Familie und andere Turbulenzen:1. Gebot: Mehr Zeit für mich!

Familien-Kolumne

Silvester, Zeit der guten Vorsätze auch in Familien: zum Beispiel der Vorsatz, sich nicht ständig unterbrechen zu lassen.

(Foto: Stephanie Wunderlich)

Zum Jahreswechsel könnten sich Eltern zehn wunderbare Vorsätze für ihr Familienleben 2014 überlegen. Könnten. Kämen sie bloß dazu, einen klaren Gedanken zu fassen.

Kolumne von Katja Schnitzler

Nach fast einer Woche Familie rund um die Uhr, nach einer Woche mit der allernächsten, naher und entfernter Verwandtschaft, nach einer Woche ohne Schule oder Kindergarten oder Abstecher ins Büro, - nach dieser Woche Familie kompakt beschließt die Mutter: Es ist Zeit für gute Vorsätze.

Sie sucht nach einem Stück Pergament, das dem Anlass entsprechend feierlich genug aussieht, findet keines und zieht stattdessen ein DIN-A4-Blatt aus dem Drucker. Die Mutter setzt sich an den Esstisch, atmet tief durch und schreibt feierlich in ihrer schönsten Handschrift "VORSTÄTZE" oben auf das Blatt.

Nachdem sie das Blatt wenig feierlich zerknüllt, ein neues geholt und diesmal "VORSÄTZE" mit nur einem "T" geschrieben hat, beginnt sie zu grübeln. Aber nicht lange genug, um zu einem Ergebnis zu kommen.

"Wann gibt es Essen?", blökt das Kindergartenkind, das von draußen hereinstürmt. Mangels Schnee trägt es zwar keinen Matsch in die Wohnung, dafür Streusteinchen und trockene Dreckklumpen, die nur so lange im Kinderstiefelprofil stecken bleiben, bis der Sohn das Esszimmer erreicht hat.

Nachdem die Mutter das Kind unter lautem Schimpfen ("Habe ich dir nicht schon tausendmal gesagt ...?" - "Nein, so oft noch nicht.") wieder in den Flur gescheucht und danach das Aufkehren der Bescherung überwacht hat, schreibt sie unter die Punkte eins und zwei:

1. Mehr Zeit für mich (wichtig: ohne Störungen!)

2. Nicht mehr sagen: Habe ich dir nicht schon tausendmal gesagt ...?

Aus dem Schlafzimmer ruft der Vater: "Ich finde meinen braunen Gürtel nicht." - "Dritte Schublade ganz links, wo er immer ist", antwortet die Mutter. "Da ist er aber diesmal nicht." - "Schau nochmal", ruft die Mutter. Er: "Wer hat ihn denn unter dem schwarzen Gürtel versteckt?" Die Mutter seufzt und schreibt auf:

3. Familie bei der Volkshochschule anmelden: "Suchen für Anfänger".

4. Nicht die Folgeanmeldung vergessen: "Finden für Anfänger".

Die Teenagertochter kommt herein. Was sie da mache, ach was, gute Vorsätze? Sie hätte da auch ein paar für das nächste Jahr: "Endlich auf Lunge rauchen, ohne zu husten; endlich fünf Wodka Lemon schaffen, ohne vom Stuhl zu fallen; endlich allein nach New York."

Die Mutter knirscht mit den Zähnen, notiert sich die Punkte fünf und sechs und unterstreicht sie dick:

5. Nicht provozieren lassen. Jedenfalls nicht so leicht.

6. Nicht persönlich nehmen, das ist nur die Pubertät, und die geht vorbei (hoffentlich bald).

Ganz unten auf dem Blatt notiert sie: Prüfen, was hinter der Anmeldung zum Zeltlager an Pfingsten steckt.

Ein Schrei aus dem Kinderzimmer. Die Tochter jagt den Sohn mit einem weihnachtlichen Tannenzweig durch den Flur, der Anhänger mit dem Schriftzug Ein friedliches Fest verfängt sich in den Haaren des Sohnes, Tannennadeln rieseln zu Boden. Laut weinend flüchtet er zur Mutter, die sich zwischen die Geschwister wirft.

Sandsack zum Abreagieren

"Er hat meine SIM-Karte gesperrt", kreischt die Tochter mit überschnappender Stimme. "Habe ich nicht!", plärrt er, der Zweig baumelt über seine Schulter. "Natürlich hat er", schnaubt die Tochter. "Aber das wollte ich nicht", schluchzt der Sohn.

Die Mutter atmet tief ein und aus, ein und aus. "Du entschuldigst dich bei deiner Schwester und lässt endlich die Hände von ihrem Handy", sagt sie streng zum Sohn und greift zur Schere, um den Anhänger aus dem Haarschopf zu schneiden. "Und du machst nicht so ein Drama daraus, sondern entsperrst die SIM-Karte eben wieder", sagt sie zur Tochter, natürlich genauso streng - Geschwister achten auf so etwas.

"Ich finde aber die Nummer nicht mehr, und morgen ist Silvester, und Silvester ohne Handy, das ist so ... so ... DU BIST SO EIN . . . (Die folgenden Sätze streichen wir aus Rücksicht auf das sittliche Empfinden der Leser.)"

Die Tochter hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen ("Wie soll ich mich mit jemandem treffen ohne Handy?"), der Sohn malt an einem Entschuldigungsbild für die große Schwester, die Mutter schreibt die nächsten Vorsätze auf die Liste:

7. Kinderzimmer ausmisten. Eventuell eine Wohnungsauflösungsfirma beauftragen.

8. Sandsack aufhängen, zum Abreagieren.

Der Vater kommt ins Zimmer: "Hast du meinen Zettel mit den Vorsätzen aus dem vergangenen Jahr irgendwo gesehen? Die waren so gut, die wollte ich mir gleich nochmal vornehmen."

Die Mutter schreibt die beiden letzten Punkte auf ihre Liste:

9. Flug buchen, für eine Person.

10. Niemandem verraten, wohin die Reise geht.

Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen und Tipps in den Kommentaren unter der Kolumne.

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