Doppelleben:"Die dunkle Seite meines Mannes"

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Daniela Thole Camenzind mit ihren Söhnen: Ich schaue mir heute Menschen anders an, bin skeptischer geworden. Aufstehen, standhaft bleiben, nach vorne schauen, weitergehen. Darum geht es.

(Foto: Danny Thole)

Ein verkappt homosexueller Ehemann führt ein perfides Doppelleben. Seiner Frau macht er das Leben zur Hölle.

Protokoll: Lars Langenau

"Keineswegs schickte mir das Universum nur Negativexemplare des männlichen Geschlechts. Es stellte mir sogar eine Palette attraktiver, psychisch und sozial intakter Männer vor. Ich aber verliebte mich immer in die falschen. In die Bösen. Die netten Typen hatten bei mir nie eine Chance.

1990 lernte ich Louis kennen: Ein unglaublich charismatischer Mann, der gleichzeitig überzeugend den verlorenen Jungen spielte. Er war charmant, sexy, liebenswürdig - und gleichzeitig ein totaler Chaot. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich eine Beziehung, ich stellte ihm meine Söhne aus erster Ehe vor, er nahm sie als seine eigenen an. Solange sie klein waren, war er ihnen hie und da noch ein guter Stiefvater, aber ab der Pubertät der Kinder wurde es ein Martyrium. Louis war der Teufel in Person. Trotzdem sollte ich ihn 22 Jahre bis zu seinem Tod nicht mehr verlassen.

Verstehen lässt sich das nur durch meine eigene Kindheit. Nach außen waren wir das Muster einer glücklichen, gutbürgerlichen Schweizer Familie. Doch bei meiner Mutter ging es immer nur um das Bild, das sich die Öffentlichkeit von uns machte. Im Inneren war sie völlig leer. Sie brauchte den Erfolg ihrer vier Kinder, um der Umwelt zu demonstrieren, dass alles in bester Ordnung war. Nur, das war es nicht.

Ich wurde als Kind isoliert. Hausarrest galt als normales Erziehungsmittel. Mein Vater schlug mich regelmäßig wegen irgendwelcher Lappalien: Mit der Hand, mit dem Teppichklopfer und dem Gürtel. Ich wurde in einer Familie voller Bigotterie und Scheinheiligkeit groß. Als mein Vater mich sexuell missbrauchte, deckte meine Mutter seine Taten. Ihm ging es einzig und allein um Macht. Dabei wollte ich nur, dass er mich liebt und sehnte mich nach Anerkennung. Innerlich war ich gebrochen, depressiv und ständig aufgelöst. Nur so lässt sich erklären, warum ich es mit den zwei Männern aushielt, die meine Ehemänner wurden.

Wieder Schläge

Meine Flucht wurde das Ballett. Hier konnte ich mein Potenzial zeigen, mich entwickeln und gedeihen. Ich wurde Tänzerin und lernte meinen ersten Ehemann kennen. Er war 29 Jahre älter als ich. 1982 kam unser erster Sohn, 1986 der zweite. Doch unsere Beziehung wurde bald problematisch. Ich liebte ihn, aber er behandelte mich zusehends wie ein Stück Dreck. Konflikte beendete er schnell mit Schlägen, oft schlicht deshalb, weil ihm meine Antwort nicht passte. Durch ihn erlebte ich erneut Gewalt, Unterdrückung und Erniedrigung. Aber ich blieb bei ihm. Acht Jahre.

Ich dachte lange, die Schläge hätte ich verdient, genau wie bei meinem Vater. Es war eine vorhandene Kerbe, in die mein Mann schlagen konnte. Doch ich fühlte mich immer unwohler. Mein Mann war der Patriarch, Frau und Kinder hatten nichts zu sagen. Als er meine Kinder schlug, verließ ich ihn - und sah nie einen Franken Unterhalt. Um zu überleben, hatte ich drei Jobs.

Louis' verkappte Homosexualität

Dann kam Louis in mein Leben. Er war Alkoholiker und auch er schlug mich bald. Doch ich verzieh immer und immer wieder - und blieb. Ich war blind. Er misshandelte mich über die Jahre so schwer, dass ich mehrfach arbeitsunfähig geschrieben war und bis heute körperlich irreparable Schäden davontrage.

Bereits nach einem Jahr mit ihm war mir eigentlich klar, dass mit ihm etwas nicht stimmte: Immer wieder diese Lügen, das plötzliche Austicken, das Weglaufen und das wieder angekrochen kommen wie ein Häufchen Elend. Trotzdem wurde ich von ihm pathologisch abhängig.

Anfangs konnte ich es mir nicht erklären, erfuhr erst Jahre später, was er hatte: Er entwickelte eine Aidsphobie, ein Wahn mit HIV infiziert zu sein. Louis zeigte Symptome wie im Frühstadium der Krankheit und verfiel einer Aids-Test-Sucht. Zwei bis viermal pro Monat suchte er ein Labor dazu auf. Fast 20 Jahre lang! Doch trotz der regelmäßig entwarnenden Testergebnisse verschlimmerte sich seine Angst von Mal zu Mal.

Es fing damit an, dass er eines Tages behauptete, von einem Drogensüchtigen mit einer Spritze ins Bein gestochen worden zu sein. Als das nach einem Arztbesuch als Lüge aufflog, gestand er mir unter Tränen, von zwei Männern vergewaltigt worden zu sein. Doch selbst daran hatte ich massive Zweifel. Ich bin heute felsenfest davon überzeugt, dass er schlicht und einfach ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einem oder mehreren Männer hatte und danach in Panik geriet.

Atemberaubende Jagd nach der Wahrheit

Ich erfuhr das alles erst 2011 über sein Handy, das er einmal im Auto vergessen hatte. Seine Verbindungsdaten wurden der Auftakt für eine atemberaubende Jagd nach der Wahrheit. Ich rief zwei Personen in seiner Anrufliste an, die sich als Prostituierte herausstellten. Doch Louis stritt alles ab. Ich könne doch nicht unsere Ehe wegen zwei lügender Nutten wegwerfen.

Als Louis im Juni 2012 aufgrund meiner Anzeige wegen häuslicher Gewalt, Drohung und Nötigung in Untersuchungshaft kam, fand ich zudem Downloads und Tausende E-Mails auf seinem Computer. Plötzlich standen mir massenweise Beweise für sein Doppelleben zur Verfügung. Jahrelang hatte er Kokain und Heroin konsumiert und er hatte sich ausführlich mit Coming-out-Ratgeber-Geschichten von anderen beschäftigt. Aber unter den Dateien waren auch seine Kommunikation mit verschiedenen transsexuellen Sexarbeitern und Dutzende Fotos von Strichern. Ich konfrontierte Louis mit meinem Fund. Doch wieder stritt er alles ab.

Er fühlte sich zu Männern hingezogen, verleugnete dies und bewies sich mit promiskuitiver Sexualität mit heterosexuellen Partnern, dass er nicht schwul war. Louis nutzte auch ständig die Dienste von Prostituierten, um vor sich die Wahrheit nicht eingestehen zu müssen.

Er hielt sich 15 Jahre eine Zweitfrau warm, führte nebenbei weitere Parallelbeziehungen, mit Frauen und Männern. Aber keine Beziehung oder Sex-Affäre sättigte ihn. Er hatte seinen Vater früh verloren, gestand mir eines Tages seine Angst, abermals verlassen zu werden. Er sammelte quasi Beziehungen, um seiner Angst zu begegnen. Aber das musste mir erst viel später ein Psychologe erklären. Louis nannte Huren sündig und von Gott gelöst.

Trotz seiner gleichgeschlechtlichen Neigung äußerte er sich abfällig gegenüber offen Homosexuellen, deklarierte Schwule als Abschaum. Ich denke, das ist der große Unterschied zu einem bisexuellen Mann, der dazu steht, es lebt und sich dabei wohl fühlt. Mein Mann jedoch war verkappt homosexuell, was sich dann in einer nach außen stark formulierten Homophobie äußerte. Die Opfer waren meine Söhne und ich. Ganz schlimm griff er etwa meinen Sohn an, der zu seiner Homosexualität früh stand: Schwanzlutscher, Homozwerg, Arschficker, Muttersöhnchen, so beschimpfte er ihn.

Das Ende

Ich war es nicht gewöhnt, Hilfe von anderen zu suchen, geschweige denn anzunehmen. Ich war jahrelang total isoliert, wahrte nach außen mein Gesicht und vertuschte die Misshandlungen meines Mannes. Ich hatte nur meine Kinder. Erst spät wandte ich mich an einen Psychologen.

Ich musste mir eingestehen, dass ich einen Täter, einen Psychopathen, geliebt habe. Irgendwann war ich für ihn kein Mensch mehr, keine Frau, ich war ein Stück Lumpen. Doch Louis genoss meinen Verfall. Er war ein Seelenmörder. Ich bin mir sicher, dass er nicht aufgehört hätte, mich zu quälen, bis ich zu Grunde gegangen wäre. Er verspürte Lust dran. Durch mein Leid hat er sich größer gemacht, es war sein Lebenselixier. Als ich ging und ihn anzeigte, brachte er sich wenige Monate später um. Bei der Polizei gab ich an, dies sei in einem Aidsphobie-Wahn geschehen.

Louis verstarb mit 50 Jahren - und hinterließ mir und meinen Söhnen einen Berg Schulden. Ich geriet in existenzielle Not und benötige noch Jahre, um diese zu begleichen.

Manche Dinge kann man wohl nicht erklären. Eine gesund entwickelte Frau, die keine Ausbeutung in ihrer Kindheit erlebt hat, kommt nie an so einen Täter. Zumindest hält sie es nicht 22 Jahre mit ihm aus. Hätte ich den Absprung schaffen können? Ja, weil mir die Dateien vorlagen, die zeigten, wie er mich über Jahre ausbeutete und mich eiskalt anlog.

Heute schaue ich mir Menschen anders an, bin skeptischer geworden. Aufstehen, standhaft bleiben, nach vorne schauen, weitergehen. Darum geht es. Es gibt Hilfe und es gibt Therapieformen, die anschlagen. Und heute bin ich davon überzeugt, dass viele Frauen aus der Opferrolle aussteigen könnten, wenn sie verstehen würden, dass sie mehr Macht haben als der Täter."

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Daniela Thole Camenzind, 54, lebt in Zürich und betreibt heute eine Kosmetikfirma. Auf www.facebook.com/heywhataboutus will sie Betroffenen Handlungsoptionen aufzeigen, ihre Opferrolle zu verlassen. Sie hat im Eigenverlag ein Buch über ihr Leben veröffentlicht, das bei Amazon erhältlich ist: "Ausgetanzt. Mein Leben zwischen Himmel und Hölle."

Überleben

Wir veröffentlichen an dieser Stelle in loser Folge Gesprächsprotokolle unter dem Label "ÜberLeben". Sie handeln von Brüchen, Schicksalen, tiefen Erlebnissen. Menschen erzählen von einschneidenden Erlebnissen. Wieso brechen die einen zusammen, während andere mit schweren Problemen klarkommen? Wie geht Überlebenskunst? Alle Geschichten finden Sie hier. Wenn Sie selbst Ihre erzählen wollen, dann schreiben Sie eine E-Mail an: ueberleben@sz.de

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