"El Bulli" macht dicht:Der Alchemist ist müde

Der Starkoch der Molekularküche, Ferran Adrià, machte das "El Bulli" zu einer Pilgerstätte für Gourmets: Jetzt überrascht er seine Gäste wieder - er nimmt eine Auszeit.

Marten Rolff

Im Nachhinein weiß man immer alles besser. Und deshalb werden jetzt viele Menschen sagen, dass die jüngste Entscheidung des katalanischen Starkochs Ferran Adrià keine echte Überraschung, dass die Schließung seines Restaurants "El Bulli" absehbar gewesen sei.

Ferran Adrià, AP

Der Starkoch Ferran Adrià inspiziert in seinem Küchenlabor in Barcelona eines seiner molekularen Kreationen.

(Foto: Foto: AP)

Und tatsächlich lesen sich viele Äußerungen Adriàs rückblickend wie eine Ankündigung: In Interviews kokettierte er oft mit vagen Andeutungen, sich 2012, wenn er 50 Jahre alt wird, neu orientieren zu wollen. Und als sein Bruder Albert, der seit 1985 im "El Bulli" gekocht hatte und dort zuletzt Chefpatissier war, vor einem Jahr beschloss, aus der Spitzengastronomie auszusteigen, da sagte Ferran Adrià dem Zeitmagazin als Begründung: "Er hat mir gesagt, er will nicht mehr jeden Morgen mit diesem Gefühl aufwachen, die Welt neu erfinden zu müssen."

Die Welt neu erfinden - darunter macht man es im Hause Adrià nicht. Und genau diese Haltung hat dem Starkoch nicht nur ein paar erbitterte Kritiker, sondern vor allem ein Millionenheer an Bewunderern eingebracht. "Ein Sternekoch, der etwas zu viel Bohei gemacht hat, schließt sein Restaurant, na und?", werden erstere sagen. Und Adriàs Anhänger würden wohl mit einem Zitat des Gastrokritikers der Times antworten: "Das ,El Bulli' als ,Restaurant' zu bezeichnen ist wie Shakespeare einfach einen ,Schriftsteller' zu nennen."

Zwischen beiden Positionen gibt es nicht viel. Und schon wegen dieser Polarisierung war es eine kleine Sensation, als Ferran Adrià am Dienstag auf der Kochmesse in Madrid ankündigte, sein Restaurant an der Costa Brava für zwei Jahre zu schließen. Ab 2012 will der Koch sich eine kreative Auszeit nehmen, um sich neuen gastronomischen Ideen zu widmen.

Bei Gourmets dürfte das erstmal Bestürzung auslösen; allein der Versuch, in dem Lokal eine gute Autostunde nördlich von Barcelona einen Tisch zu ergattern, gilt vielen als das kulinarische Ereignis des Jahres. Zwei Millionen Reservierungsanfragen soll das "El Bulli", das das britische Fachblatt Restaurant Magazine dreimal zum besten Restaurant der Welt kürte, jährlich verzeichnen.

45 Köche für 50 Gäste

Nur 8000 Bittsteller können jeweils erhört werden, denn das Restaurant hat zwar 45 Köche, aber nur 50 Plätze, zudem ist es nur sechs Monate im Jahr geöffnet. Die übrige Zeit benötigt das Team, um in einer Art Küchenlabor, das in einem Palast in Barcelona untergebracht ist, neue Menüs zu entwickeln.

Ob Computer, medizinische Geräte, flüssiger Stickstoff oder Emulgatoren wie Xanthan - Adriàs Köche scheuen bei der Kreation ihrer 25-Gänge-Abfolgen kaum ein Mittel, um zu garantieren, dass sich Geschmack, Farbe oder Aggregatzustand eines Gerichts nicht wiederholen.

Zu Adriàs Erfindungen zählen heute nicht nur die Schäume, zu denen heute die Saucen in jedem zweiten Landgasthof hochgequirlt werden, sondern auch Gerichte wie vakuumgetrocknetes Curry mit flüssigem Hühnchen, karamellisiertes Entenfett, Lutscher aus Roter Beete oder gedämpfte Seeanemonen mit Kaninchenhirn.

Zu viel Chemie, zu viel Schnickschnack, bemängelten Traditionalisten mitunter. Die Gäste dagegen waren meist begeistert: "Ich habe selten beim Essen soviel darüber nachgedacht, was dieses Essen überhaupt war", gab eine Frau zu Protokoll, nachdem sie als Documenta-Besucherin 2007 in das "El Bulli" geflogen worden war. Und ihr Mann ergänzte: "Man schmeckt plötzlich wieder in einer Intensität, als wäre es ein Drogenerlebnis."

Einziger Koch, der an einer Kunstausstellung teilnahm

Mit Ferran Adrià hatte zum ersten Mal überhaupt ein Koch an der Kunstausstellung in Kassel teilgenommen. Doch was 2007 das Feuilleton spaltete ("Kann Kochen Kunst sein?"), war für den Mann, der nie eine Ausbildung genossen und als Marinekoch ausgeholfen hatte, bevor er 1983 als einer von zwei Chefköchen im "El Bulli" anheuerte, nur ein weiterer logischer Schritt. Lange vor seiner Documenta-Teilnahme zählte das Time Magazine Adrià zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt. "Spanien ist das neue Frankreich.", titelte die New York Times, als er sich 1998 mit seiner Alchimistenküche den dritten Stern erkocht hatte.

Aus wissenschaftlicher Sicht sei Adrià an die Grenzen gegangen, man könne sich kaum vorstellen, was jetzt noch kommen sollte, sagt Thomas Vilgis, der als Physiker des Max-Planck-Instituts Köche berät und Bücher über die Molekulare Küche schreibt. Ob Adrià nun bleibe oder gehe, "seine Techniken sind aus der Luxusküche längst nicht mehr wegzudenken." Die vorübergehende Schließung des "El Bulli" bedauert Vilgis deshalb vor allem weniger fachlich als persönlich. "Seit Jahren versuche ich dort vergeblich, einen Tisch zu bekommen."

Ähnlich nüchtern betrachtet man Adriàs Kreativpause auch in der Branche. Angesichts seiner ständigen Ideen sei die eigentliche Sensation, "dass er das auf dem Niveau so lange durchgehalten hat ", findet Juan Amador. Der deutsche Drei-Sterne-Koch hat Adrià mehrfach Mal in Barcelona besucht. Irgendwann hatte Amador dort das Gefühl, dass Innovation auch "zu einer Sucht werden kann, die einen belastet". Adriàs Kreativität sei längst in der neuen Generation verankert. "Er wird zurückkommen, eine Pause ist normal."

So gesehen ist die vorübergehende Schließung des "El Bulli" keine große Sache. Ein Lokal hat Betriebsferien. Ende.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: