Partner für sich alleine haben.

Oft wachsen sich solche Auseinandersetzungen in sehr grundsätzliche Fragen aus, denn die neuen Partner fühlen sich nicht genug wertgeschätzt. Die Therapeutin Andrea Müller erklärt: "Gerade Stiefmütter fühlen sich schnell wie ein fünftes Rad am Wagen. Sie haben das Gefühl, dass ihre Interessen hinter denen der Ex-Frau und der Kinder zurückstehen." Gerade Frauen, die gelernt haben, die Erwartungen anderer zu erfüllen und sich insgeheim davon versprechen, Aufmerksamkeit zu bekommen, schlittern dann in eine Konkurrenzsituation mit den Kindern. Und auch das kann zu sehr irrationalem Verhalten führen. Grünewald nennt dies das Prinzessinnen-Problem. Die oftmals jüngeren Frauen sind es gewohnt, Zeit und Aufmerksamkeit von ihrem Partner zu bekommen. Und erleben dann, dass die teils verzogenen Kinder mehr bekommen als sie.

Viele Patchwork-Familien suchen in diesem Gefühlschaos Rat, wenn es allzu sehr knallt. Meist ist es zu spät, findet Andrea Müller: "Die Menschen müssten, bevor sie zusammenziehen, einen Kurs machen, wie man mit einer solchen Konstellation umgeht und was auf sie zukommen kann." Anders als in einer Beziehung, die ohne Kinder beginnt, ist in einer Patchwork-Familie nichts selbstverständlich oder ergibt sich einfach. So lautet ein grundsätzlicher Rat von Experten, sich einmal im Monat zusammenzusetzen zur Familienkonferenz. Dann darf jeder sagen, was ihn bewegt, ohne dass die anderen es bewerten.

Die große Krise kommt, so die Erfahrung von Ariane von Thüngen nach 25 Jahren Patchwork-Beratung in München, oft im dritten Jahr der Beziehung. "Wenn die Partner zu viel reingesteckt haben und erschöpft sind." Sie hat aber eine gute Nachricht für die Beteiligten: "Paare, die so eine Krise überstehen, werden zu Meistern im Verhandeln, weil nichts selbstverständlich ist." Doch das Zusammenwachsen braucht Zeit. Fünf bis sieben Jahre, schätzt die Expertin, dauert es, bis alle ihre Rollen gefunden haben. Wenn sie das Eltern sagt, die zu ihr kommen, sind die trotzdem erleichtert. "Das ist lang, aber eine Perspektive."

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