"Ernährungs-Umschau":Guter Rat aus der Industrie

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Das neue Heft der Deutschen Gesellschaft für Ernährung lässt befürchten, dass man auch seriösen Fachverbänden bei Ernährungstipps nicht vertrauen kann.

Werner Bartens

Ernährungswissenschaftler geraten immer wieder in Erklärungsnot. Das liegt auch daran, dass sich die Wirkung einzelner Nahrungsmittel schlecht beweisen lässt, weil die meisten Menschen verschiedene Sachen essen. Daher sind Studien, in denen die gesundheitsfördernde Wirkung von Walnüssen, Zimtsternen oder anderen Produkten behauptet wird, oft von fragwürdiger Qualität.

Ein Ausschnitt von der Titelseite des Hefts ... (Foto: Foto: oh)

Zudem ist die Disziplin in Verruf geraten, weil sich für jede eingeschweißte, vorgekochte und ihrer natürlichen Inhaltsstoffe beraubten Speise ein Ökotrophologe findet, der dem Fertiggericht bescheinigt, den Vitaminbedarf einer kompletten Fußballmannschaft zu decken.

Die jüngste Ausgabe der Ernährungs-Umschau ist geeignet, derlei Vorurteile zu bestärken. Auf dem Titelbild der Juni-Ausgabe sieht man eine Frau im fliederfarbenen Pullover, die Milch in ein Glas gießt. Auf der Rückseite des Hefts sieht man erstaunlicherweise dieselbe Frau im selben Pullover, diesmal mit den Logos eines Milchherstellers auf den Produkten. Das Unternehmen hat auch im Heft Anzeigen geschaltet.

Die Ernährungs-Umschau firmiert immerhin als Organ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und anderer seriöser Fachverbände. "Wir verstehen uns als unabhängige Fachzeitschrift", sagt Heike Recktenwald, Chefredakteurin der Ernährungs-Umschau und Diplom-Ökotrophologin. Dass Titelbild und Anzeige auf der Rückseite auffallend ähnlich sind, "hat bei uns nicht zu Diskussionen geführt".

Ähnlich schmerzfrei wie auf das Titelbild reagiert Chefredakteurin Recktenwald auf die Titelgeschichte "Trendgetränke - Getränketrends" im Heft. Der Autor des Artikels ist Mitarbeiter eines Unternehmens, das weltweit Fruchtsaftkonzentrate und andere Mischgetränke vertreibt.

Und so darf der Mann von der Firma schreiben, dass Coenzym Q10 bei "Anti-Aging bzw. Beauty" indiziert sei, dass "Aqua-Plus-Getränke" durch "Pflanzenextrakte, Vitamine oder funktionelle Inhaltsstoffe das Allgemeinbefinden oder die Gesundheit fördern" und dass die Industrie "Mood-Konzepte" entwickle, um Konsumenten auf emotionaler Ebene anzusprechen und "z. B. durch den Zusatz von Tee- oder Kräuterextrakten, Balance, innere Kraft oder Ruhe zu versprechen". Die Chefredakteurin sagt, der Autor habe das als Fachmann geschrieben, nicht als Firmen-PR: "Er hat hier Expertise."

In seriösen Fachblättern hätten Gutachter einen solchen Text moniert; er wäre wohl kaum publiziert worden. Zudem müssen Interessenkonflikte angegeben werden. Seit Jahren wird in medizinischen Fachblättern diskutiert, wie der Einfluss der Pharmaindustrie und ihrer Lohnschreiber vermindert werden kann, die Verquickung von Artikeln und Anzeigen gilt als tabu.

Die Ernährungs-Umschau führt diese Diskussion offenbar nicht und druckt stattdessen ein verschämtes Schlusswort ihres Herausgebers, der als Ziele der Getränkebranche "Mehrkonsum und Mehrwert durch Wellness-Image und funktionelle Ingredienzen" erkennt. Im Heft finden sich passendere Worte für den Vorgang. Ein Artikel in der Ernährungs-Umschau heißt "Verbrauchertäuschung durch Analog-Käse".

© SZ vom 23.06.2009/bilu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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