"Er sagt, sie sagt" zu Körpergeräuschen:"Ich kann dich hören!"

Er sagt sie sagt

Nicht immer erwünscht: Geräusche, die auf eine anwesende Person schließen lassen.

(Foto: iStockphoto; Bearbeitung: Yinfinity)

Seine Anwesenheit ist laut. Wenn es neben ihr röchelt, schmatzt und quietscht, weiß sie immerhin: Ich bin nicht alleine.

Kolumne von Violetta Simon

Sie sitzen am Küchentisch, frühstücken und lesen Zeitung. Es ist still. Beinahe jedenfalls. Er zermalmt geräuschvoll ein Brötchen zwischen seinen Zähnen, sie fixiert ihn feindselig.

Während er sich über die Zeitung beugt, reckt er sein Kinn in die Höhe und kratzt sich gedankenverloren am Hals: Krrrrk, krrrk, krrrk.

Sie (seufzt): Du könntest dich mal wieder rasieren.

Er (abwesend): Hmmm. (Krrrk, krrrk, krrrk)

Er blättert in der Zeitung herum, hebt sie hoch und schüttelt sie umständlich zurecht.

Sie: Warum tust du das - sind die Buchstaben verrutscht?!

Er (abwesend): Hmmm. Kann sein ...

Sie (genervt): Seufz!!!

Er: Sag mal, was seufzt du denn so?

Sie: Kannst du dir das nicht denken?

Er: Keinen Schimmer. Vermutlich bist du mal wieder genervt von irgendetwas, richtig?

Sie: Allerdings.

Er: Das ist äußerst betrüblich. Aber womöglich könntest du die demonstrative Lautstärke rausnehmen aus deiner Genervtheit, ich würde nämlich gern in Ruhe die Zeitung lesen.

Sie: Wenn du deine Ruhe haben willst, solltest du aufhören, mit der Zeitung zu rascheln. Und dich zu kratzen. Das klingt, als wäre dein Hals mit Schmirgelpapier beschichtet.

Er: Mein Gott, was ist dir denn über die Leber gelaufen!

Sie: Außerdem schmatzt du beim Essen. Und quietscht dabei mit den Zähnen.

Er (popelt das Innere aus der Semmel heraus und dreht es zu zwei kleinen Kugeln): Hier, das kannst du dir in die Ohren stecken.

Sie: Sag mal, geht's noch?

Er: Ich kann auch gerne mein Frühstück mitsamt dem Kaffee pürieren und als Smoothie aus dem Glas trinken, wenn dir das lieber ist.

Sie: Das würde wohl kaum helfen - so wie du immer schlürfst ...

Er: Ich bin eben ein Genießertyp. Du weißt ja, die Sommeliers schlürfen sogar mit Absicht, wenn sie Wein verkosten.

Sie: Du klingst dabei eher wie ein kaputtes Wasserrohr. Und beim Schlucken, da machst du Würgegeräusche - ungefähr so: ng, ng, ng.

Er: Kann es sein, dass du heute ein wenig gereizt bist? Das kann man doch sicher auch netter sagen.

Sie: Ich versuch's mal als Frage: Wie kann man nur dermaßen laut sein beim Leben?

Er: Weißt du, wie man Menschen wie dich nennt? Misophoniker.

Sie: Jetzt komm mir bloß nicht mit Philosophie!

Er: Keine Sorge. Es bedeutet, dass du an Geräuschintoleranz leidest.

Du schnarchst mit offenen Augen!

Sie: Ich leide höchstens an deinen Geräuschen. Beim Essen höre ich dich sogar atmen!

Er: Lebewesen atmen in der Regel.

Sie: Aber bei dir hört es sich wie ein wütendes Schnauben an, als würdest du mit jedem Bissen kämpfen.

Er: Wenn es dir lieber ist, kann ich das Atmen und das Essen gerne einstellen.

Sie: Wenn sich das machen ließe, das wäre wirklich sehr rücksichtsvoll von dir.

Er: Du weißt schon, dass es Menschen gibt, die sind so einsam, dass sie sich nach solchen Geräuschen sehnen ...

Sie: Das, mein lieber, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Er: Ich könnte eine Geräusche-CD rausbringen - womöglich würde ich damit reich!

Sie: Also bei mir wirst du damit keinen Blumentopf gewinnen.

Er: Gut, du wolltest es so. Von nun an werde ich verstummen. Er holt tief Luft und hält den Atem an.

Sie: Himmlisch!

Er (bekommt einen roten Kopf, lässt die Luft wieder raus): Wusstest du eigentlich, dass du beim Lesen manchmal anfängst zu schnarchen? Ich denke jedes Mal, du bist eingeschlafen. Aber dann sehe ich, dass deine Augen offen sind.

Sie: Ich schnarche nicht. Nicht mal im Schlaf!

Er: Das denkst du. Aber das ist ein anderes Thema.

Sie: Du bist gemein.

Er: Und wenn du mit dem Strohhalm eine Bloody Mary trinkst, dann gluckerst du. Wie eine elektrische Saugpumpe.

Sie: Saugpumpe? Das ist ein Witz, oder?

Er: Am Ende, wenn du die Reste aus dem Glas saugst, fiepst du - wie ein Welpe.

Ein unüberhörbares Magengrummeln blubbert durch seine Bauchdecke.

Sie: Könntest du deinem Bauch sagen, dass er sich nicht auch noch einmischen soll? Ich muss das erst einmal verkraften.

Er: Wir könnten das Radio einschalten, dann hörst du ihn nicht mehr.

Sie: Oh nein - nicht den Dudelsender, den du immer hörst! Da komme ich mir vor wie ein Tinnitus-Patient, der versucht, ein Störgeräusch mit einem anderen zu neutralisieren.

Er: Dann vielleicht doch lieber ein bisschen Quietschen, Schnauben und Grummeln? Du darfst mich zwischendurch auch gerne anfiepen.

Sie: Wenn ich dazu noch einen Kaffee haben könnte - das wäre fein.

Die besten Folgen der Kolumne "Er sagt, sie sagt" sind bei SZ Editionen als Buch erschienen.

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