Ehrenamt und Zivilcourage (1):Doch, es gibt das Positive

Die Zivilgesellschaft kann den Sozialstaat nicht ersetzen. Die Arbeit von Stiftungen, Bürgervereinen und Tafeln kann nur eine Ergänzung sein.

Heribert Prantl

Die "Zivilgesellschaft" ist so eine Art Heilsarmee der Demokratie. Sie besteht aus Wohlfahrtsverbänden, aus Stiftungen und vor allem aus vielen großen und kleinen Bürgerinitiativen. Die Zivilgesellschaft beantwortet eine Frage, die in Zeiten von anhaltend schlechten Nachrichten besonders beliebt ist: Wo bleibt eigentlich das Positive? Es gibt dieses Positive - nämlich Zehntausende sozialer und gesellschaftspolitischer Projekte im Land, die dort ansetzen, wo der Staat es nicht oder nicht mehr tut.

Ehrenamt und Zivilcourage (1): Die Suppenküchen verhelfen vielen Menschen zu einer warmen Mahlzeit.

Die Suppenküchen verhelfen vielen Menschen zu einer warmen Mahlzeit.

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Sie machen Kultur; sie finanzieren, was der Staat nicht mehr finanziert. Sie kümmern sich, viel persönlicher als dies die beste staatliche Jobagentur kann, um Ausbildungsplätze für Jugendliche; sie leisten Hausaufgabenhilfe für ausländische Kinder; sie begleiten türkische Eltern zur Klassenversammlung; sie kriechen unter den Teppich, unter den Hartz IV die neuen Armen der Gesellschaft gekehrt hat; und sie tischen ihnen etwas zum Essen auf:

Mehr als 800 "Tafeln" gibt es mittlerweile in Deutschland, sie haben eine Million "Kunden", denen sie an zweitausend "Ausgabestellen" gespendete Lebensmittel servieren. Diese Wiederkehr der Suppenküchen zeigt, wie groß der Mangel in Deutschland ist. Das ist das Negative. Die Zahl der Bedürftigen, die bei den Tafeln essen, hat sich seit Hartz IV verdoppelt.

Reichtum an Ideen

Soeben hat der Bundesverband Deutscher Stiftungen den "Stiftungsreport" vorgelegt. Wer die Projekte der Stiftungen und Bürgervereine studiert, der entdeckt einen Reichtum an Ideen und Engagement, der die viel zitierten Nachtgedanken Heinrich Heines vertreibt. Nein, man ist nicht um den Schlaf gebracht, wenn man in der Nacht an Deutschland denkt. Die These vom galoppierenden Hedonismus dieser Gesellschaft stimmt nicht; sie beschreibt jedenfalls nur einen Teil der Wirklichkeit.

Es gibt eine starke Gegenbewegung, eine Renaissance dessen, was man früher "Ehrenamt" nannte - und es gibt eine neue Kultur der Stiftungen. Ihre Zahl steigt Jahr für Jahr rapide, nicht nur, weil die steuerliche Förderung besser geworden ist; nicht nur, weil es bei Rotary und im Lions Club schick geworden ist, von der Gründung seiner Stiftung zu berichten; sondern auch deswegen, weil der Finanz-Kapitalismus auf der einen Seite auch einen Gemeinwohl-Kapitalismus auf der anderen provozierte. Das ist das Positive.

Es gibt aber auch eine zunehmende Tendenz des Staates, sich darauf zu verlassen, dass das, was er als Sozialstaat leisten müsste, von privaten Initiativen geleistet wird. Das ist das Negative. Das bringt einen Mann wie Gerd Häuser, den Vorsitzenden des "Bundesverbandes Deutsche Tafel" zur Weißglut: Bei allem berechtigten Stolz auf das eigene Engagement - man fördere damit auch den weiteren Rückzug des Staates aus seinen Kernaufgaben.

Bürgerschaftliches Engagement ist aber kein Ersatz für den Sozialstaat, schon deswegen nicht, weil die Wirtschaftskrise auf die Privaten als Spenden- und Finanzierungskrise durchschlägt. Die Arbeit von Stiftungen, Bürgervereinen und Tafeln kann nur eine Ergänzung des Sozialstaats sein. Der Staat hat seine Pflicht zu erfüllen, privates Engagement ist die Kür. Die Gesellschaft braucht dafür Kümmerer; und sie braucht Stiftungen und Vereine, die dieses Kümmern organisieren und begleiten. Es gibt viele dieser Kümmerer, aber der Staat behandelt sie zu oft als nützliche Idioten. Die großen Verbände wiederum sehen diese Kümmerer zu oft eher als Störer denn als willkommene Helfer.

Auch Aufreger gesucht

Beim Wort "Zivilgesellschaft" kriegen viele Politiker einen barmherzig-gütigen Gesichtsausdruck; beim Wort "Attac" friert ihnen dann die gute Miene wieder ein. Attac, also die Bewegung der Globalisierungskritiker, ist noch nicht als Bürgerstiftung organisiert. Engagement braucht aber nicht nur Anführer und Anreger, sondern auch Aufreger. Die Zivilgesellschaft erstreckt sich über ein breites Spektrum, noch viel breiter, als es bei den Volksparteien in ihren besten Zeiten war. Sie reicht von Attac bis zur Milliardärsstiftung. Ihre Arbeit ist Wertschöpfung für das Gemeinwohl, die der Staat zu achten hat.

Und die Wohlfahrtsverbände müssen sich überlegen, woran es liegt, dass sich bei ihnen nicht mehr viel privates Engagement trifft, sammelt und bündelt. Beim Stichwort Wohlfahrtsverband denkt man heute nicht an einen Zusammenschluss von sozial engagierten Menschen, sondern an Apparate, die das Soziale verwalten; man denkt an Funktionäre, die Verbandspolitik betreiben, um dafür zu sorgen, dass dem Verband nicht die Butter vom Brot genommen wird. Die notwendige Professionalisierung der Wohlfahrtspflege hat leider dazu geführt, dass freiwilliges privates Engagement von den Profis einfach als störend empfunden wird. Die Wohlfahrtsverbände werden stärker als bisher darüber nachdenken müssen, das Ehrenamt wieder neu zu würdigen, besser in ihre Arbeit einzubauen und zu strukturieren.

Wohlfahrt - das klingt so betulich, ist aber ein täglicher Kampf. Notwendig ist ein Bündnis der Ideen-, der Geld- und der Zeitreichen; der Menschen also, die Ideen, Geld oder Zeit haben. Dieses Bündnis muss, im Wortsinn, gestiftet werden. Es kann den Sozialstaat nicht ersetzen, aber bereichern.

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