Extrem-Bergsteigen:Eine Frage des Stils

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Gerlinde Kaltenbrunner und Christian Stangl gehören zu den besten Bergsteigern der Welt. Sie gehen unterschiedliche Wege - und haben doch dasselbe Ziel.

Dominik Prantl

Früher war der Alpinismus eine recht einfach zu vermittelnde, fast banale Angelegenheit. Es ging darum, einen möglichst hohen Berg oder eine abschreckende Wand zu ersteigen, bestenfalls als Erster überhaupt, egal wie. Dieses "wie" gewann erst mit der sich verringernden Zahl an unbestiegenen Gipfeln an Bedeutung.

Gerlinde Kaltenbrunner und Christian Stangl steigen zwar mit anderen Ansätzen auf die höchsten Berge der Welt, doch sie wertschätzen sich als Sportler. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

So gilt der Marsch auf den Mount Everest ohne Flaschen-Sauerstoff durch Reinhold Messner und Peter Habeler 1978 im Höhenbergsteigen als Zäsur, die Huberbuam erklärten mit dem Film "Am Limit" die Geschwindigkeit im Klettern zu einem maßgeblichen Faktor, und wenn es derzeit um medial wirksame Rekorde geht, steht der K2 im Karakorum im Mittelpunkt.

Gerlinde Kaltenbrunner, deren Schritte als erfolgreichste 8000er-Frau vor allem in ihrer Heimat Österreich minutiös verfolgt werden, ist auf dem Weg dorthin; ihr Landsmann Christian Stangl, der sich selbst Skyrunner nennt, wird in zwei Wochen folgen, um Auf- und Abstieg vom Basislager in insgesamt weniger als 24 Stunden zu meistern.

Dass sich die prominenten Berufsbergsteiger ausgerechnet am gefährlichsten Achttausender über den Weg laufen könnten, ist ein interessanter Zufall. Denn bislang hatten die beiden, vorsichtig ausgedrückt, wenig miteinander zu tun. "Ich kenne ihre Konkurrentinnen besser", sagt Stangl und meint die Italienerin Nives Meroi und die Spanierin Edurne Pasaban.

Auf ausgetrampelten Pfaden

Letztere stand wie Kaltenbrunner bereits auf zwölf Achttausendern. Was andere als Expeditionen bezeichnen, nennt Stangl eine Auslandsfahrt. "Sich eine Genehmigung zu holen und von einer Agentur ins Basislager bringen zu lassen, ist nicht schwieriger als eine Reise nach Caorle." Überhaupt werde der Mythos um die Achttausender künstlich hochgehalten, wo sie für ihn doch nicht mehr sind als eine knackige Tagestour.

Kaltenbrunner bemängelt, dass Stangl bei seinen Bergsprints wie beispielsweise auf den Mount Everest von der Arbeit anderer Bergsteiger profitiere. Als "manchmal überheblich" bezeichnet sie seine Äußerungen. "Ich hoffe, ihn am Basislager zu treffen, um ihn darauf anzusprechen. Das ist Hochleistungssport und hat mit Bergsteigen nichts mehr zu tun."

Trotz aller Abgrenzungsversuche, oder vielleicht gerade deshalb, setzen beide Bergsteiger neue Maßstäbe - und unterscheiden sich so von den meisten anderen Aspiranten an den höchsten Bergen der Welt. Kaltenbrunner fehlt außer dem K2 nur noch der Mount Everest, um als erste Frau alle Achttausender gepackt zu haben.

Während sie allein durch klassisches Bergsteigen die im Alpinismus noch immer vorherrschenden Geschlechterhierarchien verändert, muss sich Stangl zur Rechtfertigung seines Profidaseins schon etwas Ausgefuchsteres einfallen lassen: "Ich will niemanden kopieren. Ich will einen weiteren Sprung im Alpinismus machen."

Weil er nicht die technischen Möglichkeiten eines Ueli Steck oder Alexander Huber besitze, kombiniert er den Berglauf mit dem Höhenbergsteigen und schafft damit nicht nur sich selbst ein Profil, sondern "eine neue Unterdisziplin des Bergsteigens" (Stangl). Auch bricht er durch seine herausragende Konstitution und Höhenverträglichkeit mit Traditionen wie dem sich langsamen Annähern an den Gipfel über Höhenlager. So personifiziert er den Entwicklungsprozess eines in immer mehr Fachbereiche zerfallenden Alpinismus.

Letztlich folgt Stangl am K2 jedoch ausgetrampelten Pfaden, und er tut dies im Wortsinne. Bergsteigerkollegen wie Kaltenbrunner finden die Leistung deshalb nicht mehr vergleichbar: "Er wäre nicht so schnell, wenn er mal einen halben Meter Neuschnee spuren und Fixseile legen müsste."

Stangl sieht darin nichts Verwerfliches: "Natürlich kann ich diesen Sport nur forcieren, weil an bestimmten Bergen genügend Leute unterwegs sind." Während die Öffentlichkeit nur Gipfelerfolge und Zeiten registriert, wird das Wie zumindest für einige wenige zum zentralen Streitthema - und längst geht es nicht mehr nur um den Einsatz von Flaschensauerstoff.

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Dreikampf der Frauen

Die Achttausender der Erde (Foto: Foto: SZ-Karte)

So prüft die Szene auch den Dreikampf der Frauen entsprechend kritisch. Da wird honoriert, dass Meroi für ihren entkräfteten Partner am Kangchendzönga umdrehte, während sich Pasaban beim Abstieg an der Annapurna mit Erfrierungen ins rettende Lager tragen ließ. Der Berg gilt dennoch als bestiegen, womit sie wieder gleichauf liegt mit Kaltenbrunner.

Über deren Leistung wurde in Bergsportportalen wiederum debattiert, ob sie durch ihren Mann Ralf Dujmovits nicht einen enormen Vorteil genieße. Dujmovits stand als professioneller Bergreiseveranstalter und Expeditionsleiter bereits auf allen Achttausendern und wird seine Frau am K2 vom Basislager aus unterstützen.

Ebenso gut ließe sich aber wohl auch eine Diskussion darüber anzetteln, ob der einen Aspirantin der Wind nicht doch ein wenig stärker um die Nase blies, während die andere drei Müsliriegel mehr verspeiste. Ein Vergleich im Bergsteigen ist seit jeher schwierig, und wahrscheinlich meint es Kaltenbrunner tatsächlich ernst, wenn sie behauptet, ihr sei es völlig egal, wer als erste Frau alle Achttausender schafft: "Sich da auf einen Wettkampf einzulassen, wäre doch völlig verfehlt" - noch dazu, wo sie Pasaban als Freundin bezeichnet.

Nur: Warum bricht sie, obwohl gerade erst vom erfolgreichen Versuch am Lhotse zurückgekehrt, nach nur zehntägigem Heimaturlaub gleich wieder auf, dieses Mal nach Pakistan?

Irgendwie scheint auch sie gegen die Zeit zu laufen, was nicht die einzige Parallele zu Stangl ist. Beide haben ihre Wurzeln in Österreichs Mitte, nur ein paar Berge trennen ihre Geburtsorte Landl und Kirchdorf. Auch wenn Stangl anders als Kaltenbrunner meist alleine unterwegs ist, haben beide den für Bergsteiger typischen Werdegang hinter sich.

"Stangl - eine Ausnahmeerscheinung"

Gerne erzählt Kaltenbrunner, 38, gelernte Krankenschwester, wie sie im Kindesalter von ihrem Gemeindepfarrer zum Wandern mitgenommen wurde. Später fand sie über Klettertouren zum Höhenbergsteigen und stieg als 23-Jährige am Broad Peak erstmals über 8000 Meter hoch. Christian Stangl, 42, gelernter Elektrotechniker, erging es ähnlich: mitgenommen zum Wandern, Klettern im Alpenraum, und mit Anfang 20 schließlich die ersten Auslandsfahrten, als ihm die heimischen Berge zu klein wurden. Sowohl Kaltenbrunner wie Stangl wollen noch in diesem Jahr ihr bisheriges Leben als Buch herausgeben.

Auch ist da eine gegenseitige Wertschätzung von Sportlern, die beide mit möglichst einfachen Mitteln ihr Ziel aus eigener Kraft erreichen möchten. Kaltenbrunner nennt Stangl eine "Ausnahmeerscheinung". Beide beherrschen als Profis das Spiel mit den Medien und wehren sich doch gegen deren eindimensionale Pointen. Sie verwahrt sich dagegen, dass bei ihr immer der Wettkampf und eine angebliche Konkurrenz mit Meroi und Pasaban im Vordergrund stehen. Ihn stört, dass von seinen diversen Projekten und Leistungen nur die außergewöhnlichsten Skyruns von der Presse bemerkt werden.

Und doch zieht es Stangl wie Kaltenbrunner unter den vielen möglichen Zielen nun an einen öffentlich so ausgeleuchteten Berg wie den K2, an dem beide oberhalb von 8000 Metern schon einmal umdrehen mussten. Kaltenbrunner nennt den K2 den "Berg der Berge", Stangl schwärmt von der "super Form".

Möglicherweise bemerken die beiden bei einem Treffen am K2, der sich wenig um Stilfragen schert, dass sie so grundverschieden gar nicht sind.

© SZ vom 10.06.2009/mmk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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