Familie:Aus die Laus?

Parasiten-Ausstellung im Museum "Mensch und Natur", 2007

Läuse krabbeln von Kopf zu Kopf. Hier betrachten zwei Besucher im Museum das übergroße Modell einer Kopflaus.

(Foto: Stephan Rumpf)

Während überall Kinderköpfe shamponiert und gekämmt werden, hat ein Experte den ultimativen Plan, um Läuse zu eliminieren. Der Haken: Alle müssten mitziehen.

Von Verena Mayer

Und als die Sechsjährige wieder einmal mit eingeschäumtem Kopf in der Badewanne sitzt, man ihre Haare wäscht, spült und jede einzelne Strähne auf hellbraune Tierchen und deren Nachwuchs absucht - da fragt sie plötzlich in die Stille des Badezimmers: "Mama, wer hat eigentlich die Läuse erfunden?"

Als Mutter schulpflichtiger Kinder, die mindestens einmal im Jahr, eher aber alle drei Monate Kopfläuse haben, würde man gerne antworten: Das waren dunkle Mächte, die verhindern wollen, dass eine Familie einfach mal nett beisammen ist. Und nicht ihre Zeit damit verbringt, öliges Läusemittel, das dreißig Minuten einwirken muss, in der ganzen Wohnung zu verschmieren, es wieder auszuwaschen und sich gegenseitig mit einem Metallkamm zu traktieren, dessen Zähne so eng stehen, dass man damit nicht einmal ein Plüschtier striegeln kann. Geschweige denn langes Mädchenhaar, das der Statistik zufolge am häufigsten betroffen ist. Auf einen Jungen mit Läusen kommen in Mitteleuropa zwei Mädchen, in der Türkei sogar zwölf. Und das alles am Wochenende, denn Kopfläuse hat man, wie Wasserrohrbrüche oder Computerviren, gerne Samstagabend.

Bettwanzen oder Mücken stehen für Mobilität, die Laus hingegen sorgt immer noch für Scham

Oder aber die internationale Shampoo- und Kamm-Lobby hat die Läuse erfunden. Denn wer profitiert bitte schön von dem ständigen Waschen und Auskämmen? Da muss man doch nur der Spur des Geldes folgen! In Deutschland werden jedenfalls im Jahr etwa 28 Millionen Euro für Läusemittel ausgegeben. Die Kosten, die entstehen, weil Eltern ihre verlausten Kinder irgendwo abholen oder daheimbehalten müssen, sind da nicht miteingerechnet.

Solchen Quatsch erzählt man dem Kind in der Badewanne natürlich nicht, das gerade fasziniert zuguckt, wie die Läuse den Ausguss hinuntergespült werden. Sondern die Wahrheit: Läuse gab es immer schon, wo Menschen zusammenleben und sich die Insekten mit ihren sechs Klammerbeinchen von Haarsträhne zu Haarsträhne hangeln können. Nachts im Bett etwa, wo die maximal zehn Läuse, die der Forschung zufolge einen durchschnittlichen mitteleuropäischen Kinderkopf bevölkern, mehrmals den Wirt wechseln.

Läuse treffen jeden, unabhängig von Herkunft, Haarfarbe und Hygiene, sogar das Model Heidi Klum hatte letztens welche. In einer Talkshow erzählte Klum, wie sie erst panisch wurde und dann zur Behandlung einen dieser Dienste holte, um die man die USA beneidet: "Lice Fairy" heißen die, Läuse-Fee. Was allen Menschen jedoch gemein ist: Kaum spricht man über oder denkt an Läuse, juckt es einen am Kopf.

Neu ist hingegen, wie offen mit dem Thema umgegangen wird. Gesundheitsbehörden informieren über Pedikulose, wie Kopflausbefall medizinisch heißt, Schulen haben "Läuse-Verträge", in denen man sich verpflichtet, Befall zu melden und die Kinder nicht unbehandelt zur Schule zu schicken. In Wien kann man sich vom Amt entlausen lassen, in Großbritannien gibt es den "Bug Busting Day", einen landesweiten Aktionstag gegen Läuse. Und in einem Mathematikbuch für die vierte Klasse findet sich folgende Aufgabe: "Eine weibliche Laus legt an jedem Tag ihres einmonatigen Lebens etwa vier Eier. Nach acht Tagen schlüpft die Laus, beginnt sich zu paaren und legt wieder Eier. Wie viele Eier legt eine Laus in drei Wochen?"

Liebevolle Läuse-Sprüche gibt es nur bei "Meine Freundin Conni"

Viele, sehr viele. Und sie alle wollen aus dem Haar gepult werden, schon die Wikinger hatten Nissenkämme. Geholfen hat es wenig. "Die Läuse werden immer da sein", sagt Jan Krüger. Er ist Vorsitzender der Deutschen Pediculosis Gesellschaft, 2006 gegründet von Eltern, die so entnervt von den Läusen waren, dass sie begannen, Info-Material und Sets zur Behandlung zu verteilen. Was daran liege, dass Läuse am Menschen leben und in dem sozialen Gefüge, das Menschen bilden.

Stehen Schädlinge wie Bettwanzen oder Mücken, die man aus exotischen Ländern einschleppt, für Globalisierung und Mobilität, so kann man an Läusen studieren, wie eine Gesellschaft funktioniert. Die teilt sich auf in diejenigen, die ihre Mitmenschen sofort informieren, wenn die Familie Läuse hat. Und diejenigen, die das nicht tun, aus Scham, Nachlässigkeit oder Angst, das Kind könnte vom Unterricht ausgeschlossen werden, wie es lange üblich war. Gruppe zwei sorgt dafür, dass immer irgendein Kind Läuse hat und sie weitergibt. Das Insekt kann auch zur Ausrede werden, wie bei einer Berliner Schulklasse, die in einer überfüllten U-Bahn keine Sitzplätze bekam. Die Lehrerin rief "Wir haben Läuse!" in den Waggon.

Jan Krüger von der Kopflaus-Gesellschaft kann den Läusen sogar etwas Positives abgewinnen. Es gebe die These, dass Läuse das Sozialverhalten fördern, zumindest unter Affen. Wer andere laust, kümmere sich um das Gemeinwesen, und das erhalte die Art. Dass dies auf den Menschen zutrifft, darf bezweifelt werden. Familien, in denen man liebevoll Läuse-Sprüche aufsagt ("Hinter den Ohren werden sie geboren, im Nacken kannst du sie packen"), gibt es nur in der Zeichentrickserie "Meine Freundin Conni".

In allen anderen Familien wird fluchend die Bettwäsche abgezogen, werden Mützen gewaschen, manche werfen noch sämtliche Kuscheltiere ins Gefrierfach, was man sich aber sparen kann. Als Parasiten, die sich von Blut ernähren, brauchen Läuse den Menschen, ohne ihn sind sie nach wenigen Stunden tot.

Manchmal stiften Läuse sogar Freundschaften. Zumindest im Kinderbuch

Und wie wird man die Läuse am besten wieder los? Frage an Hermann Feldmeier vom Institut für Mikrobiologie und Hygiene von der Berliner Charité, der sich seit Jahren mit Kopfläusen beschäftigt und einen Plan entwickelt hat, um sie zu eliminieren. Er setzt nicht nur auf Shampoo und Kämmen, sondern auch auf das soziale Gefüge. Das, was den Läusen das Leben ermöglicht, soll ihr Tod sein. Wenn es nach Feldmeier geht, werden in einer Schule oder Kita bei Läusealarm alle Erziehungsberechtigten zusammengetrommelt, dazu jemand aus dem Gesundheitsbereich. Es wird festgelegt, wie die Kinder zu behandeln sind, und anschließend werden alle Leute aus dem Umfeld kontaktiert, mit denen die Kinder in den vergangenen drei Wochen zusammen waren. Alle shampoonieren dann gleichzeitig ihre Köpfe, wobei man die Behandlung nach sieben bis neun Tagen wiederholen muss, um frisch geschlüpfte Läuse zu erwischen. Gegen so viel menschlichen Zusammenhalt sollten nicht einmal Läuse ankommen, glaubt Feldmeier.

Manchmal stiften Läuse sogar Freundschaften. Zumindest im Kinderbuch "Madita" von Astrid Lindgren. Da steckt sich Madita bei ihrer verhassten Schulkameradin mit Läusen an. Die ist so arm und verwahrlost, dass alle sie nur "Läuse-Mia" nennen. Maditas Mutter reibt beiden den Kopf mit Sabadillessig ein, schickt sie zum Auswaschen an den Fluss, und danach sind die Mädchen unzertrennlich. Läuse haben und sie wieder loswerden - das verbindet eben.

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