Familie & Partnerschaft:Guck doch mal!

Nichts fesselt Kinder mehr als der flimmernde Fernseher. Aber bekommt man wirklich viereckige Augen davon? Und wie dumm macht Spongebob?

Von Michael Neudecker

Fernseher im Wohnzimmer, Fernseher im Schlafzimmer, Fernseher in der Küche, Fernseher sogar im Kinderzimmer, oh boy, das ist America, nicht wahr? Oh yes, sagt Donna Stevens, gebürtige Australierin, die gerade in New York lebt und arbeitet, praktischerweise als Fotografin, und weil unsere Liebe zu der uns alltäglich umringenden Technik eine dunkle Seite hat, wie sie es formuliert, kam ihr dieser Gedanke: Kinder vor den Fernseher setzen, im ganzen Raum kein Licht außer dem Flimmern aus der Kiste, und dann Fotos der Kinder von vorne. Herausgekommen sind fantastische Bilder. Stevens nennt die Sammlung "Idiot Box".

Kinder sind keine Idioten, gewiss nicht, aber selbst als liebende/r Mutter oder Vater muss man sagen: Es gibt Momente, da kommt es einem so vor. Wenn Kinder vor einem Fernsehgerät sitzen - und das tun sie irgendwann fast alle -, dann schauen sie immer so wie auf den Bildern von Donna Stevens: entzückt, entrückt, abwesend, abgeknipst. So als säße ein Wirtstier auf ihrem Gehirn, das sie lahmlegt.

Ist das schlimm? Muss man sich Sorgen machen? Aber nein.

Kinder haben die wunderbare Fähigkeit, sich ganz besonders auf eine bestimmte Sache zu fokussieren, sich gänzlich auf sie einzulassen, so können sie sich in alles mögliche reinsteigern. Das gilt für Bilderbücher und Märchen, in die sie eintauchen, vor allem aber für alles, was in Farbe und Ton über einen Bildschirm hüpft. "Kinder gehen emotional stark mit Figuren aus Geschichten mit, und Fernsehen ist das stärkste Medium", sagt Maya Götz, die Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), eines von mehreren Forschungsinstituten, die seit vielen Jahren das Fernsehverhalten von Kindern und Jugendlichen untersuchen. Deshalb ist es nur logisch, dass ein Kind sich dem großen Flatscreen gerne mal auf zehn Zentimeter nähert, die in scharfem Ton gehaltenen Warnungen ("Du kriegst noch viereckige Augen!") ignorierend. Wobei, ignorierend stimmt hier gar nicht, es muss vielmehr heißen: nicht mitbekommend.

Den Augen schadet das Fernsehen dabei nur sehr bedingt, man blinzelt lediglich seltener während des Fernsehens, deshalb fließt weniger Tränenflüssigkeit, was zu dem Gefühl führen kann, dass einem die Augen brennen, wenn man zu lange vor der Mattscheibe sitzt. Der Abstand zum Bildschirm aber spielt da keine Rolle, auch die Dauer des Fernsehkonsums nicht. Viel spannender ist ohnehin die Frage, ob Fernsehen dumm macht, eine Frage, über die man stundenlang diskutieren kann, mindestens, selbst die Wissenschaft hat darauf noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden.

Weitgehend unumstritten ist, dass Fernsehen einem die Empathie rauben kann, Kindern besonders: Je öfter und länger ein Kind ohne Begleitung vor dem Fernseher sitzt, desto schwerer tut es sich damit, sich in andere einzufühlen. Denn mit einem Fernseher kann man nun mal nicht sozial interagieren, und die Figuren in Kindersendungen sind oft eindimensional, das ist in Deutschland nicht anders als in Amerika.

Man darf es also ruhig bedenklich finden, dass in Amerika nach einer Untersuchung des unabhängigen Joan Ganz Cooney Centers von 2014 die Zwei- bis Vierjährigen täglich 80 Minuten fernsehen, und es vielleicht sogar ein wenig erleichtert zur Kenntnis nehmen, dass die Zahlen in Deutschland nicht ganz so drastisch sind: Vorschulkinder kommen hier täglich auf 43 Minuten. Aber man muss deshalb nicht meinen, dass das Fernsehen hierzulande keinen größeren Einfluss auf das Leben von Kindern hat. Dazu noch eine Zahl aus einer wieder anderen Studie: Laut einer repräsentativen Befragung vom vergangenen Jahr greifen 56 Prozent der deutschen Eltern als Erziehungsmaßnahme als Erstes zur Strafe "Fernsehverbot".

Für die meisten Kinder ist das tatsächlich eine unangenehme Strafe, sie lieben ihre Fernsehhelden, vor allem, wenn es sich um einen gelben Schwamm handelt. Bei den Vorschulkindern wie auch den Sechs- bis Zwölfjährigen liegt Spongebob laut einer IZI-Untersuchung auf Platz eins; bei den Sechs- bis Zwölfjährigen folgen danach die gelben Anti-Vorbilder Bart und Homer Simpson und einige weibliche Kunstfiguren namens Prinzessin Lillifee oder Sally Bollywood, ehe auf Rang neun eine weitere männliche Kunstfigur auftaucht: Dieter Bohlen. Dieter Bohlen? "Kinder empfinden ihn als jemanden, der sagt, was Sache ist, jemanden, von dem man lernen kann", sagt Maya Götz. Es versteht sich von selbst, dass sie "Kinder" betont.

Dass Dieter Bohlen dennoch so weit hinter dem seit mehr als zehn Jahren unangefochtenen Spitzenreiter Spongebob rangiert, liegt an der Art, wie die Serie über den Schwammkopf konzipiert ist: Die Figur ist das idealtypische Kind, es will alles richtig machen, Spaß haben und macht dadurch manches falsch. Spongebob hat den liebenswürdigen, aber etwas dümmeren Freund, den schwerfälligen Seestern Patrick Star, und die idealtypische Freundin, das Eichhörnchen Sandy Cheeks, das dank der Nasa in einem von einer Luftglocke umhüllten Baum unter Wasser leben kann und einen Raumanzug braucht, wenn es den Baum verlässt, was dazu führt, dass es zwischen Spongebob und Sandy zwar zu einer geistigen, niemals aber einer körperlichen Nähe kommen kann. Ach so, die Serie spielt auf dem Meeresgrund, in der Stadt "Bikini Bottom". Für Erwachsene erschließt sich der Reiz dieser sonderbaren Serie nicht sofort, aber sie ist von dem Meeresbiologen Stephen Hillenburg ja auch für Kinder gemacht worden.

Stephen Hillenburg hat offensichtlich verstanden, was Kinder wollen, wenn sie fernsehen: Sie wollen Figuren, die ihren Alltag einerseits abbilden, andererseits aber den Alltag leichter erscheinen lassen. Ein schüchterner Junge zum Beispiel sucht sich gerne Heldensendungen aus, mit Figuren wie dem schlauen und tapferen Wikinger Wickie etwa. Der ist wiederum ein gutes Beispiel dafür, was das Fernsehen mit Kindern machen kann: eine harmlose Sendung, die, zum falschen Zeitpunkt konsumiert, Angst auslösen kann. Bei einer IZI-Studie nahm mal ein Mädchen teil, das erzählte, es bekäme von Wickie Albträume. Dann stellte sich heraus: Das Mädchen sah die Sendung kurz vor dem Einschlafen.

Kurz vor dem Bett fernzusehen, ist schlecht, darin sind sich die Forscher einig, das gilt selbst für das Sandmännchen, das unter den Lieblingssendungen bei Zwei- bis Dreijährigen mit Abstand auf Rang eins liegt. In vielen Familien ist das Sandmännchen ein wichtiger Teil des Bettgehrituals, allerdings kann es auch für unruhige Nächte sorgen, wenn es das Letzte ist, was das Kind vor dem Einschlafen zu sehen oder hören bekommt.

Die Drei- und Vierjährigen auf den Fotos von Donna Stevens durften sich Cartoons aussuchen, die sie für das Shooting anschauen wollten, die Sendungen dauerten zwischen zehn und 30 Minuten. Was die Kinder wählten, weiß Stevens nicht mehr, aber das war auch nicht so wichtig: Die Aufnahmen fanden ja nicht vor dem Bettgehen statt, sondern vormittags.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: