Expertentipps zur Erziehung:Was tun, wenn sich mein Kind betrinkt?

Der Jugendliche kommt zum ersten Mal betrunken heim oder findet, dass zu viel Alkohol zu jeder Party gehört. Wie Eltern da richtig reagieren, erklärt Erziehungsberaterin Trudi Kühn.

Katja Schnitzler

Der Jugendliche torkelt betrunken in die Wohnung, die Eltern sind fassungslos. Wer dann vor Wut tobt, verschärft das Problem nur, sagt Pädagogin Trudi Kühn. Sie hat in Deutschland STEP, ein Training für Eltern und Pädagogen, eingeführt. In den Elternkursen lernen Väter und Mütter, wie sie ihre Kinder konsequent und dennoch mit mehr Gelassenheit erziehen. Ein Gespräch über Neinsagen, gemeinsames Trinken und die Angst der Eltern.

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Jetzt bloß nicht durchdrehen: Wenn Jugendliche aber öfter stockbesoffen sind, sollten sich die Eltern Hilfe holen.

(Foto: kallejipp / photocase.com)

Süddeutsche.de: Dürfen Eltern daheim vor ihren Kindern überhaupt Wein, Bier oder Schnaps trinken?

Trudi Kühn: Natürlich prägt unser Vorbild die Kinder und ob wir wollen oder nicht, Vorbilder sind wir die ganze Zeit. Aber sicher können Eltern zu Hause ihr Feierabendbier trinken. Nur müssen sie aufpassen, wenn sie mit oder vor ihren Kindern darüber sprechen, Alkohol weder zu verteufeln noch zu verklären. Vielmehr ist es entscheidend, den Heranwachsenden ganz sachlich und ohne Panikmache zu erklären, welche Folgen zu viel Alkohol hat, insbesondere im Straßenverkehr. Ausschlaggebend, um überzeugend zu sein: selber nicht trinken, wenn man fährt. Bei Befragungen von Jugendlichen, wovor sie Angst haben, nennen sie übrigens nach Arbeitslosigkeit gleich Alkohol- und Drogenprobleme.

Süddeutsche.de: Warum hält diese Angst Teenager nicht vom Trinken ab?

Kühn: Sie trinken, um in ihrer Clique dazuzugehören, weil sie neugierig sind, ausprobieren möchten, sich erwachsen fühlen wollen und dabei auch risikofreudig sind. Das ist ganz normal adoleszent. Es bleibt auch normal, solange es nicht andere Probleme im Hintergrund gibt.

Süddeutsche.de: Zum Beispiel?

Kühn: Wenn Jugendliche keine zufriedenstellenden Beziehungen zu Gleichaltrigen oder Erwachsenen haben. Wenn sie von Eltern und Freunden nicht so akzeptiert werden, wie sie sind. Und wenn sie nicht gelernt haben, wie sie Konflikte bewältigen und mit Misserfolgen umgehen können. Dann ist die Gefahr größer, dass Teenager zu viel und zu oft trinken, um dazuzugehören - auch weil sie nicht gelernt haben, "Nein" zu sagen.

Süddeutsche.de: Was ja auch Erwachsenen schwerfällt, besonders wenn sie wenig Selbstvertrauen haben ...

Kühn: Ja, da beißt sich die Katze in den Schwanz: Neinsagen verlangt Selbstvertrauen, das bekommen Jugendliche auch dadurch, wenn sie Teil einer Gruppe sind. Wenn diese Gruppe andere nur akzeptiert, wenn sie mitsaufen, wird das schwierig.

Süddeutsche.de: Wie können Eltern ihren Kindern helfen, mehr Selbstbewusstsein aufzubauen?

Kühn: Am besten, indem die Eltern präventiv tätig sind, also von klein auf das Kind als Person akzeptieren, anerkennen und anleiten. Mit Hilfe der Eltern fühlt sich das Kind über seinen Beitrag in der Familie wertvoll und dazugehörig. Mütter und Väter können Orientierung geben, aber nicht belehrend, sondern im Gespräch: Was für Folgen hat Drogenkonsum? Wie kann man überhaupt "Nein" sagen? Das kann man ruhig schon mit jüngeren Kindern im Rollenspiel ausprobieren: "Und wenn der andere dann sagt, du bist ein Feigling, du Baby traust dich doch nicht, was kannst du dann antworten?" Ein Kind soll lernen, dass es ein Recht dazu hat, "Nein" zu sagen, wenn es etwas nicht möchte. Das kann man üben. Und bloß nicht den Fehler machen, Alkoholkonsum zu verniedlichen!

Süddeutsche.de: Im Sinn von "Ist nicht so schlimm, ist ja nur Alkohol und keine harte Droge"?

Kühn: Und im Sinn von "Das habe ich ja selbst alles gemacht". Es hilft, wenn Eltern sachlich bleiben und sich gut informieren, zum Beispiel bei der Bundesanstalt für gesundheitliche Aufklärung. Wie gesagt, Eltern sind Vorbilder, da sind Saufgeschichten aus der Vergangenheit wenig hilfreich.

Süddeutsche.de: Nur sind nicht nur die Eltern Vorbilder, sondern auch die betrunkenen Freunde.

Kühn: Wenn der Jugendliche in der Familie Anerkennung findet und bei anderen Freunden oder in einem Verein, ist er stark genug, sich gegen eine Gruppe zu entscheiden, die nur den akzeptiert, der sich betrinkt. Möglicherweise wird er zuerst seine Erfahrungen machen müssen, dann aber die Kraft haben, andere Freunde zu suchen. Oder er ist stark genug, auch in dieser Gruppe bei seinem "Nein" zu bleiben - dann wird das meist respektiert.

Süddeutsche.de: Nun kommt der Teenager trotzdem mehr als angeheitert nach Hause. Wie reagieren die Eltern richtig?

Kühn: Wenn Jugendliche mal zu viel getrunken haben, werden sie ja nicht gleich zum Junkie. Trotzdem sind die Eltern verständlicherweise aufgebracht, entsetzt und enttäuscht. Wer sein Kind in diesem Moment aber mit Vorwürfen traktiert, erreicht nur eines: Der Jugendliche zieht sich zurück. Das ist natürlich wenig hilfreich.

Süddeutsche.de: Wie machen es Eltern besser?

Kühn: Halten Sie sich zurück bis zum nächsten Tag, wenn der Rausch vorbei ist, dann ist Zeit für ein Gespräch. Wichtig ist, dass die Eltern erst mal ihre Ängste erklären, um den Jugendlichen klarzumachen, dass sie sie nicht kontrollieren wollen, sondern sich Sorgen um sie machen. Aber dass mit der Freiheit, die Jugendliche fordern, auch Pflichten und Verantwortung einhergehen, nämlich für sich selbst und die eigene Gesundheit. Wenn Teenager im Gespräch zugeben, Drogen genommen oder sich schon öfter betrunken zu haben, ist es am besten, wenn Eltern nicht wütend werden. Sondern dieses Geständnis als Vertrauensbeweis würdigen.

Süddeutsche.de: Manche Jugendliche sagen aber nicht "Nein" zum Alkohol, sondern finden, sich zu betrinken gehört dazu.

Kühn: Wenn man das hinterfragt, ist das oft gar nicht so. Das ist ähnlich wie beim ersten Sex: Einige denken, sie müssten das jetzt machen, weil sie "schon" 14 Jahre alt sind, weil die anderen behaupten, alles schon erlebt zu haben. Die Wahrheit ist aber oft eine andere. Also ist es hilfreich, wenn Eltern ihr Kind auch beim Alkohol fragen: "Willst du das, weil alle trinken?" Und dann hören Sie sich als Eltern erst mal an, was der Jugendliche dazu zu sagen hat. Vielleicht wird ihm so bewusst, dass er trinkt, weil andere trinken, nicht weil er das selbst möchte. Eine wichtige Erkenntnis.

Süddeutsche.de: Wenn aber nun das eigene Kind plötzlich Gefahr läuft, zum "Komasäufer" zu werden?

Kühn: Wenn sich 15-Jährige auf Klassenfahrt mit Wodka fast bewusstlos trinken und die Eltern sie abholen müssen, empfinden das viele Eltern als große Schande und beschimpfen das Kind. Dabei ist hier die Konsequenz, von den Eltern abgeholt zu werden und nicht weiter bei der Klassenfahrt dabei sein zu dürfen, für das Kind schlimm genug. Also wieder abwarten, bis der Alkohol aus dem Blut ist, sich freuen, dass nichts Schlimmeres passiert ist und sich dann dafür interessieren, wie es so weit kommen konnte: "Ich habe mich gewundert, dass das vorgefallen ist. Lass uns überlegen, was geschehen soll, dass ich dir wieder vertrauen kann." Also im Gespräch bleiben, die Beziehung zum Kind festigen - und nicht bestrafen. Das Ganze totzuschweigen und dem Kind mit Nichtbeachtung und Liebesentzug zu begegnen, ist übrigens auch Strafe. Es wird nur dazu führen, dass das Kind den Eltern weiter zeigen wird, dass es letztlich machen kann, was es will - auch sich selbst Schaden zufügen.

"Ein Party-Verbot schadet eher"

Süddeutsche.de: Aber bei drängenden Nachfragen verschließen sich viele Teenager doch eher?

Kühn: Es hilft nicht, wenn die Eltern zum spanischen Inquisitor werden. Wichtig ist jedoch, dass sie Interesse an ihrem Kind zeigen. Der Jugendliche hat einen Fehler gemacht und eine falsche Entscheidung getroffen. Beim nächsten Mal hat er die Chance, sich zu bewähren und sich anders zu entscheiden - gegen das Betrinken.

Süddeutsche.de: Also kein Party-Verbot und Hausarrest?

Kühn: Wenn der Jugendliche wochenlang nicht weg darf, wird er natürlich trotzig und zeigt den Eltern, wer am längeren Hebel sitzt - und das sind nicht die Eltern. Wir können die Jugendlichen ja nicht festhalten. Sondern ihnen zeigen, dass wir für sie da sind und dass sie trotz ihres Fehlers keine schlechten Menschen sind. Zum verantwortungsvollen Handeln gehören Fehler und der Umgang damit dazu. Wenn ein Kind aber regelmäßig Drogen nimmt oder betrunken ist, dürfen die Eltern nicht Vogel Strauß spielen, sondern müssen aktiv werden. Am besten zusammen mit dem Teenager. Aber selbst wenn er nicht mitgeht, ist es entscheidend, dass sich die Eltern bei der Drogenberatungsstelle oder in Selbsthilfegruppen informieren, wie sie ihrem Kind helfen können. Schließlich ist das auch eine neue Erfahrung für die Eltern, da brauchen sie Rat.

Süddeutsche.de: Manche Eltern halten es für eine gute Idee, gemeinsam mit ihren Kindern Alkohol zu trinken, um sie damit vertraut zu machen. Was halten Sie davon?

Kühn: Ich gehe mal davon aus, dass sich niemand mit seinen Kindern besäuft. Ansonsten raten wir den Eltern, sich an die Gesetzeslage zu halten: 14- bis 15-Jährige dürfen Bier, Wein und Sekt in Begleitung der Eltern trinken, über 16-Jährige auch ohne. Harte Spirituosen, auch Mixgetränke, sind erst ab 18 Jahren legal. Wenn also der 16-Jährige zum Essen auch ein Bier möchte, warum nicht?

Süddeutsche.de: Nun überlegt man im Familienministerium, das Ausgehverbot für Jugendliche zu verschärfen: Dann könnten unter 16-Jährige Veranstaltungen wie Fanmeilen, bei denen Alkohol ausgeschenkt wird, von 20 Uhr an nur noch in Begleitung ihrer Eltern besuchen - über 16-Jährige von 24 Uhr an. Kann das Teenager vom Trinken abhalten?

Kühn: Der Rahmen, den der Jugendschutz bereits steckt, reicht eigentlich aus. Wenn die Eltern überall mitmüssen, empfinden Jugendliche das als übergroße Kontrolle, dass die Eltern sie nicht loslassen. Dann können die Teenager auch nicht beweisen, dass sie vertrauenswürdig sind. Das Leben birgt Risiken und sie müssen lernen, damit umzugehen. Da ist nicht die Begleitung wichtig, sondern das Gespräch vorher, in dem man die Risiken erläutert: Zum Beispiel dass es K.-o.-Tropfen gibt, weshalb man sein Glas immer bei sich behalten sollte und nicht abstellen und im Zweifelsfall besser ein neues Getränk kauft. Wer sich in die Bedürfnisse seines heranwachsenden Kindes einfühlt, übergibt ihm Verantwortung und traut ihm etwas zu. Wenn sich Jugendliche beweisen können, aber auch Fehler machen dürfen, gewinnen sie an Selbstvertrauen. Nur dann können sie an der richtigen Stelle "Nein" sagen und haben es nicht mehr nötig, sich mit Drogen zu betäuben. So wird auch die Hürde der Adoleszenz genommen - von Eltern und Kind.

Die ehemalige Gymnasiallehrerin und Manager-Trainerin Trudi Kühn führte gemeinsam mit Roxana Petcov das Erziehungstraining STEP in Deutschland, Österreich, Luxemburg, Belgien und in der deutschsprachigen Schweiz ein. Das US-amerikanische STEP-Programm (Systematic Training for Effective Parenting) soll Eltern, aber auch Erziehern und Lehrern "durch mehr Handlungs- und Erziehungskompetenz zu mehr Gelassenheit im Alltag" verhelfen.

Wenn Jugendliche anfangen, ein wenig oder auch mehr Alkohol zu trinken, bekommen Eltern Angst. Schließlich waren sie selbst einmal jung und wissen, was sie betrunken getan haben: die Erziehungskolumne "Kinder - der ganz normale Wahnsinn".

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