Familie und Partnerschaft:Mutter Staat - Wenn Politikerinnen Eltern werden

Einschulungen in Mecklenburg-Vorpommern

Manuela Schwesig beim Besuch einer Grundschule in Mecklenburg-Vorpommern. Die Familienministerin geht bald in Mutterschutz - Elternzeit nimmt aber ihr Mann.

(Foto: dpa)

Noch nie gab es im Kabinett so viele Minister mit kleinen Kindern. Jetzt geht Manuela Schwesig in den Mutterschutz. Verändert sich die Politik?

Von Ulrike Heidenreich

Sechs Wochen war Vittoria alt, als sie das erste Mal das Europa-Parlament in Straßburg besuchte. Sie schlummerte, eng an die Brust der Mutter gebunden, und bekam vom Geschehen im Saal nichts mit. Licia Ronzulli, damals 35, stimmte derweil seelenruhig ab und lauschte der Synchronübersetzung im Kopfhörer. Die schöne Italienerin, Europa-Abgeordnete der konservativen Partei Popolo della Libertà, und ihre Tochter halten sozusagen als Role Models her, als Vorbilder dafür, dass im Politikbetrieb heute vieles möglich ist - sogar ein intensives, halb öffentliches Familienleben.

In Deutschland darf das von diesem Wochenende an eine echte Expertin vormachen: Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) verabschiedet sich in den Mutterschutz, Mitte März erwartet die 41-Jährige ihr zweites Kind. Dass da mal ein Baby auf der Regierungsbank brabbeln wird, gilt jedoch als wenig wahrscheinlich - Schwesig ist für klare Verhältnisse: Ihr Mann wird zu Hause für die Kinder da sein.

Zurück zum Modell Straßburg: Die geneigte Öffentlichkeit verfolgt seit 2010 das Aufwachsen von Vittoria. Jahr für Jahr hebt das Mädchen routinierter ihr Händchen bei Abstimmungen. Wenn Teddys und Teletubbies mit auf der Bank sitzen, umso besser. Dann halten das Kameras auf allen Kanälen fest.

Betreuungsproblem in den Sitzungswochen

Bis ins japanische Fernsehen hat es das kleine italienische Familienunternehmen geschafft. Vergessen wird, dass Licia Ronzulli aus der Not eine Tugend gemacht hat: Der Vater des Kindes lebt in Italien, in Brüssel besucht Vittoria eine Kindertagesstätte, bei den regelmäßigen Sitzungswochen in Straßburg jedoch hat die Mutter ein echtes Betreuungsproblem. Und so läuft Vittoria, nicht erst seit sie aus dem Krabbelalter raus ist, im Politikbetrieb einfach so mit.

Nach Kristina Schröder (CDU) ist Manuela Schwesig die zweite Familienministerin, die im Amt schwanger wurde. Schröder war die Belastung von Baby und Ministeramt irgendwann zu viel geworden; sie hatte Lotte manchmal in der Tragetasche zu Besprechungen mitgeschleppt und bekannte oft, unglücklich zu sein, wenn sie die Tochter nicht sah. Heute sitzt sie als Abgeordnete im Bundestag und hat inzwischen ein zweites Kind bekommen.

Verändert die hohe Kleinkinddichte in der Regierung die Politik?

Seit den Zeiten von Strauß, Wehner, Schmidt und Kohl hat sich doch einiges geändert in der Bundespolitik, die Bonner Republik galt als wenig familienkompatibel, mit einer klaren männlichen Dominanz. Heute ist das anders.

Noch nie gab es in Berlin so viele Ministerinnen und Minister mit kleinen Kindern wie im jetzigen Bundeskabinett: Da ist Julian Schwesig, acht, der bald das Geschwisterchen bekommt. Vizekanzler Sigmar Gabriels Tochter Marie ist drei Jahre alt. Arbeitsministerin Andrea Nahles hat eine Tochter namens Ella, die fünf ist. Justizminister Heiko Maas' jüngster Sohn ist acht, der kleine Emmeran Cornelius von Verkehrsminister Alexander Dobrindt drei Jahre alt. Die Minister gehen unterschiedlich mit der Pflege ihres Nachwuchses um, die einen treibt es mehr, die anderen weniger in die Öffentlichkeit.

Verändert die hohe Kleinkinddichte in der Regierung die Politik? Nehmen wir mal die öffentliche Wahrnehmung: Auf den ersten Blick, nämlich in den Plenarsaal, hat sich überhaupt nichts verändert.

Eines Babys ansichtig wurde das hohe Haus tatsächlich erstmals im Oktober 2009. Bis dahin war der Bundestag eine komplett babyfreie Zone. Selbst die Grünen hatten sich bislang höchstens ans öffentliche Stricken gewagt, um irgendwie progressiv rüberzukommen - den Nachwuchs ließen sie zu Hause.

Kleine Gäste im Bundestag weiterhin die Ausnahme

Es war die FDP-Politikerin Judith Skudelny, die 2009 erstmals in den Bundestag einzog und ihre vier Monate alte Tochter mitnehmen wollte. In der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ist ein derartiger Fall nicht vorgesehen. Die Saaldiener verweigerten Skudelny samt Baby prompt den Zutritt. Die Rettung nahte in Person von Guido Westerwelle, der die Szene zufällig beobachtete. Ein Machtwort des damaligen Vizekanzlers - und das FDP-Baby durfte rein.

Die kleinen Gäste sind aber weiterhin die Ausnahme. Eine Art Baby-Gipfel, den die damalige Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt nach diesem Vorfall mit acht betroffenen Nachwuchspolitikern jeder Couleur veranstaltete, kam pragmatisch zu der Einigung: In "Notsituationen" dürfen Politiker-Eltern ihre Babys mitbringen. Präsidium und Ältestenrat nickten die Regeln einmütig ab. Göring-Eckardt hatte eigentlich mit Gegenstimmen gerechnet, aber alle hätten so freundlich reagiert, berichtete sie. Ihre Erklärung dafür: "Babys machen einfach schöne Stimmung."

Lob für Sigmar Gabriel

Das mit der Stimmung ist so eine Sache, eine recht ambivalente. Da erhält SPD-Papa Sigmar Gabriel Lob, wenn er sich in einem Bundestagsausschuss für seine Absenz entschuldigte: Tochter Marie sei krank. Per Twitter zollte ihm gar Kristina Schröder Respekt für diese offene Erklärung, auch wenn da schon ein wenig Gift durchträufelte. Denn es ist immer noch so - obgleich in feineren Nuancen als früher -, dass Politiker sich gerne als Väter inszenieren und in den Wahlkämpfen, die immer stärker auf Familienpolitik ausgelegt sind, sogar punkten können, wenn sie Privates vom Beruflichen nicht mehr gar so strikt trennen wie ihre Vorväter.

Beispiel Gabriel: Als dieser 2012 ankündigte, ein paar Monate kürzerzutreten, damit die Mutter seines Kindes in ihrer Zahnarztpraxis arbeiten konnte, war er fast noch präsenter als früher - mit Internetfragestunden, wenn Marie Mittagsschläfchen hielt, oder per Twitter: "Mariechen ist abgefüttert, der Kaffee ist da, also kann's losgehen :-))." Dieser Tweet brachte ihm natürlich Spott ein, anderseits aber irgendwie auch Wohlwollen.

Denn das sind schon andere Vatertypen heute als früher: "Unser eigener Vater spielte so gut wie nie mit uns, außer wenn es von Pressefotografen für eine Homestory gewünscht wurde. Er hatte ja keine Zeit", schreibt Walter Kohl in seinem Buch "Leben oder gelebt werden". Oder der Filmemacher Lars Brandt, der in seinem autobiografischen Roman "Andenken" eine bittere Weihnachtsepisode verarbeitet: Er bekommt von seinem Vater Willy Brandt ein Buch von Bert Brecht überreicht - der Sohn selbst aber hatte es ihm kurz zuvor geschenkt.

Ein Spielzimmer im Reichstagsgebäude

Bessere Zeiten also, aber (noch) nicht für alle. Dass Politikerinnen sich nicht so selbstverständlich zum oft bemühten Laternenumzug verkrümeln können, weil ihnen Absenz auch als Schwäche ausgelegt werden kann, zeigt die Initiative "Eltern in der Politik", die weibliche Bundestagsabgeordnete im Sommer gegründet haben: "Einige von uns kamen unter Rechtfertigungsdruck, weil öffentliche Rankings über verpasste namentliche Abstimmungen noch nicht mal Fehlen aufgrund des Mutterschutzes berücksichtigen. Andere fielen über Wochen aus, weil sich ihr Kind einer schweren OP unterziehen musste", heißt es in der Satzung. Die Abgeordneten Franziska Brantner (Grüne), Katja Kipping (Linke), Lisa Paus (Grüne), Susann Rüthrich (SPD), Dagmar Schmidt (SPD) und Kristina Schröder sind die Initiatorinnen.

Es sind ganz praktische Dinge, die diese Mütter kleiner Kindern fordern: ein Spielzimmer im Reichstagsgebäude, eine flexibel buchbare Kinderbetreuung, Wickelräume, mehr Videokonferenzen. Man mag gar nicht glauben, dass dies bei den Berliner Entscheiderinnen und Entscheidern noch nicht selbstverständlich ist.

Aber die Politikerinnen fordern auch eine Selbstverpflichtung ein - von allen: "Wir reden nicht nur über Familienpolitik, sondern wir wollen auch die Arbeitswelt Politik so einrichten, dass Familie und Politik besser vereinbar sind." Ihre Forderungen schließen beispielsweise einen politikfreien Sonntag ein oder effiziente Sitzungsleitungen mit Angabe eines Endzeitpunktes.

So privilegiert diese Abgeordneten-Frauen sind, weil sie gut verdienen und sich manche Termine frei einteilen können, schieben sie mit ihrer Initiative aber zwei Dinge voran, die auch Normalo-Müttern helfen und langfristig für eine andere Selbstverständlichkeit in der Gesellschaft insgesamt sorgen könnten: flexible Arbeitszeiten, Stichwort Effizienz satt Präsenz. Und einen fairen Wettbewerb: "Wir nehmen besondere Rücksicht auf politische Konkurrenten, deren Kind gerade auf die Welt gekommen ist", fordern sie.

Abgeordnete und Minister haben kein Recht auf Elternzeit

Die Saarländerin Nadine Schön, stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende, die im Frühjahr ihr zweites Kind zur Welt bringen wird, bringt ihr Dilemma auf "mitmischen.de", dem Jugendportal des Bundestags, auf den Punkt: "Wenn ich bei meiner Familie bin und Termine absage, habe ich den Organisatoren gegenüber ein schlechtes Gewissen. Und wenn ich arbeite, frage ich mich ständig, ob ich die richtige Priorität gesetzt habe. Das geht aber sicher allen berufstätigen Müttern so."

Was die Frauen in der Bundespolitik von anderen Müttern unterscheidet, ist die Regelung, dass Abgeordnete und Minister kein Recht auf Elternzeit haben. Nach Ende des Mutterschutzes, in der Regel acht Wochen nach der Geburt, müssen sie wieder ran. Auch bei Manuela Schwesig ist das so. Anfang Mai, so heißt es aus ihrem Familienministerium, will sie wieder am Schreibtisch sitzen. Buntes Spielzeug im geräumigen Büro, Wickelkommode, Babybettchen? Nicht vorgesehen. Schon jetzt hat ihr Mann Stefan, 43, seine Arbeitszeit auf 35 Stunden reduziert, um Sohn Julian in Schwerin zu betreuen.

"Nach dem Mutterschutz wird mein Mann ein Jahr in Elternzeit gehen. Für uns gab es da gar keine Frage. Wir haben von Anfang an eine Partnerschaft gelebt, in der sich jeder in Verantwortung für das Kind sieht. Als unser Sohn zur Welt kam, war mein Mann beruflich sehr eingespannt, da bin ich in Elternzeit gegangen. Jetzt nimmt er sie", sagt Schwesig.

Gleichstellungsbeauftrage kritisiert familienfeindliche Arbeitsbedingungen

Im Familienministerium kursiert aber gleichzeitig ein internes Schreiben der Gleichstellungsbeauftragten. Kristin Rose-Möhring beklagt darin familienfeindliche Arbeitsbedingungen: fehlender Personalersatz für Mitarbeiter in Elternzeit, ständige Terminverlegungen, und so weiter. Es gibt also noch einiges zu tun - selbst im Ministerium, wo die guten Ideen für eine schönere Familienwelt geboren werden.

Arbeitsministerin Andrea Nahles hat der Brigitte einmal erzählt, wie es war, als sie acht Wochen nach der Geburt wieder arbeiten ging und sich dafür als "karrieregeil" beschimpfen lassen musste: "Mutter sein und eine Führungsaufgabe wahrnehmen, ist offenbar immer noch eine gesellschaftliche Kampfzone", sagte sie. Für ihre Tochter Ella hat sie den Freitag als "Bonn-Tag" eingerichtet. Sie arbeitet dann in der Bonner Dienststelle, kommt schon am Vorabend auf den Hof in der Eifel, auf dem Ella und ihr Mann, von dem sie sich gerade getrennt hat, leben.

Vereinbarung von Familie und Beruf "politische Frage"

Einen "Marie-Tag" hat auch Sigmar Gabriel eingerichtet. Er versucht Mittwochnachmittag vor der Kindertagesstätte in Goslar zu stehen. Das brachte ihm kurz Ärger in Form einer Dienstaufsichtsbeschwerde: Ein Mitarbeiter der Bundesverwaltung war der Ansicht, der Minister vernachlässige damit seine Amtspflichten. Die Beschwerde blieb ohne Folgen.

Unterschwelliger verläuft die Kritik an Licia Ronzulli im Europa-Parlament. In ihrer Fraktion lästern manche, die Abgeordnete verpasse Abstimmungen, weil sie sich nicht auf den Ablauf konzentrieren könne. Auch missbrauche sie Tochter Vittoria zu Werbezwecken.

Andrea Nahles kündigt jedenfalls an, weiterhin öffentlich über ihr Problem zu reden, Familie und Beruf zu vereinbaren. Und sie klingt kämpferisch, wenn sie sagt: "Das ist keine private, sondern eine politische Frage."

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