Drogen aus der Apotheke:Haschisch im Panzerschrank

Erstmals darf eine Patientin Cannabis legal zur Behandlung ihrer Multiplen Sklerose beziehen - unter strengen Auflagen. Kranke, die sich das Mittel auf eigene Faust besorgen, müssen mit Gefängnis rechnen.

Martin Kotynek

Die Bundesopiumstelle hat zum ersten Mal einer Patientin erlaubt, Cannabis in der Apotheke zu kaufen. Claudia H. aus Baden-Württemberg, die seit 14 Jahren an Multipler Sklerose leidet, darf von Ende August an einen Extrakt aus der Hanfpflanze legal beziehen. Die Erlaubnis ist an strenge Auflagen geknüpft. Zudem muss ein Arzt die Therapie begleiten.

Immer mehr wissenschaftliche Studien zeigen, dass Cannabis Spastiken und Schmerzen, die oftmals bei der Nervenkrankheit Multiple Sklerose auftreten, lindern kann. Bei Aids- und Krebskranken verringert die appetitanregende Wirkung der Droge den Gewichtsverlust. Da Cannabis aber in Deutschland verboten ist, dürfen Ärzte nur den synthetisch hergestellten Cannabis-Wirkstoff Dronabinol verschreiben. Die Kosten übernehmen die Krankenkassen jedoch nicht, da die Substanz in Deutschland nicht als Arzneimittel zugelassen ist. 60 Kapseln können bis zu 1700 Euro kosten.

Weil das vielen Patienten zu teuer ist, besorgen sie sich natürliches Cannabis auf eigene Faust - und bewegen sich damit am Rande der Illegalität. Denn Cannabis fällt unter das Betäubungsmittelgesetz - der Besitz ist verboten. Zwar verfolgt die Staatsanwaltschaft Besitzer von "geringen Mengen" - je nach Bundesland sind das drei bis 30 Gramm - nicht, doch es bleibt ein Risiko. Claudia H. ist es eingegangen: "Ich habe alle schulmedizinischen Medikamente ausprobiert, aber die Nebenwirkungen waren inakzeptabel", sagt die 51-jährige Softwareentwicklerin. Sie kann seit zehn Jahren kaum mehr gehen, vor fünf Jahren hat sich ihr Zustand stark verschlechtert. "Wegen der spastischen Lähmungen konnte ich nachts nicht mehr schlafen, doch wenn ich Tabletten nahm, waren die Beschwerden am folgenden Tag noch stärker." Auch der Cannabis-Wirkstoff Dronabinol habe ihr keine spürbare Erleichterung gebracht - ein untragbarer Zustand, sagt sie.

Ein Artikel in einem Magazin für Multiple-Sklerose-Patienten brachte sie auf die Cannabis-Therapie. "Ich wollte es versuchen, schließlich bestand eine Chance, dass sich meine Beschwerden verringern würden. Meine Ärztin stand voll hinter mir", sagt Claudia H. "Ich habe mir dann Cannabis besorgt. Zwei- bis dreimal pro Woche brühe ich mir seitdem bei starken Beschwerden aus den Blüten abends einen Tee." Von der Wirkung ist die Unternehmerin überzeugt. Die starken Lähmungen gingen vorübergehend zurück, die Wirkung halte auch noch am folgenden Tag an. Rauschzustände erlebe sie keine, auch eine Abhängigkeit bestehe nicht. Illegal bleibt ihre Therapie trotzdem.

Cannabis nur für Zwecke "im öffentlichen Interesse"

Im Mai 2005 begann sich das zu ändern. Bis dahin hatte die Bundesopiumstelle sämtliche Anträge von Erkrankten, Cannabis als Medizin einsetzen zu dürfen, pauschal abgewiesen. Ausnahmegenehmigungen würden nur für wissenschaftliche oder "im öffentlichen Interesse liegende" Zwecke erteilt, lautete die Begründung. Doch dann urteilte das Bundesverwaltungsgericht, dass auch die Gesundheit von einzelnen Patienten im öffentlichen Interesse läge. Die Bundesopiumstelle könne nicht einfach pauschal Anträge ablehnen, sondern müsse jeden einzelnen Fall prüfen.

Haschisch im Panzerschrank

Seit diesem Urteil sind zahlreiche Einzelanträge beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn eingegangen, wo die Bundesopiumstelle ihren Sitz hat. Darunter war auch der Antrag von Claudia H., dem jetzt stattgegeben wurde. Allerdings musste die MS-Patientin nachweisen, dass alle verfügbaren Therapien keine Wirkung erzielt hatten und dass es kein anderes zugelassenes Arzneimittel gibt, um die Beschwerden zu behandeln. Ein Arzt musste die Risiken gegen den Nutzen einer Behandlung mit der Droge abwägen und den Therapieplan darlegen.

Drogen im Panzerschrank

Eineinhalb Jahre, nachdem Claudia H. ihren Antrag gestellt hat, entschied die Behörde, dass aus "klinischer Sicht" eine Behandlung mit Cannabis "zu befürworten" sei. Die Behörde erlaubt Claudia H., ein Jahr lang einen "standardisierten Cannabis-Extrakt" in einer Apotheke zu kaufen. Die Bundesopiumstelle verlangt jedoch, dass Claudia H. und die Apotheke den Extrakt sicher verwahren. "So wollen wir vermeiden, dass der Extrakt entwendet werden kann", sagt Wilhelm Schinkel, der bei der Bundesopiumstelle über die Anträge mitentscheidet. "Wir besitzen zu Hause einen Panzerschrank und die Apotheke auch; die Fotos haben wir an die Behörde geschickt", sagt Claudia H. "Eigentlich sind diese Vorkehrungen absurd."

Von Ende August an darf die Patientin einen Monatsbedarf des Cannabis-Extraktes in ihrer Apotheke abholen. Die Apotheke stellt aus dem Extrakt eine Tropflösung her. Unklar ist aber noch, wieviel der Extrakt kosten wird. "Die Kosten sind abhängig von den Pharmafirmen, die den Extrakt herstellen", sagt Schinkel. "Sie werden jedoch einen Bruchteil der Kosten von Dronabinol ausmachen, da aufwendige Herstellverfahren wegfallen." Hinzu kämen noch die Kosten, die für die Apotheke entstehen.

Um die Schattenseiten der Droge macht sich die Patientin keine Sorgen. "Die Nebenwirkungen der schulmedizinischen Mittel sind für mich besorgniserregender", sagt Claudia H. Doch neben dem Risiko einer Abhängigkeit erhöht regelmäßiger Cannabis-Konsum auch die Wahrscheinlichkeit, eine Psychose zu entwickeln. Außerdem ist die Therapie erst wenig erforscht. "Eine Studie unter wissenschaftlichen Kriterien ist bei Cannabis schwierig", sagt Hans-Michael Meinck, Neurologe an der Universitätsklinik Heidelberg. "Man kann keine Placebo-Studien durchführen, da die Patienten wegen der berauschenden Wirkung merken, ob sie die Droge oder das Scheinmedikament genommen haben." Zudem würden sich die Wirkstoffe im Körper ansammeln, da sie erst nach bis zu zwei Wochen abgebaut würden. "Die Dosis ist damit nicht kontrollierbar", sagt Meinck.

Für Franjo Grotenhermen von der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin ist das jedoch kein Grund, Patienten die Therapie vorzuenthalten. Er fordert, allen Patienten, die von Cannabis profitieren könnten, die Verwendung zu ermöglichen. "Die Behörde sollte bei den Genehmigungen nicht so restriktiv vorgehen", sagt Grotenhermen. Die Bundesopiumstelle will jedoch jeden der derzeit 50 Anträge Fall für Fall sorgfältig prüfen, sagt Wilhelm Schinkel.

Gefängnis statt Therapie

Trotz dieser neuen Möglichkeit, die Droge zur Therapie einzusetzen, bleibt Cannabis auch künftig verboten. Kranke, die sich auf eigene Faust Cannabis besorgen, sind davon nicht ausgenommen. Erst am Donnerstag vergangener Woche verurteilte das Amtsgericht Niebüll einen Hepatitis-C-Patienten wegen des Besitzes von Cannabis zu einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung. Und in Würzburg sitzt wegen desselben Deliktes ein Morbus-Crohn-Patient in Untersuchungshaft. Ein Freibrief für den Cannabis-Konsum ist die Erlaubnis der Behörde also nicht.

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