Extremklettern:Der ewige Huberbub

Thomas, der ältere der bergsteigenden Brüder, sucht nach dem Rekord am El Capitan neue Ziele.

Dominik Prantl

Von Thomas Huber gibt es dieses Bild, das mittlerweile wohl das bekannteste eines Extremkletterers ist. Es hing in den Schaukästen vor den Kinos und schmückt DVD-Hüllen, es war das Standfoto zum Film. Es zeigt Thomas Huber, wie er mit verbissenem, schmerzverzerrtem Gesicht an einem Seil hängt. Er hat sich gerade von der Wand abgestoßen und dadurch keinen Kontakt mehr zum Fels. Die Perspektive aber ist so gewählt, dass die sandfarbene Steilwand zu seinen Füßen wie eine ebene Wüste wirkt, durch die er sich mit riesigen Sprüngen bewegt, gezogen von einer unsichtbaren Kraft. Am 8. Oktober hat Thomas Huber diese Wüste endlich hinter sich gelassen.

die "huberbuam"

Verständigung ohne Worte: Thomas Huber und sein Bruder Alexander

(Foto: Foto: ddp)

Die Aufnahme ist bei den Dreharbeiten des Dokumentarfilms "Am Limit" von Pepe Danquart im Jahr 2006 entstanden. Bei den Filmarbeiten misslang den Brüdern Thomas und Alexander Huber der Rekordversuch im Geschwindigkeitsklettern an der Nose, einer bekannten Route im Yosemite Nationalpark. Die als "Huberbuam" wohl bekanntesten Exponenten ihres Sports scheiterten vor allem daran, in der Senkrechten gleichzeitig als Schauspieler und Sportler zu agieren. Vor wenigen Wochen kehrten die beiden an die Nose zurück, ohne Filmteam, ohne Kameras, ohne Druck. In zwei Stunden, 45 Minuten und 45 Sekunden kletterten sie so schnell die 1000 Meter hohe Wand empor wie noch kein Duo zuvor.

Es gab Experten, die einen Erfolg der Huberbrüder auch bei ihrem dritten Anlauf für unwahrscheinlich gehalten hatten. Im Sommer war Thomas Huber bei einem Fallschirmsprung von der großen Zinne wegen Rückenwindes auf einem Felsblock gelandet. Fünfmal wurde er im August operiert, "da glaubte natürlich keiner, dass ich so schnell wieder fit bin." Dass er noch die nötige Form erreichte, veredelt für ihn die jüngste Leistung erst so richtig: "Da bin ich stolz drauf. Denn da bin ich ein wahnsinniges Viech."

Bereits am 15. September wagte er sich mit seinem Bruder wieder an die Nose, die eine normale Seilschaft in etwa zwei bis vier Tagen durchsteigt. Sie benötigten zehn Stunden, das Vierfache ihrer Wunschzeit, und obwohl sie sich erst einmal an die Wand herantasten mussten "haben wir da einige Illusionen verloren", sagt Thomas Huber. Beim siebten Versuch am 4. Oktober unterboten sie dennoch die alte, zumeist mit 2:48:55 Stunden angegebene Rekordmarke von Hans Florine und Yuji Hirayama um wenige Sekunden, und weil diese kümmerliche Differenz in der Szene mehr Heiterkeit als Respekt erzeugt hätte, legten sie vier Tage später nach und waren noch einmal 170 Sekunden schneller.

Nach Hause kommen

Irgendwie hängt Thomas Huber aber noch immer in dieser Wand, gedanklich zumindest. Längst sitzt er in seinem Haus in Berchtesgaden, bei seiner Frau und seinen drei Kindern, doch er sagt: "Erst einmal will ich nach Hause kommen." Es ist nicht einfach, sich nach einem solchen Erfolg mal schnell abzuseilen, trotz der "absoluten Freude" (Huber). Wer die Nose derart fix durchstiegen hat, wird nicht in Ruhe gelassen.

Die Route an der Südwand des Granitmonoliths El Capitan hat sich zur wohl bekanntesten und publikumswirksamsten Rennstrecke in der Senkrechten entwickelt. Hier hat das umstrittene Prinzip höher, schneller, weiter im Klettern einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Eine neue Bestmarke ist mit einem 100-Meter-Weltrekord in der Leichtathletik vergleichbar - mit größeren Leistungssprüngen. Noch im Jahr 1999 lag die Rekordzeit bei 4:22 Stunden. Auch hat das Filmprojekt das Vorhaben noch stärker ins Rampenlicht gerückt.

Derzeit gibt es genügend Menschen, die Thomas Huber an nahezu jeden Abschnitt der Wand erinnern - Journalisten, Sponsoren, Bekannte. Er selbst wird das Rennen gegen die Zeit natürlich in seine Vorträge einarbeiten. "Jeder möchte ja wissen, wie es gelaufen ist."

Es geht aber nicht nur darum, wie es gelaufen ist, sondern vor allem darum, wie es langfristig weitergeht. In wenigen Wochen wird Thomas als älterer der beiden Huberbuam 41 Jahre alt. Es stört ihn nicht, wenn man ihn darauf anspricht, und er spüre das Alter auch nicht. Natürlich könne er kaum mehr mit den ganz jungen Kerlen konkurrieren, die eine mit dem elften Schwierigkeitsgrad bewertete Wand in relativ kurzer Zeit durchklettern. "Aber professionell gesehen kann ich vom elften Schwierigkeitsgrad ohnehin nicht leben."

Verständigung ohne Worte

Der neue Rekord war auch ein Triumph der Erfahrung und der perfekten Verständigung ohne Worte mit seinem klettertechnisch als überragend geltenden Bruder. Eine Leistung für die Ewigkeit war es nicht. Huber taxiert die Haltbarkeitsdauer der Bestmarke gerade mal auf ein Jahr. Hans Florine, der ehemalige Rekordhalter, habe bereits einen Versuch angekündigt. "Der freut sich, dass er eine Aufgabe hat", sagt Huber. Er selbst wird ebenfalls weiterklettern, auch wenn sich die Ziele immer mehr dorthin verlagern, wo Vertrauen in den Seilpartner und Routine eine größere Bedeutung besitzen.

Die meisten Unternehmungen will er mit Bruder Alexander angehen. In Patagonien harrt mit der Überschreitung der Torre Standhardt, Torre Egger und Cerro Torre ein bereits vor zwei Jahren erstmals anvisiertes Projekt der Vollendung. Für November 2008 ist eine Expedition in die Antarktis geplant, auch die hohen Wände des Himalajas rücken wieder in den Fokus, Huber war schon früher gerne in dünner Luft unterwegs. Er spricht von Herausforderungen, neuen Kapiteln oder, wie im Falle Patagoniens einigermaßen pathetisch, von "den großen Linien der Welt". Andere würden dort wohl nur einige steile Berge erkennen, das hängt von der Perspektive ab.

Wie es weitergeht? Thomas Huber sagt: "Tja, so wie immer." Schließlich dreht es sich auch in neuen Kapiteln um das Gleiche: aufbrechen, aufsteigen und es vor allem schaffen, wieder nach Hause zu kommen.

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