Die Frage
Meine Frau und ich führen eine glückliche Ehe. Wären da nicht ihre Geschwister. Eigentlich kommen wir gut klar. Wenn sie mich um Hilfe bitten, bin ich für sie da. Doch sie wollen nur ihr Schwesterchen. Meine Frau kann sich nicht distanzieren und leidet darunter. Mir geht das auf die Nerven. Oder gilt, dass man nicht nur Eltern "ehren" muss, sondern auch Geschwister? Jakob K., Murnau Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: familientrio@sueddeutsche.de
Kirsten Boie
Von so einem Gebot habe ich noch nie gehört! Aber konkret kann ich mir leider nicht vorstellen, was Sie meinen: Laden die Geschwister immer nur Ihre Frau ein, bekommt nur sie Geschenke, oder erwarten sie selbstverständlich, dass Ihre Frau eher für sie, die Geschwister, da ist als für Sie, ihren Mann? Dass zum Beispiel eine Unternehmung mit den Geschwistern Vorrang hat vor einer mit dem Partner? Sehr enge Bindungen zur Herkunftsfamilie können in einer Ehe oft zu großen Problemen führen: Wenn etwa die Familien beider Partner erwarten, dass das Paar jedes Wochenende zum Essen kommt, was außer durch Klonen gar nicht möglich wäre; wenn finanzielle Unterstützung im Übermaß oder der Besuch am Heiligabend erwartet wird; wenn die Erziehungsregeln der Herkunftsfamilie gefälligst auch für die Kinder des Paares gelten sollen. Enge Bindungen zur Herkunftsfamilie sind wunderschön, aber sobald zwei Menschen eine feste Beziehung eingegangen sind, und noch mehr, sobald Kinder da sind, sollte das im Alltag immer Vorrang haben. (Natürlich kann sich das im Krankheitsfall oder bei anderen Krisen anders darstellen.) Oft wird ein solches System durch Schuldgefühle und schlechtes Gewissen aufrechterhalten. Und dass die nie eine gute Grundlage für unser Verhalten sind, wissen wir alle. Kirsten Boie ist Schriftstellerin und Autorin von mehr als hundert Kinder- und Jugend- büchern, darunter die allseits bekannten und geliebten Geschichten "aus dem Möwenweg" oder die Abenteuer des kleinen "Ritter Trenk".
Jesper Juul
Zunächst würde ich nichts mehr zur Beziehung zwischen Ihrer Frau und ihren Geschwistern sagen. Nachdem Sie Ihre Zweifel haben, werden Sie ihr damit nur zu verstehen geben, dass Sie diese Bindung nicht verstehen. Das wird Ihre Frau noch enger an die Familie binden. Hören Sie tief in sich hinein und sagen Sie: "Ich liebe dich sehr und ich wünsche mir, dass ich dir nützlich sein kann. Immer wenn dich deine Geschwister um Hilfe bitten, fühle ich mich nutzlos, und das gefällt mir nicht. Ich würde gerne wissen, warum das so häufig passiert - sofern du überhaupt weißt, warum?" Geben Sie ihr nicht die Möglichkeit, Ihre Bedenken als Eifersucht abzutun. Wenn das passiert, haben Sie verloren. Dann werden Sie beide frustriert und einsam. Es gibt viele, zum Teil exotische Muster zwischen Geschwistern. Manche sind bewusst, andere nicht, aber sie existieren seit Jahrzehnten und werden sich nur ändern, wenn sich alle dazu entscheiden. Die einzige konstruktive Möglichkeit ist, das Gespräch mit Ihrer Frau zu suchen, in dem sie beide ihre Ansichten vorbringen und davon absehen, die eine "Wahrheit" bereits zu kennen. Wenn Sie mit ihr sprechen, seien Sie geduldig! Es könnte Monate dauern, bevor sie dazu bereit ist. Jesper Juul ist Familientherapeut in Dänemark und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und Familie.
Collien Ulmen-Fernandes:
Man sollte seine Geschwister ehren, schließlich gibt es viele unschöne Beispiele. Es ist doch toll, dass Ihre Frau so einen guten Draht zu ihren Geschwistern hat. Klar, Sie sind da manchmal überflüssig. Aber es gibt Hoffnung: Sollte irgendwann ein Erbe auftauchen, wird sich die Familie im Nu entfremden und nur noch per Notar kommunizieren. Das passiert in allen guten Familien. Haben sie sich im Erbfall immer noch lieb, finden Sie sich damit ab und sehen Tick, Trick und Track weiterhin eifersüchtig zu. Eigentlich ist das doch ganz süß. Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin, Model und Moderatorin. Die zweifache Mutter hat bereits mehrfach Texte zum Thema Elternsein veröffentlicht, 2014 erschien von ihr das Buch "Ich bin dann mal Mama". Fotos: PA/dpa, Kring, Anatol Kotte