Familie:Papa ist peinlich

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Augen zu und durch. Und nicht darüber nachdenken, warum sich die Kinder gerade komisch verhalten - die Kinder selbst finden die Erwachsenen ja auch ziemlich seltsam. (Foto: SZ-Grafik)

Teenager-Jahre sind nicht nur für Kinder eine schwierige Zeit. Eltern müssen sich plötzlich Kritik an ihrem Kleidungsstil anhören und spüren jähen Liebesentzug, wenn sich der Nachwuchs abgrenzt. SZ-Autoren berichten.

Eben hingen sie einem noch an den Lippen, ließen sich von Papa Blitz und Donner erklären und die Sterne. Eben waren sie noch glücklich, wenn Mama einen Witz machte und alle gemeinsam glucksten vor Lachen. Und jetzt? Plötzlich finden sie die Familie so unangenehm chaotisch. Plötzlich finden sie alles Mögliche öde: Familienurlaub, Lieblingsessen und, ja, sogar Mamas Lachen - wollen nichts anderes mehr als chillen. Alles ganz wichtig, beruhigen Familientherapeuten wie Mathias Voelchert. Eine "wichtige Zwischenzeit" nennt er die Pubertät. Traut sich das Kind in der Pubertät, die Eltern infrage zu stellen, zeuge das von einer stabilen Beziehung. Aber wie ist diese Selbstfindungsphase wirklich, vor allem für die Eltern? Manchmal hat diese Zeit ja auch ihre komischen Seiten. SZ-Autoren berichten.

Gemaßregelt wie mit 15

Als Erwachsener kann man ja nichts mehr richtig machen, wenn das Kind dabei ist, selbst ein Erwachsener zu werden. Um Kollisionen mit dem pubertierenden Luftschiff zu vermeiden, respektiere ich also die Gebote, die der Nachwuchs aufstellt, und die das Zusammenleben im Alltag erleichtern sollen. Kleiner Auszug: Du sollst in meiner Anwesenheit keine Musik aus deinem Geburtsjahr hören, jedenfalls nicht ohne Kopfhörer. Du sollst nicht versuchen, witzig zu sein. Du sollst meine Freunde beim Essen nicht ausfragen. Du sollst dich wie ein Erwachsener ausdrücken, nicht wie ein 14-Jähriger. Nie, wirklich niemals sollst du mich in der Öffentlichkeit anfassen oder gar küssen.

Reisen mit Kindern
:Zehn Spiele für Auto, Bahn und Flugzeug

Verreisen mit Kindern ist anstrengend, wenn ihnen auf dem Weg in den Urlaub langweilig wird. Damit es gar nicht erst so weit kommt: zehn Kinderspiele, die auch die Nerven der Eltern schonen.

Das Problem ist, dass die Gebote permanent erweitert und modifiziert werden, man kennt sich nicht mehr aus. Während die Nachbarin ungestraft den Innenhof mit ihrer Playlist von "Barbie Girl" bis "Mambo Number Five" beschallt, werde ich zusammengefaltet, weil ich im Bad, wo das Radio vom Sohn auf 93.3 (Radio Energy) verstellt wurde, irgendwas mitsinge. Kaue ich stumm lächelnd auf meinem Frühstücksbrötchen herum, um dem Übernachtungsgast nicht versehentlich eine peinliche Frage zu stellen, ernte ich später eine Rüge für meinen Pyjama - weil ich keinen BH darunter getragen habe. Apropos Outfit: Als ich gestern aus dem Haus gehen wollte, wurde ich gebeten, oben mindestens einen weiteren Knopf meines Jeanskleides zu schließen: "Also echt, so kannst du doch nicht auf die Straße!" Wow - den Spruch habe ich das letzte Mal mit 15 zu hören bekommen. Von meiner Mutter.

Violetta Simon

"Kannst du Schuhe anziehen?"

Es ist schon eine Zeit her - die Kinder waren noch klein, so klein, dass man Probleme noch damit beheben konnte, Schaukeln anzuschubsen oder mit Kuli-Smiley bemalte Pflaster aufzukleben -, da schenkte uns ein Freund ein israelisches Kinderbuch. Es hieß "Papa nervt". Ein Papa, der ständig zu spät kommt, auf der Hochzeit in kurzen Hosen erscheint und seinem eigentlich schon großen Sohn vor den Augen der Kindergartenkumpels ein Küsschen abverlangt. Ich hielt es für harmlos. Der Refrain - das Ding ist in Reimform verfasst - lautet "Mein Gott, war das wieder peinlich - Papa nervt unwahrscheinlich". Mit den Jahren wurden die Kinder älter und mehr. Das Buch blieb. Der Refrain entwickelte sich zu einer Art Familiensoundtrack. Halb im Scherz, halb ernst. Ich lachte. Als Vater dreier jetzt schon großer Töchter muss man eben einiges aushalten.

Dieses Jahr nun, dachte ich, sollte alles anders werden. Der älteste Sohn, zwölfeinhalb, fast groß. Es war einer der ersten schönen Tage, D-Jugend-Ligaspiel: Das offensive Mittelfeld steht gut, ich winke meinem Zehner, die Grashalme des Turnierrasens kitzeln zwischen meinen Zehen. Nach einer verstrittenen Woche wieder versöhnt mit der Welt: Vater und Sohn. In der Halbzeitpause kommt mein Mittelfeldmotor (12. Spielminute 1:0 mit einer richtigen Granate) zu mir an den Spielfeldrand getrabt. Im Vorbeigehen - meine ausgestreckte High-Five-Hand bleibt leer und unbeantwortet in der Luft hängen - zischt er: "Sag mal, kannst du mal Schuhe anziehen!" Auf der nächsten Hochzeit weiß ich, was ich trage: kurze Hosen.

Georg Cadeggianini

Rumschlampern in Grado

Eine Woche Frühlingsurlaub in Grado, einem beschaulichen Adriastädtchen, ist kein Spaß. Jedenfalls nicht für zwei Teenager, die widrige Umstände mit ihren Eltern dorthin verschlagen haben. Was kann man da schon tun? Ausschlafen, rumschlappen, altes Zeug anschauen und essen gehen, oh ja, immer wieder endlos lange essen gehen. Meine Frau und ich finden das herrlich und wundern uns, warum sich die Laune der Kinder trotz strahlender Sonnentage immer mehr eintrübt. "Ihr schlagt aber wieder mal ganz schön zu", raunt die Tochter mit scheelem Blick auf unsere Teller mit Fritto Misto und Spaghetti allo Scoglio. "Solange wir noch mit euch in Urlaub fahren, könnt ihr schon auf eure Figur achten", raunzt der Sohn.

Am nächsten Abend sitzen wir wieder in dem netten Lokal mit den großen Portionen. Wir tafeln und unterhalten uns lebhaft mit einem italienischen Paar am Nachbartisch. Unsere Kinder werfen sich Blicke zu und stehen bald auf, um noch etwas rumzulaufen. Nach zwei Stunden gehen wir heim. Die Gasse mit unserer Ferienwohnung ist stockdunkel. Als ich mit dem Schlüssel am Schloss herumfummele, höre ich unsere Kinder schimpfend um die Ecke kommen. Tochter: "Also, dass der Papa immer andere Gäste mit seinem Italienisch anquatschen muss, ist so was von peinlich!" Sohn: "Und hast du gesehen, wie viel die wieder in sich hineingeschaufelt haben?" Tochter: "Sie werden weiter zunehmen!" Sohn: "Und dann finden sie auch noch, sie hätten sich so gut gehalten."

Schulweg
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Interview von Ralf Steinbacher

Stefan Ulrich

Foxtrott

Seltsamerweise hat man selbst gar keine Erinnerung an sein pubertierendes Ich. Vielleicht hat da einer die Delete-Taste gedrückt. Ich weiß nur noch eines: Wie unglücklich meine Mutter damals darüber war, dass ich beim Abschlussball des Tanzkurses einen Bogen um sie gemacht habe. Meine Mutter empfand das als Schmach, immer mal wieder sprach sie mich darauf an: "Aber alle anderen haben doch mit ihren Müttern und Vätern Foxtrott getanzt, die hatten kein Problem damit, warum war ich dir dann peinlich?" Heute würde ich ihr gerne noch mal sagen, dass es mir leidtut. Chance verpasst.

Immerhin ahne ich, warum meine 13-jährige Tochter öfter mal Reißaus nimmt oder die Ohren auf Durchzug stellt, wenn ich Vorschläge zur Freizeitgestaltung mache. Ich (ehrlich bemüht): "Wie wäre es mit einem Ausflug zur Partnachklamm, Wahnsinnsschlucht, wirst sehen ..." Tochter (die nur mit Mühe bewegt werden kann, den Kopfhörer abzunehmen): "Neee, Papa, heute nicht, vielleicht nächstes Wochenende." Ich (leicht anbiedernd): "Du, das Bayerische Nationalmuseum hat einen tollen neuen Audioguide, da könnten wir mal hin ..." Tochter (genervt): "Auf keinen Fall. Drachen, alte Möbel, Ritterrüstungen. Kenn ich alles." Ich (mit Augenaufschlag): "Fährst du mit uns in den Biergarten?" Tochter (mit sich überschlagender Stimme): "Darf ich bitte, bitte hierbleiben? Ich will auch mal meine Ruhe, versteh das doch mal!" Ja, ja, schon gut, denke ich. Alles ist Foxtrott. Geht viel zu schnell vorbei, dieser Tanz.

Christian Mayer

Gammlerjacke

Okay, zugegeben, die Jacke sah schon arg oll aus. Eine Art Sweatshirt mit Reißverschluss war es, hellgrau, aus der Form geraten, die Taschen ausgebeult, winzige weiße Flusen zeigten sich überall. Aber gemütlich war der Fetzen, daheim nach Feierabend. Und irgendwann passierte es. Vater und Tochter brachen an einem Samstagvormittag auf, um im Viertel etwas einzukaufen. Auf der Straße kriegt die Tochter einen Rappel: "Papa, du hast doch nicht ernsthaft diese Gammlerjacke an? Nee, so gehe ich mit dir nirgendwohin. Das ist absolut peinlich." Ich zog das Ding aus und hängte es mir über den Arm. Danach verlor ich das Kleidungsstück aus den Augen. Und die Tochter entwickelte zusehends einen individuelleren Kleidungsstil. Plateauschuhe wurden angeschafft, ein langer geschlitzter Rock, Crop-Tops. Eines Abends macht sich die junge Frau fertig für eine Party. Da entdecke ich an ihr eine olle graue Jacke mit Flusen. Das ist doch nicht? Klar ist sie es, meine "Gammlerjacke". Soso, die gehört jetzt dir?, frage ich. "Ja, Papa, an dir sieht sie einfach nicht gut aus. Mir steht sie richtig gut."

Patrick Illinger

Nicht lachen, nicht singen

Klar sind Eltern peinlich. Meine mir. Immer noch. Ständig. Und weil ich nun mal sehr gebrandmarkt und auch total sensibel bin, bin ich, klarer Fall, die allerunpeinlichste Mutter der Welt. Ich bleibe betont lange am Spielfeldrand stehen, wenn der Große sich auf dem Platz mit einer Verletzung windet. Ich atme dreimal durch, während der Mittlere mit Freunden den minutenlangen Check zelebriert. Wäre schließlich vor allem peinlich für mich, das hat mich meine eigene Jugend gelehrt. Alle Fühler sind nach außen gestreckt. Es wird nicht kommentiert, übermäßig gefragt, kein Essen aufgedrängt, und lieber werde ich von den Freunden meiner Kinder gar nicht wahrgenommen, als durch irgendeinen zu hohen Lacher, eine irre ungelenke Nachfrage, eine zu zugewandte Begrüßung.

Andererseits: Immer hält man so viel Selbstkontrolle auch nicht durch. Und darum gelten zu Hause andere Regeln. Zum Glück ist mir das egal, wie meine Kinder mich finden. Und wenn ich da auch noch die Peinlichkeitsskala runterschrauben soll ("Mama, kannst du mal aufhören zu singen", "Mama, zieh dir bitte eine lange Hose an"), dann drohe ich damit, dass ich die Freunde beim nächsten außerhäuslichen Treffen in joviale Gespräche verwickeln werde, mir kurz die Zwischenfrage nach der ersten Freundin erlaube. Oder so was Ähnliches. Mit allergrößtem Peinlichkeitsvergnügen.

Silke Stuck

Böse Blicke beim Bier

Der Schlamassel fing mit einem rundum erfreulichen Wiesn-Besuch an. Von peinlicher Trunkenheit konnte keine Rede sein, auch nicht von gravierenden Ausfallerscheinungen, aber irgendwas hatte sich in Stimme und Lautstärke zu meinen Ungunsten verändert, als ich den bei Freunden untergebrachten Sohn beim Abholen schwungvoll begrüßte. Mein Sohn war vielleicht neun oder zehn, als er feststellte, dass Alkohol bei seinem Vater Spuren hinterlässt. Nie wieder habe ich - soweit ich mich erinnere - eine ähnliche durch Bier oder Wein ausgelöste Bewusstseinsstufe in seiner Gegenwart erreicht. Aber das eher winzige Erlebnis reichte. Sieben Jahre mag das her sein, vielleicht acht. Aber seit diesem Abend bereitet ihm jeder meiner Griffe nach einem Glas Bier eine enorme Pein.

Er schämt sich schon, wenn ich nur das gefüllte Glas mit einer gewissen Vorfreude anschaue. Für ihn ist das ein Tunnelblick. Es schüttelt ihn vor Widerwillen - weil es mich nicht schüttelt. Mein forscher Griff zum Glas ist aus seiner gequälten Perspektive das Fuchteln des Verzweifelten nach dem letzten Strohhalm. Und der erste Schluck ist nicht mehr und nicht weniger als das gierige Schlabbern des Verdurstenden in der Wüste. So konsequent erklärt er mir jedes Mal, wie peinlich ich ihm bin, dass mir der erste Schluck nie so recht schmeckt. Der zweite und der dritte gehen dann schon wieder.

Harald Hordych

Die Abseitsfalle

Es war eine Selbstverständlichkeit, seit Jahren: Die Söhne und ich gehen auf den Fußballplatz kicken. Mit ihren Freunden, mit anderen Vätern, ohne andere Väter. Dann kam ein bestimmter Samstagnachmittag. Die beiden Söhne holen ihre Fußballschuhe. Der jüngere weicht meinem Blick aus. Der ältere sagt: "Papa, äh, wir gehen heute nur mit unseren Freunden kicken." Ich habe dann kurz überlegt, ob mein Trikot das letzte Mal zu knapp saß. Ob ich zu deutlich gefordert hatte, die anderen sollten beim gegnerischen Angriff auch zurücklaufen. Schnell war mir klar, es ging nicht ums Trikot, nicht ums Fordern. Meine Söhne waren jetzt in der Pubertät.

Es traf mich wie ein Stromschlag. Die Pubertät also, eiskalte Rache an der Vätergeneration, die nicht mehr erst dann von der Arbeit kommt, wenn die Kinder schon längst schlafen. Auf der anderen Seite: Es ist eben eine neue Phase. Manchmal fragten sie, ob ich mit zum Kicken kommen wolle. Manchmal wollten sie mit den Freunden unter sich sein, oder bestimmte Freunde wollten keine Väter dabeihaben. Und kickte ich nicht schon seit Jahren bei einer Alte-Herren-Truppe, die das Mitnehmen von Söhnen explizit ausschloss? Na also. Inzwischen sind die beiden älteren Söhne der Pubertät entwachsen. Sie fragen jetzt ab und zu, ob sie zum Fußball mit den Kollegen mitkommen können. Klar, sage ich. Und freue mich.

Alexander Hagelüken

© SZ vom 09.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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