Expertentipps zur Erziehung:"Teenager brauchen das Internet als Pausenhof"

Facebook, WhatsApp & Co geben Jugendlichen die Möglichkeit, Freundschaften zu erhalten. Warum Eltern trotzdem darauf bestehen sollten, dass diese Freunde nicht virtuell mit am Familientisch sitzen und wann Schluss mit dem Computerspiel ist, erklärt das Blogger-Paar Tanja und Johnny Haeusler.

Katja Schnitzler

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Nur noch mal schnell auf Facebook gehen: Während früher Teenager nur mit einem einzigen Freund telefonieren konnten, sind Jugendliche heute ständig vernetzt.

(Foto: imago stock&people)

In der U-Bahn, im Bus, auf dem Nachhauseweg, auf dem Sofa: Viele Eltern kennen ihren jugendlichen Nachwuchs nur noch mit Smartphone in der Hand und müssen sich notfalls per Skype melden, um zum Essen zu rufen. Warum die Internetnutzung von Teenagern aber nicht nur negativ sein muss, erklären die Netzexperten Tanja und Johnny Haeusler.

Süddeutsche.de: Früher haben wir stundenlang mit unseren Freunden telefoniert, obwohl wir sie gerade erst gesehen hatten. Heute sind Jugendliche ständig online vernetzt. Müssen sich Eltern also gar keine Sorgen machen, weil doch alles wie früher ist?

Johnny Haeusler: Es ist tatsächlich eine Art Fortsetzung der früheren Dauertelefonate. Und wenn wir ehrlich sind, ist es schon ziemlich cool, nach der Schule mit den Freunden weiter im virtuellen Pausenhof herumzustehen. Dabei wollen unsere Kinder online nicht in erster Linie Fremde kennenlernen, sondern mit einem festen, engen Freundeskreis in Verbindung bleiben.

Warum müssen Jugendliche denn ständig alles über die anderen wissen?

Tanja Haeusler: Es geht mehr darum, sich auszutauschen. Teenager haben dieses starke Bedürfnis, aber heute sehr wenig Zeit dafür, um das außerhalb der Erwachsenenwelt zu tun. Sie würden sich wohl viel lieber in der realen Welt treffen, aber nach der Schule sind sie oft erst um halb fünf Uhr nachmittags zuhause, treiben noch Sport oder gehen zum Musikunterricht, Hausaufgaben sind zu erledigen, gelernt ist auch noch nichts. So bleibt ihnen nur das Wochenende, um tatsächlich Freunde außerhalb der Schule zu sehen. Als mein Sohn nach dem Abendessen sagte, er will kurz auf Facebook, war ich nicht begeistert. Aber er erklärte, dass er sich einfach nochmal mit seinen Freunden treffen möchte. Unter diesem Gesichtspunkt muss man unter der Woche fast dankbar sein, dass die Kinder die Möglichkeit zum virtuellen Austausch haben.

Johnny Haeusler: Der ganze Schulklatsch läuft über das Smartphone. Hier sollten sich besonders die Jüngeren an die Grundregel halten, dass sie sich nur mit Leuten vernetzen, die sie auch außerhalb des Netzes kennen. Und Kontaktanfragen von Fremden ablehnen oder damit zu den Eltern kommen.

Da können Mütter und Väter ihren Kindern wohl nur vertrauen. Schließlich lässt sich kaum kontrollieren, was auf den Smartphones der Jugendlichen abläuft.

Johnny Haeusler: Es ist ein Teil der Privatsphäre der Teenager, ein kleines Schatzkästchen mit ihrer Musik und Fotos. Aber die Eltern sollten bei jungen Netznutzern den PIN-Code fürs Handy und das Passwort für die Mailaccounts kennen. Nicht um zu spionieren, das sollten sie ihren Kindern auch deutlich sagen, sondern für den Notfall. Wenn es zum Beispiel zu Mobbingfällen oder ähnlichem kommt, bei dem sich die Eltern einmischen und kümmern müssen. Ansonsten ist es Aufgabe der Eltern, ihre Kinder dazu zu erziehen, sehr bewusst die Einstellungen zum Beispiel auf Facebook zu setzen und sich im Klaren darüber zu sein, wer die Einträge sehen kann - und dass diese weiterverbreitet werden könnten.

"Verteufeln Sie Facebook nicht"

Aber viele Eltern haben weniger Ahnung von Facebook, Youtube & Co als ihre Kinder ...

Johnny Haeusler: Viel schlimmer ist, wenn sie sich nicht dafür interessieren oder es gar komplett ablehnen. Sie müssen ja nicht mit technischem Knowhow glänzen, sollten aber zumindest das Medium an sich kennenlernen wollen. Vielleicht entdecken sie sogar etwas, was ihnen Spaß macht.

Tanja Haeusler: Viele Eltern sind unsicher, weil sie sich nicht in diese Welt einfühlen können. Sie selbst haben das Internet nie als Spielplatz erlebt und nutzen es höchstens professionell. Doch heute gehört diese virtuelle Welt zum Lebensraum der Kinder dazu, während sie in Großstädten und unter Aufsicht von Helikopter-Eltern weniger Möglichkeiten als früher haben, sich auszuprobieren. Eltern sollten also versuchen, auch das Positive an der Internetnutzung zu erkennen - und ruhig die Kinder fragen. Sie freuen sich meistens, den Eltern zu zeigen, was man da alles erleben kann.

Johnny Haeusler: Es ist auch aus Gründen der Sicherheit wichtig, dass Eltern das Internet nicht verteufeln. Schließlich wollen sie, dass das Kind zu ihnen kommt, wenn ihnen im Netz etwas Seltsames widerfährt. Im Leben gibt es böse Menschen, auch online müssen Kinder lernen, sich vor ihnen zu schützen, vorsichtig zu sein. Das können sie nur, wenn sie ihre Eltern zum Beispiel über eine verdächtige Kontaktanfrage informieren. Wenn sie aber erst einmal zu hören bekommen, dass die Eltern doch gleich gesagt haben, was für ein gefährlicher Unsinn dieses Kommunikationsmittel ist, werden sie lieber schweigen.

Woran merken Eltern, dass der Netzkonsum ihrer Kinder überhandnimmt?

Tanja Haeusler: Wenn das Kind mit hochrotem Kopf und hyperventilierend vor dem Videospiel sitzt, ist es Zeit, es an die Luft zu schicken. Ansonsten gelten die normalen Umgangsformen und -regeln: So bleibt während Unterhaltungen oder bei Tisch das Handy aus, auch abends ist mal Schluss. Dann kommen alle Smartphones an die Ladestation, die natürlich nicht im Kinderzimmer ist. Auch internetfreie Tage und auch Wochen, etwa im Urlaub, können Teenager ganz gut verkraften.

Johnny Haeusler: Wir werden häufig gefragt, wie man die Kinder dazu bringt, das Handy wenigstens während dem Essen beiseite zu legen. Als ob sich manche Eltern nicht trauen, Nein zu sagen, wenn es um digitale Medien geht. Aber diese gehören zum Alltag, die Nutzung muss sich ins soziale Miteinander einfügen. Wenn etwa ein Freund unseren Sohn besucht und der aber mit jemand anderem chattet, nehme ich meinen Sohn schon mal zur Seite und erkläre ihm, dass sein Benehmen verletzend und respektlos ist, genauso als würde er mit einem Dritten flüstern

Dieses Verhalten beobachtet man aber genauso bei Erwachsenen, zum Beispiel im Café: Einer kommuniziert per Smartphone, der andere sitzt gelangweilt daneben ...

Johnny Haeusler: Mit neuen Medien müssen auch Erwachsene neue Verhaltensregeln lernen. Früher hat man sich übers Handyklingeln noch aufgeregt. Heute ist es üblich, sich bei wichtigen Anrufen zu entschuldigen, aber vom Tisch aufzustehen, damit man die anderen nicht zum Schweigen zwingt. Für Kinder ist das noch schwieriger, da sie erst dabei sind, Normen für den Umgang mit anderen zu erlernen. Und schon sind wieder die Eltern gefragt.

Die sich mit einem energischen "Schluss jetzt!" zwischen reale und virtuelle Welt werfen ...

Tanja Haeusler: Was eher schadet als nützt. Klar platzt mal der Kragen, wenn man schon dreimal gesagt hat, dass das Computerspiel endlich ausgeschaltet werden soll. Allerdings sollte man nachsehen, ob vielleicht das Autorennspiel gerade ins Finale geht - und die Kinder noch großzügig zu Ende spielen lassen. Es würde ja auch keiner kurz vor der Auflösung den Krimi ausschalten. Grundsätzliche Regeln sollten gemeinsam mit dem Kind vereinbart werden.

Was für Fehler machen Eltern dabei?

Tanja Haeusler: Quid-pro-quo-Abmachungen halte ich für ungünstig. "Du lernst eine halbe Stunde oder spielst draußen, dann darfst du eine halbe Stunde daddeln", damit tut man sich keinen Gefallen. Dadurch haben Lernen oder das Spiel draußen keinen Eigenwert mehr, während der PC mit Spielen und Internet eine enorme Aufwertung erfährt, weil dieser ja eine Belohnung ist. Und wollen Sie wirklich, dass Ihr Kind nach drei Stunden auf dem Bolzplatz genauso lange vor dem Bildschirm sitzen darf?

"Jugendliche brauchen Raum für sich"

Welche Abmachung wäre also sinnvoller?

Tanja Haeusler: Vereinbaren Sie besser einen bestimmten Zeitraum für die Computerspiele, zum Beispiel eine feste Stundenzahl pro Woche, die der Teenager frei einteilen kann. Wenn er am Mittwoch den Kumpel zum Autorennspiel einladen will, muss er mit dem Zeitbudget haushalten.

Johnny Haeusler: Das Ziel der Eltern ist ja, dass sich das Kind nicht nur mit einer Glasscheibe und der faszinierenden Welt dahinter beschäftigt. Allerdings kommunizieren Kinder bei vernetzten Spielen auch miteinander oder johlen und kreischen zusammen vor dem Bildschirm. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass Jugendliche in diesem Alter nachmittags meist einen achtstündigen, fremdbestimmten Schularbeitstag hinter sich haben. Da darf es schon mal allein eine halbe Stunde lang daddeln. Wenn aber Kinder von selbst keine Lust auf Anderes haben, müssen Eltern aktiv werden und Spannendes anbieten.

Tanja Haeusler: Man darf auch ein Experiment wagen und zum Beispiel in den Ferien Computern bis zum Abwinken erlauben. Irgendwann hatten unsere Söhne die Nase davon voll. Und stellten sich am Ende der Ferien den Wecker frühmorgens, um als erste auf dem dann noch freien Bolzplatz zu sein.

Was tun, wenn es nicht klappt?

Tanja Haeusler: Dann müssen die Eltern für Ablenkung und genügend andere Anreize sorgen. Kinder wollen sich schließlich von Natur aus bewegen, das sollte man ausnutzen.

Dennoch fürchten manche Eltern, vielleicht auch zu Recht, ihr Nachwuchs könnte vor dem Bildschirm vereinsamen.

Johnny Haeusler: Davor sollten wir unsere Kinder schützen, ebenso davor, sich später mit Alkohol zu betäuben oder einen Großteil der Freizeit vom Fernseher berieseln zu lassen. Wenn das Kind nur noch vor dem Computer sitzt, müssen Eltern überlegen, woran das liegen könnte. Schließlich ist es eigentlich der Lauf der Dinge, dass sich Jugendliche persönlich näherkommen und sich auch körperlich miteinander beschäftigen. In Großstädten beobachte ich allerdings die Entwicklung, dass der Raum für Begegnungen immer knapper wird: Jugendeinrichtungen schließen, deshalb treffen sich so viele Teenager an Tankstellen. Und eben im Netz.

Tanja Haeusler: Wir haben alle elektronischen Medien bewusst im Wohnzimmer, als Teil des Familienlebens. Da muss ich auch aushalten, dass eine Horde Kumpels das Sofa belegt und spielt. Aber so bekomme ich mit, was die Kinder machen. Und die Jugendlichen haben einen Raum, um sich zu treffen.

Tanja und Johnny Haeusler leben mit ihren zehn- und dreizehnjährigen Söhnen in Berlin, von denen sich der Ältere mit seinen Freunden auf Facebook vernetzen darf, während der Jüngere noch drei Jahre warten muss. Gemeinsam betreibt das Paar das Weblog "Spreeblick", das mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet wurde. Zudem gehört es zum Gründerteam der "re:publica", einer europäischen Konferenz für Online-Medien und digitale Gesellschaft. Das Ehepaar schrieb gemeinsam das Buch "Netzgemüse - Aufzucht und Pflege der Generation Internet", um anderen Eltern aus eigener Erfahrung Tipps beim Umgang mit netzbegeisterten Jugendlichen zu geben.

Seit das Kind ein Smartphone besitzt, sehen die Eltern nur noch seinen Scheitel. Und die virtuellen Freunde sind überall mit dabei. Da wundert es nicht, wenn Eltern manchmal ein unwiderstehlicher Zerstörungsdrang überkommt. Doch die Technik besiegt auch den. Die Erziehungs-Kolumne.

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