Ehe absurd:Scheidung auf italienisch

Nach der Zweckehe entdecken Paare die Vorzüge der Zweckscheidung. Sie opfern den Trauschein, um Steuern zu sparen.

Ulrike Sauer

Man kennt sie von der Kinoleinwand, die "Scheidung auf italienisch". Ein reicher Sizilianer bringt seine Ehefrau zur Strecke, um ein junges Mädchen zu heiraten. Der glühende Liebhaber alias Marcello Mastroianni hat in der Filmsatire aus dem Jahr 1961 keine Wahl. "Bis dass der Tod Euch scheidet" nimmt er wörtlich, denn zivilere Wege zur Auflösung eines Lebensbundes gibt es in Italien nicht.

Scheidung; iStockphotos

Zum Schein getrennt oder wirklich zerstritten: Mit der Zweckscheidung können Italiener bis zu 1500 Euro Steuern sparen - pro Jahr.

(Foto: Foto: iStockphotos)

Das hat sich inzwischen geändert. Ein Richter erledigt nun die Angelegenheit. Neuerdings verzeichnen Juristen jedoch Zuspruch für eine andere italienische Scheidungsspezialität: Fünf Prozent der Ehetrennungen in Italien sind simuliert, schätzen die Fachanwälte für Familienrecht. Dahinter stecken Geldmangel oder ein ausgeprägter Spartrieb. Nach der Zweckehe entdecken Paare nun also die Vorzüge einer Zweckscheidung.

Da trennt man sich zum Schein, um in den Genuss finanzieller Vergünstigungen zu kommen. Ziel Nummer eins der fiktiven Ex-Gatten: Steuern sparen. Wer offiziell aus der gemeinsamen Eigentumswohnung auszieht und das Ferienhaus am Meer oder eine andere Zweitimmobilie zum neuen Unterschlupf deklariert, braucht für diese keine Grundsteuer mehr zu bezahlen.

Dem Fiskus kann man so im Jahr bis zu 1500 Euro vorenthalten. Auch die Nebenkosten sinken. Rechnungen für Strom, Gas, Wasser und Müllabfuhr fallen niedriger aus, weil es für den Hauptwohnsitz Mehrwertsteuervergünstigungen oder Tarifermäßigungen gibt.

Das vorgetäuschte Scheitern

Interessant ist für die Geschiedenen, dass ihre Einkommen nicht mehr kumuliert werden. Spürbar zu Buche schlagen kann das vorgetäuschte Scheitern der Ehe bei den Ausgaben für die medizinische Versorgung. Bis zu gewissen Einkommensgrenzen sind Italiener von der für alle Familienangehörigen fälligen Selbstbeteiligung bei Facharztbesuchen, Laboruntersuchungen oder Klinikaufenthalten befreit. Gespart wird auch bei Schulgeld und Studiengebühren.

Ganz neu ist der Trick nicht. Doch der sinkende Lebensstandard in Italien, wo der exorbitante Anstieg der Lebenshaltungskosten die vergleichsweise niedrigen Einkommen der Arbeitnehmer auffrisst, verstärkte den Trend in den vergangenen Jahren.

"Die Paare sind zwischen 40 und 50 Jahre alt und nicht immer wohlhabend", sagt Gian Ettore Gassani, Präsident der italienischen Fachanwälte für Familienrecht. Im Gegenteil, meist kommen die Zweck-Geschiedenen aus der gebeutelten Mittelschicht. Nicht das Herz treibt sie vor den Richter, sondern das leergeräumte Girokonto.

Dem italienischen Staat ist das schnuppe. Seine Steuerpolitik ist sogar mitverantwortlich dafür, dass die Familie als Hochburg der italienischen Gesellschaft ins Wanken geriet. Zwar halten Ehen in dem Mittelmeerland noch immer besser als bei den Nachbarn.

Auf der nächsten Seite: Auch Kinder sind "out".

Scheidung auf italienisch

Kinder? Nein danke!

Nur jede vierte Ehe zerbricht. 50.000 Paare werden im Jahr geschieden. Doch damit hat sich die Zahl im vergangenen Jahrzehnt fast verdoppelt. Die Italiener sind ehemüde. Die Zahl der Heiraten sinkt und sinkt, weil sich junge Leute die Gründung einer Familie immer seltener leisten können.

Nennenswerte Steuervergünstigungen gibt es weder für Verheiratete noch für den Nachwuchs. Kindergeld? Fehlanzeige. Kleinkindbetreuung? Ebenfalls. Mit der angeblichen Bambini-Vernarrtheit des Landes ist es vorbei. Heute gilt ein Kind als Luxus. Auch dem Fiskus.

Ein Baby bringt für die Staatskasse im ersten Lebensjahr 1100 Euro Mehrwertsteuer, ermittelte eine im Auftrag des italienischen Steuerzahlerbunds durchgeführte Studie. Auf vielen Produkten für Säuglinge liegt nämlich der höchste Mehrwertsteuersatz. Und so kommt es, dass Italien seit längerem den Weltrekord im Geburtenrückgang hält.

Die Gefahren dieses Trends blendet die Politik beharrlich aus. Wie überall lastet die Überalterung der Gesellschaft auf den sozialen Sicherungssysteme. Bedrohlich ist die Schwächung der Familien in Italien, weil sie für einen nicht funktionierenden Staat einspringen müssen.

"Die Familie ist der Puffer, der die Mängel des Sozialstaats ausgleicht", warnt der Soziologe Massimo Livi Bacci. Sie bewahrte - zumindest im Notfall - ihre ursprüngliche Bedeutung als Schutz bietender Clan. So kehrt jeder Dritte nach der Trennung von seinem Partner zu den betagten Eltern zurück und richtet sich im alten Kinderzimmer oder auf einem Schlafsofa ein. Andersherum holen sich immer mehr Familien ihre Alten in die Wohnung zurück. Die Jungen ziehen erst gar nicht aus. Acht von zehn Italienern unter 30 leben bei den Eltern.

Die italienische Familie ist vieles - nur keine glückliche Insel. Tausend Tote gehen im Jahr auf das Konto familiärer Streitigkeiten. "Das Familienrecht fordert mehr Todesopfer als alle Mafia-Organisationen zusammen", beklagt Scheidungsanwalt Gassani. Dabei bräuchte Mastroiannis sizilianischer Baron seine Gattin heute nicht mehr zu erschießen, um die geliebte Angela zu ehelichen. Per Volksentscheid wurde 1974 in Italien gegen den Widerstand des Vatikans das Recht auf Scheidung durchgesetzt. Nun kommt sie auch als Strategie gegen die Teuerung zum Einsatz.

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