Eros Ramazzotti über:Italien

Der Popstar mit den schmeichelnden Liedern spricht nicht ganz so schmeichlerisch über sein Heimatland.

Interview von Anne Goebel

Der Troubadour kommt mit Motorradhelm unter dem Arm in sein Mailänder Studio, die Maschine steht im Hof. Eros Ramazzotti sieht müde aus - erst vor Kurzem ist sein drittes Kind auf die Welt gekommen. Wenn der Italiener antwortet, wirft er manchmal ein deutsches Wort ein.

Eros Ramazzotti: Tolles Aufnahmegerät mit Kassette, wie aus den Achtzigern. Darf ich? Hallo, hier Eros, ich befinde mich in Mailand, das Wetter ist schön, Temperatur angenehm, und leider gibt es kein Finale zwischen Bayern München und Juventus. Okay, worüber reden wir?

SZ: Ich würde gern mit Ihnen über Italien reden. Sie sind seit einer halben Ewigkeit zuständig für diese einschmeichelnden Italo-Hits. Und Deutschland-Italien, das ist ja auch eine besondere Liebesbeziehung.

Mir gefällt Deutschland. Das sage ich nicht leicht über andere Länder, ich bin Italiener und ziemlich gerne zu Hause. Deutschland mag ich, weil meine erste Fernsehaufzeichnung, nachdem ich das Festival in San Remo gewonnen hatte, in München war. Es gab Interviews in Italien, aber der erste Auftritt im Ausland: Monaco di Baviera. Ich war 20, und wenn ich mich nicht täusche, sind wir in einem Zoo aufgetreten. Ich habe "Terra promessa" gesungen, es gab ein Becken, darin badeten Leute. Ziemlich seltsam, das Ganze, irgendwie verrückt.

Ihr neues Album ist das 14. Es heißt "Perfetto", ein forscher Titel.

Zunächst mal ist das ein sehr italienischer Begriff, perfetto ist ein Füllwort, das wir ständig verwenden. Mir gefiel auch die Idee, dass der Name in anderen Sprachen gut funktioniert. Sicher wird es Leute geben, die sagen, er hat sein Album "perfekt" genannt, wie anmaßend. Aber darum geht es nicht. Der Titel soll neugierig machen.

Man könnte ihn auch für einen recht deutschen Titel halten, im Sinne von: einwandfrei. Perfektionismus ist die klassische deutsche Tugend, oder?

Richtig. Und ich mag das irgendwie. Das ist typisch für euch, das Streben nach Fehlerlosigkeit. Diese Suche nach dem Besten.

Aber wenn man sich den Titelsong auf der CD anhört, geht es ums Genießen. Ein Mädchen, lauer Sommerwind . . . Das ist doch eine ganz andere Richtung.

Nicht so streng, das ist wahr. Es ist ein Lied über einen wunderbaren Tag, an dem alles stimmt. Natürlich gibt es diesen grundlegenden Unterschied zwischen euch und uns. Man hört es schon an dem deutschen Wort, perfekt, das klingt rigide. Italiener, Spanier, Südamerikaner leben das Chaos, in Anführungszeichen. Alles ist unübersichtlich, das Reden, der Verkehr, das ganze Leben. Mir sind beide Seiten vertraut, ich habe in Rom gewohnt und kenne den Süden. Jetzt bin ich schon lange in Mailand, das viel reservierter ist. Und dann, wenn ich nach Deutschland fahre: totale Entspannung! Alles ist durchdacht. Diese Sorgfalt den Dingen gegenüber. Die schönen Reihen, in denen ihr euch anstellt, auch im Auto an der Ampel. Italien ist ein hektisches Land. Es saugt dich aus.

Dieses Turbulente scheint viele Mitteleuropäer zu faszinieren.

Aber andere Länder verbinden zu Recht auch Dinge mit Italien, die nicht schön sind. An der Zuneigung ändert das offenbar nichts. Die Amerikaner können gar nicht aufhören, sich Häuser in der Toskana zu kaufen, auf Sizilien, Sardinien. Italien ist in dieser Hinsicht tatsächlich der Garten Europas. Ein Ort, an dem Menschen schöne Stunden verbringen wollen.

Und was sehen die Deutschen in Eros Ramazzotti?

Sie sehen in mir den italienischen Sänger. Das ist, wie wenn Bruce Springsteen nach Italien kommt oder Bob Dylan, sie sind der Inbegriff Amerikas. Gut, die Vergleiche sind gewagt. Aber wenn ich nach Deutschland komme, steht der italienische Popstar schlechthin auf der Bühne. Und mein Glück ist, dass sehr viele Deutsche, aber auch Schweizer, Österreicher und Holländer Eros Ramazzotti hören. Was dafür der Auslöser ist, habe ich nie begriffen. Etwas gefällt ihnen, vielleicht meine Stimme, bestimmte Songs. Die Texte sind es nicht. Sie verstehen sie nicht.

Haben Sie je daran gedacht, auf Deutsch zu singen?

Ich habe es versucht, in den ersten Jahren. Ein Desaster.

Vielleicht lag Ihnen das Deutsche nicht.

Es ist schon ein bisschen hart im Klang. Italienisch ist weich. Nehmen wir "io ti amo", das hat Melodie. Und dann "ick liebe ditsch". Man zuckt etwas zusammen bei diesem Satz, ehrlich gesagt.

Der "Guardian" hat über eines Ihrer Konzerte in London geschrieben, es habe Sie eine Karriere in Großbritannien gekostet, dass Sie sich weigerten, Englisch zu singen.

Eros Ramazzotti
(Foto: Massimo Sestini/Getty Images)

Wie gesagt, ich habe es nicht mit Fremdsprachen. Ich singe auf Spanisch, es ähnelt meiner Muttersprache. Aber in den Neunzigern wollte ein amerikanischer Produzent versuchen, mich nach ein paar guten Auftritten dort aufzubauen. Ich hätte mein Leben umkrempeln müssen, in die USA ziehen. Darauf hatte ich keine Lust. Entweder nach Amerika gehen, dachte ich - oder "stare tranquillo", die Dinge ruhig weiterlaufen lassen. Sagen wir so, Amerika war ein Zug, den ich nicht genommen habe.

Stattdessen haben Sie Duette mit Anastacia und Tina Turner gesungen und weiter Ihre italienischen Texte geschrieben.

Es ist eine Art Spiel, die richtigen Worte zu finden. In dem neuen Song "Tu gelosia" versuche ich, die Eifersucht zu beschreiben, das Zerstörerische.

Mundart spielt eine große Rolle in Italien - nach römischem Dialekt hören Sie sich aber nicht an.

Wenn ich mit meinem Vater telefoniere, klingt das anders. Ich habe hier eine Aufnahme auf dem Smartphone, ein Freund erzählt einen Witz auf "Romano", übrigens eine schmutzige Geschichte über zwei Männer, die gerade - aber lassen wir das. Hören Sie, wie das klingt? Die Hälfte der Silben verschluckt, die andere gedehnt. Keine Ahnung, wie viele Dialekte in Italien existieren. Manchmal ändert sich der Wortschatz von einem Dorf zum nächsten.

Und Sie kamen als 18-Jähriger Hunderte Kilometer gen Norden nach Mailand. Was war das für ein Gefühl?

In Italien ist Mailand die Stadt, die Europa am nächsten liegt. Das hat Lucio Dalla gesungen, der große Lucio Dalla. Sein Lied "Milano" beschreibt es perfekt, eine Metropole, die nicht schön ist, aber faszinierend, bunt, vielsprachig. "Ti fa una domanda in tedesco e ti risponde in siciliano", heißt es in dem Song, Mailand stellt Fragen auf Deutsch und antwortet auf Sizilianisch. Ich bin Anfang der Achtziger aus Rom angekommen, ich war jung . . .

Und es war bestimmt kalt!

Ja, es war Winter, natürlich herrschte der typische Nebel. Aber mir gefiel Mailand unheimlich. Alles war anders als in Rom, präziser. Ich mag das Geschäftige, wenn Menschen und Dinge in Bewegung sind. Ein vollkommen neues Leben. Ich hatte einen Plattenvertrag angeboten bekommen und musste mich entscheiden. Entweder bleibe ich bei den Kumpels in der Bar, Flipper spielen, Zigaretten rauchen. Oder ich nehme meine Zukunft in Angriff. Da bin ich in den Zug nach Mailand gestiegen.

Sie haben 1984 mit "Terra promessa" in San Remo gewonnen, das Lied war auch in Deutschland erfolgreich. Schon damals fielen Sie durch präzise Aussprache auf. Ganze VHS-Klassen sollen mit Ihren Songs Italienischvokabeln gepaukt haben.

Ich kenne die Geschichten, das finde ich schmeichelhaft. Aber es wird auch für andere Liedermacher aus Italien gelten.

Nicht unbedingt, viele nuscheln eher für unsere Ohren. Und Sie haben so eine pointierte Art, die Wörter am Ende zu betonen. Nicht "Mare", sondern "Maree". Ist das eine Masche, um aufzufallen?

Wahrscheinlich spreche ich alle Silben deutlich aus, weil mir jedes Wort wichtig ist. Aber ich weiß, was Sie meinen. Das ist mein Stil, alla Ramazzotti! Beim Singen kannst du den Akzent verändern, es wird deine Art, dich als Künstler auszudrücken. Das kam instinktiv. Inzwischen ist es ein Markenzeichen. Wie meine nasale Stimme. Wenn ich singe, kommt alles von hier oben, aus der Nasengegend.

Und noch etwas: Der Schmelz schwingt immer mit. Beherrschen Italiener das besonders gut, die Balance zwischen Wehmut und Unbeschwertheit?

Melancholie in Liedern auszudrücken, ist für mich etwas Normales. Vielleicht ist es typisch italienisch. Ich glaube, wir sind nicht besonders gut darin, unsere Gefühle zurückzuhalten, auch die negativen. Alles wird stärker ausgelebt. Vielleicht bedeutet das eine größere Offenheit dem Leben gegenüber. Eine Gruppe Italiener erkannt man von Weitem: die Mimik, die ständigen Gesten beim Reden. Es ist ein Auf und Ab der Emotionen. Abgesehen davon, dass mindestens einer am Telefon hängt.

Zur Person

Eros Walter Luciano Ramazzotti, 51, ist einer der erfolgreichsten Popsänger Italiens. Der gebürtige Römer wurde in seiner Heimat bekannt, als er mit "Terra promessa" als 20-Jähriger den Newcomer-Preis des Musikfestivals in San Remo gewann. Fortan landeten seine Lieder wie "Adesso tu" oder "Più bella cosa" regelmäßig in den Hitparaden. Weltweit hat Ramazzotti mehr als 50 Millionen Platten verkauft, er sang Duette mit Joe Cocker, Tina Turner und Anastacia. Aus der Ehe mit der Moderatorin Michelle Hunziker hat er eine Tochter. Die beiden Kinder mit seiner zweiten Frau wurden 2011 und 2015 geboren. Vor Kurzem ist sein 14. Album, "Perfetto", erschienen. Im Herbst kommt der Sänger für einige Konzerte nach Deutschland.

Kommt Ihre Musik deshalb so gut an, wegen der Bittersüße?

Über die Jahre hat sich herausgebildet, welche Art Ramazzotti-Song gut funktioniert, klar. Aber ich mache die Musik, die ich selber mag. Die Gefühle in den Liedern sind so, wie ich sie empfinde. Im Grunde ist es doch einfach: Wir sind alle Menschen, empfänglich für verschiedene Stimmungen.

Musikalisch könnten Sie mehr ausprobieren, oder?

Auf "Perfetto" gibt es neue Ansätze, das hat mir Spaß gemacht. Aber wirklich experimentell zu sein, interessiert mich nicht. Die Musik, die ich mache, ist dazu da, ein paar schöne Minuten zu erleben. Ablenkung von den Problemen. Und wenn ich erfahre, dass die Leute meine Lieder mögen, dass sie sie singen, bewegt mich das.

Erzählen Sie von Rom. Sie sind in dem Filmviertel Cinecittà aufgewachsen.

Ich habe 18 Jahre in Cinecittà gewohnt, dort leben einfache Leute, mein Vater war Maler und Amateurmusiker, meine Mutter Hausfrau. Von dem Filmgelände ist kaum etwas übrig, der Beton hat davor nicht haltgemacht. Zu meiner Zeit gab es die Studios noch, die Leute haben uns als Jugendliche von der Straße weg mitgenommen, zu Aufnahmen. Wir waren Komparsen für ein paar Stunden. Über dieses Leben am Rand der Großstadt habe ich ein Lied geschrieben, "Adesso tu". Es spiegelt meine Gefühle damals ganz gut wider, das Gefangensein in einer Situation, die etwas Statisches hat, die dich nirgendwohin bringt. Wie man dagegen ankämpft und schließlich loszieht, um woanders etwas Neues zu probieren. So aufzuwachsen, suchend, voller Zweifel, war nützlich. Es hat mir Kraft gegeben und mich abgehärtet.

Auf der anderen Seite war da die schöne Illusion der Filmkulissen.

Aber nicht nur. Ich habe viel Hässliches gesehen: Polizeieinsätze, Gewalt, Schießereien. Die Welt der Studios, die Träume, die große Vergangenheit mit Filmemachern wie Fellini und De Sica, das war ein scharfer Kontrast dazu. Aber wir Jungs mochten den Gegensatz. Uns gefiel die Idee, dass wir und unser Viertel auch für etwas Positives stehen.

Wie sehen Sie die Situation Italiens heute, geht es langsam aufwärts?

Es wurde oft gesagt und geschrieben: Wenn jemand wie Matteo Renzi kommt, der sehr schnell sehr viel ändern möchte, gibt es sofort die anderen, die rufen, dieses geht nicht und jenes kann nicht sein. Aber das Wichtigste ist die Entschlossenheit, Dinge zu verbessern. Wenigstens versucht er es. Wobei Schäden, die über lange Zeit angerichtet wurden, nicht von einer Regierung wiedergutgemacht werden können. Noch dazu, wenn man dieser Regierung die Fehler früherer Regierungen anlastet. Das ist, na ja, ziemlich italienisch. Gefühlsbetont. Im Grunde müsste man die italienische Mentalität ändern.

Nicht Ihr Ernst, Sie sagen doch selbst, die Welt liebt Italien. Trotz allem!

Ok, man müsste die schlechten Seiten ändern. Die Hälfte der Mentalität. Was mich enttäuscht, wir haben in diesem Land den Respekt voreinander verloren. Das war früher anders. Ich versuche meinen Kindern beizubringen, sich nicht gleichgültig gegenüber Menschen zu benehmen. Keinen Abfall auf die Straße zu werfen. Man muss bei kleinen Dingen anfangen.

Sie sind 51, in der Presse tauchen Sie oft als Papa Eros auf mit Ihrer zweiten Frau, den kleinen Kindern. Wo ist das Bild hin vom Latin Lover Ramazzotti?

Diese Frage, ich sage es ehrlich, habe ich so oft es ging übersprungen. Latin Lover ist ein Stereotyp. Gut, ich bin ein Mann, dem die Frauen gefallen haben, dem sie noch immer gefallen, in Ordnung - aber meine Lebenssituation ist eine völlig andere. Ich bin glücklich mit meiner Frau, mit den Kindern. Das Klischee vom Sexsymbol hilft am Anfang, um die Leute für dich einzunehmen. Aber dann muss du überzeugen, mit der Musik, den Songs, den Konzerten. Das andere ist ein Strohfeuer.

Dann rauben Sie den Fans jetzt bitte auch die letzte Illusion: Gibt es eine häusliche Situation, in der glühende Verehrerinnen sich Eros Ramazzotti nie vorstellen wollten?

Also, Windeln wechseln taugt nicht als Bild, das ist schon viel zu normal. Habe ich immer gemacht. Sagen wir: Sofa. Fernseher. Und auf der Brust liegt mein Kleiner.

Ihr Sohn Gabrio Tullio, zwei Monate alt. Der Name klingt lateinisch, eine Hommage an Rom?

Meine Frau kommt aus dem Norden, da wollte ich schon einen mittelitalienischen Akzent setzen. Aber ich verrate Ihnen das Beste: Die Anfangsbuchstaben von Gabrio Tullio Ramazzotti ergeben gtr. Das ist die Abkürzung für "guitar", Gitarre. Also für mein Instrument. Schön, oder?

Ein schöner Schluss jedenfalls.

Moment, ich habe noch etwas, Aktung! Ein Gruß nach München. Leider stehen wir nicht zusammen im Finale. Aber Bayern ist eine grandiose Mannschaft.

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