Eine Familie lebt vegetarisch:Leben ohne Schnitzel

Wie eine Kölner Familie Vegetarismus als Lebensform praktiziert - und zugleich darauf achtet, dass keiner allzu sehr zu seinem Glück gezwungen wird.

Christian Mayer

Katja Nienborg war zwölf Jahre alt, als sie eine Entscheidung traf, die ihre Eltern verwunderte und schockierte. Nie wieder werde sie die Dinge anrühren, die in ihrer Familie selbstverständlich waren: Schnitzel, Gulasch, Spaghetti Bolognese; auch Milch und Käse schmeckten ihr kurzzeitig nicht mehr.

Wenn Kinder in diesem Alter fundamentale Beschlüsse verkünden, darf man hoffen, dass sie ihre Meinung wieder ändern; doch bei Katja war alles anders als bei ihren zwei Schwestern. Sie blieb bei ihrer Haltung, obwohl sie sich immer wieder erklären musste und die Großmutter sie mit raffiniert getarnten Fleischbrühen umstimmen wollte, was ein weiteres Drama zur Folge hatte, weil Katja Omas gute Suppe ("stell dich nicht so an!") sofort erbrach.

"Mir ging es schon damals um grundsätzliche Dinge, vor allem um die Tiere", sagt die 37-Jährige. Die Fernsehbilder der eingepferchten Hühner in ihren Massenkäfigen gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Das war Mitte der achtziger Jahre. Inzwischen hat die Sportwissenschaftlerin mit ihrem Lebensgefährten, dem Filmproduzenten Holger Hage, selbst Kinder.

Ihre drei Söhne sind fleischlos aufgewachsen, es ist die erste Generation, in der Vegetarismus eine respektierte Lebensform ist - man vertraut nicht mehr Gläschen-Babynahrung, sondern kocht Karotten und Kartoffeln, schickt die Kinder in den vegetarischen Kindergarten, kauft im Biomarkt Gemüse aus der Region, achtet auf Vollwertkost und meidet Fastfood-Restaurants.

Kann man eine Ernährungsweise, die täglich bewusste Entscheidungen erfordert, so einfach auf seine Kinder übertragen, ähnlich wie ein Glaubensbekenntnis? "Es gibt eine Phase, in der man selbst entscheiden muss, was man isst", sagt Nienborg. "Unser ältester Sohn Luke probiert mit 13jetzt auch Grillfleisch und Würstchen aus, wenn er bei Freunden ist - er mag es gerne, aber nicht so häufig."

Finn, der Zehnjährige, scheint momentan kein Bedürfnis danach zu haben, vor allem seit er zwei Kaninchen im Garten hat, die Liebe zu seinen Tieren ist deutlich stärker ausgeprägt als die Lust auf Burger. Und der sechsjährige Leve hat noch keine Wahl. "Ich habe meinen Söhnen immer gesagt, dass ich zu Hause kein Fleisch zubereite - ich will das nicht und ehrlich gesagt: Ich kann es auch gar nicht, weil ich nicht weiß, wie es geht."

Gemeinsame Mahlzeiten sind der Familie wichtig, und wenn Vater Holger vom Drehtermin nach Hause kommt, stellt er sich in die Küche - es gibt dann selbstgemachte Pasta, Schupfnudeln mit Räuchertofu und Sauerkraut, Biofischstäbchen, manchmal auch Lachsfilets, dazu Gemüse der Saison vom Biobauern am liebevoll gedeckten Holztisch.

"Eigentlich mag ich Fleisch gerne"

Kochen soll Spaß machen, Kochen ist Teil der Erziehung auch in der Waldorf-Schule in Refrath in Bergisch-Gladbach, wo man gemeinsam Weizen anbaut, drischt, zu Mehl verarbeitet und Brot daraus backt. Die drei Söhne backen auch zu Hause gerne - vegetarische Pizza und Kuchen. Bei aller Freiwilligkeit gibt es auch klare Regeln, und dazu zählt, dass man im Winter keine Tomaten isst. Auch keine Erdbeeren im März, nicht mal wenn die Jungs flehentlich danach verlangen, da bleibt die Mutter hart aus Prinzip.

"Eigentlich mag ich ja Fleisch so gerne - aber nur noch, wenn es sehr gut ist", sagt der Vater, der ein saftiges Steak so anschaulich schildern kann, dass man sogleich Appetit verspürt. Genau diese Gruppe der Teilzeit-Vegetarier umwirbt etwa der deutsche Sternekoch Vincent Klink. Er glaubt nicht daran, dass der Mensch konsequent ist, von "militanten Ansätzen" in der Küche hält er wenig. Dennoch plädiert er für Biokost und wohldosierten Fleischkonsum. "Ich bin überzeugt, dass die Menschen das Leid eines Tieres, das aus der Massentierhaltung stammt, immer mitessen", schreibt der Buchautor - diesen Satz würde die Kölner Veggie-Mutter unterschreiben.

Protest im Privaten

"Junge Menschen fühlen sich oft machtlos, sie würden gerne etwas tun, etwa gegen den CO2-Ausstoß und den Klimawandel", sagt Katja Nienborg. Fleischverzicht sei auch ein Aufbegehren gegen die Gewohnheiten der Eltern, oft sogar eine Möglichkeit des politischen Protests im Privaten, wie man auf zahlreichen No-Meat-Blogs im Internet erfahren kann.

Andererseits sollten sich Vegetarier nicht wundern, wenn ihre Kinder wieder alles anders machen und beim Döner-Mann oder auf exzessiven Grillpartys über die Korrektheit der Eltern lästern. Nienborg legt vor allem auf eines Wert: "Ich will, dass unsere Söhne wissen, was sie da essen, woher das Essen kommt - und ob es gut für sie ist. Wenn wir das schaffen, ist viel erreicht."

Lesen Sie dazu den Themenschwerpunkt "Generation Gemüse" in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung. Hier können Sie die SZ unverbindlich testen.

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