Erfinderin des Minirocks:Maximale Aufregung

"Wir konnten mit ihm auf den Bus aufspringen und zur Arbeit fahren" - zum 75. Geburtstag von Mary Quant, der Erfinderin des Minirocks.

Tanja Rest

Bei den Pariser Haute-Couture-Schauen zeigte Elie Saab diesmal einen Rückenausschnitt, der das Gesäß entblößte, Givenchy steckte seine Models in durchsichtige Negligees und Unterwäsche, bei Lacroix wippte unter bunten Ethno-Ketten der blanke Busen. Mit anderen Worten: Der Kaiser war in seinen neuen Kleidern mal wieder ziemlich nackt, doch keiner störte sich daran.

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"Der Minirock war unausweichlich", sagt Mary Quant rückblickend

(Foto: Foto: Getty Images)

Ob sich die Designer im Zeitalter des Anything goes, der kostümierten Gleichgültigkeit, manchmal zurücksehnen in die Mitte des vorigen Jahrhunderts? Als für Mode noch Regeln galten, die man brechen konnte, wenn man sich traute? Als - im Fall von Mary Quant - ein paar Zentimeter weniger Stoff den Frauen nicht nur die Beinfreiheit brachte, sondern auch die Freiheit, ihre Weiblichkeit so zu leben, wie sie Lust hatten?

Dabei hatte Quant, die an diesem Mittwoch 75 Jahre alt wird, gar nicht die sexuelle Befreiung im Sinn, als sie Ende der Fünfziger zur Schere griff und die Röcke ein Stück kürzer machte. Vor ihren Augen stand das Working Girl, die selbstbewusste Frau, die in ihren Kleidern nicht länger eingesperrt sein will.

"Der Mini war unausweichlich", berichtet Quant in dem gerade erschienenen Bildband "Der Minirock" (Edel Edition), "wir konnten mit ihm auf den Bus aufspringen und zur Arbeit fahren."

Der ersehnte Aufschrei des Establishment

Mochte der junge Yves Saint Laurent mit seinem Kampfruf "Nieder mit dem 'Ritz', es lebe die Straße!" auch den Neuanfang gefordert haben, die Mode jener Tage war im besten Fall elegant, im schlimmsten Fall damenhaft, aber sie war nicht: praktisch, frech, sexy.

Mary Quants Erfindung platzte mitten hinein ins "Swinging London", das ausgehend vom Szene-Stadtteil Chelsea das Lebensgefühl der jungen Bohème zelebrierte. Den Soundtrack lieferten die Beatles und Velvet Underground, die bewegten Bilder kamen von Antonioni ("Blow up"), die Stilvorlagen von Models wie Veruschka, Twiggy und Jean Shrimpton.

Die erst 21-jährige Mary Quant hatte 1955 in der Londoner King's Road ihre Boutique "Bazaar" eröffnet und verkaufte dort zunächst noch klassische Damenmode, bis sie die Zeichen der Zeit erkannte und handelte, schließlich: "Wenn ich die Röcke nicht kürzer gemacht hätte, hätten die Chelsey Girls die Scheren gezückt und sie selbst abgeschnitten."

Die ersten Miniröcke endeten noch eine Handbreit über dem Knie und waren nach heutigen Maßstäben beinahe bieder. In den Sechzigern aber provozierten sie den ersehnten Aufschrei des Establishments, wobei sich die Empörung weniger auf den Mini selbst bezog, als vielmehr auf die Mädchen, die ihn trugen ...

Eilig versuchte die Obrigkeit, das in immer schwindelerregendere Höhen schrumpfende Kleidungsstück zu zähmen: Die Queen bezifferte die zulässige Rocklänge bei Hofe auf sieben Zentimeter über dem Knie, bei Schuluniformen durften es immerhin 16,5 Zentimeter sein - 1,75 Meter Körpergröße vorausgesetzt. In Thailand, Malaysia und Vietnam wurde der Mini als imperialistisches Kleidungsstück gleich ganz verboten. Aufzuhalten war er dennoch nicht.

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Maximale Aufregung

Einen Orden von der Queen

Als die Mitglieder des "Britischen Vereins zur Erhaltung des Minirocks" 1966 vor der Londoner Filiale von Dior demonstrierten, war die Aufregung schon wieder halb verpufft. Wenig später trugen auch brave Hausfrauen Mini, das Kaufhaus Selfridges steckte seine Verkäuferinnen in Mini-Kleider, und der Film "Georgy Girl" mit Charlotte Rampling wurde mit dem Slogan "The wildest thing to hit the world since the mini-skirt" massentauglich beworben.

Das Establishment reagierte auf den Mini also wie auf alles Neue, das es nicht richtig in den Griff bekommt: Es verleibte ihn sich ein und machte ordentlich Kasse. Ende der Sechziger - aus Kalifornien wurden schon wieder die langen Walleröcke der Blumenkinder gemeldet - brachte es der enttäuschte John Lennon auf den Punkt: "Die ganze scheiß spießbürgerliche Szene ist immer noch dieselbe, außer dass ein paar Mittelklassekinder mit langen Haaren und trendy Klamotten durch London ziehen. Abgesehen davon, dass wir uns chic gemacht haben, ist nichts passiert."

Für Mary Quant galt das allerdings nicht. Sie bekam einen Orden von der Queen, lieferte ihre Minis an Stars wie Audrey Hepburn, Brigitte Bardot und Grace Kelly, sie behielt auch ihren charakteristischen Sixties-Bob von Vidal Sassoon, doch ihr Blick blieb stets nach vorn gerichtet.

In den Siebzigern begann sie, Accessoires, Wäsche und Kosmetik zu vermarkten - und wenn sie sich im Jahr 2000 auch aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen hat, so gehören ihr immer noch "Mary Quant"-Boutiquen in London, Paris, New York und Tokio. Was sie selbst am liebsten trage, wurde sie kürzlich mal gefragt. Die Antwort: "Hosen, T-Shirts und Jackett."

Die Frage nach der Rocklänge ist natürlich längst Anachronismus; bis hin zum Mikro-Mini hat die Verwertungskette alle nur denkbaren Varianten in die Regale von H&M gespült, weshalb einen die folgende Meldung fast nostalgisch werden lässt: Die britische Fluggesellschaft Virgin Atlantic lässt in einem TV-Spot gerade Hostessen in knallroten Uniformjacken und Miniröcken an gaffenden Passagieren vorbei stolzieren und hat sich damit 29 Sexismus-Beschwerden bei der staatlichen Werbeaufsicht eingehandelt. Die Chelsea Girls von damals hätten ihre helle Freude gehabt.

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