Die Deutschen in der Krise:Rückzug ins Private

Warum demonstriert kaum einer in Zeiten der Wirtschaftskrise? Ein Psychiater über die Stimmung der Deutschen - die gar nicht so schlecht ist.

Titus Arnu

Fritz Simon, Arzt, Psychiater und Professor für Führung und Organisation an der Universität Witten-Herdecke, befasst sich mit der Frage, wie es kommt, dass Menschengruppen stets einen gemeinsamen Nenner suchen. Während bei der Fußball-WM 2006 allgemeine Lebensfreude in Deutschland aufkam, hat die derzeitige Wirtschaftskrise noch keine eindeutige Gesamtwirkung auf die Bevölkerung. Ein Gespräch mit dem Berliner Forscher über Massenpsychologie, Feindbilder und die Gemütslage der deutschen Seele.

Rückzug ins Private

Nur keine Panik: Die Deutschen lassen sich von der Krise die Stimmung nicht verderben - und haben überhaupt keine Lust aufs Demonstrieren. Sie machen es sich lieber zu Hause gemütlich.

(Foto: Foto: zettberlin_photocase; istock; Montage: sueddeutsche.de)

SZ: Wie schätzen Sie die derzeitige Stimmungslage in Deutschland ein?

Fritz Simon: Die Stimmung ist meiner Meinung nach erstaunlich gut. Der Konsum ist nicht zurückgegangen, der Handel sucht Verkäufer und Verkäuferinnen, die Abwrackprämie hat viele Leute dazu verführt, sich ein neues Auto zu gönnen - und das fördert erfahrungsgemäß immer die gute Laune. Eigentlich scheint mir - wenn man die objektiven Daten zur Wirtschaftslage betrachtet - die Stimmung viel zu gut.

SZ: Bei der Fußball-WM 2006 war alle Welt überrascht, wie euphorisch die angeblich so mies gelaunten Deutschen sein können. Ist zu erwarten, dass die Deutschen jetzt wieder ihrem Ruf als Miesepeter gerecht werden und für die nächsten Jahre in kollektive Depression verfallen?

Simon: Die Wirtschaftskrise ist zwar bei den Aktionären angekommen - und da kenne ich viele, die depressiv reagieren. Aber die Bezieher von Durchschnittseinkommen leiden darunter nicht so sehr, da sie in der Regel nicht über größere Portfolios verfügen.

SZ: Heißt das, die Krise wird nicht so ernst genommen?

Simon: Ja. Ich glaube, die Krise wird auch deshalb nicht so ernst genommen, weil wir bis kurz vor der letzten Bundestagswahl in den Medien so viel über die angeblich so katastrophale Lage der deutschen Wirtschaft gehört und gelesen haben. Aber schon kurz nach der Wahl sprach interessanterweise keiner mehr davon. Es ist eine Frage der verlorenen Glaubwürdigkeit: Wenn damals trotz aller Weltuntergangs-Prophezeihungen innerhalb weniger Wochen alles wieder in Butter war, dann braucht man sich, so scheint es, heute auch keine Sorgen zu machen.

SZ: Warum kommt es angesichts der globalen Wirtschaftskrise nicht zu großen Demonstrationen in Deutschland?

Simon: Man demonstriert nur, wenn man sich davon eine politische Wirkung erhofft, aber nicht gegen das schlechte Wetter oder Naturkatastrophen. Von der gegenwärtigen Krise waren fast alle überrascht. Die Schuld scheint eher einem Fehler des Systems zugeschrieben werden zu müssen, nämlich mangelnder Regulierung, als irgendwelchen Bösewichtern - auch nicht gierigen Bankern. Selbst wenn man sich einig wäre, dass die Banker schuld waren, würden Demonstrationen jetzt auch nichts mehr helfen.

SZ: Sind die Deutschen demonstrationsfaul geworden?

Simon: Die Deutschen demonstrieren generell nicht so gern, schon gar nicht, wenn sie sich davon keine konkreten Wirkungen versprechen. Sie denken eben ziemlich ökonomisch und stellen auch im Blick auf Demonstrationen Kosten-Nutzen-Rechnungen an.

SZ: Taugen Wirtschaftsführer nicht so gut als Feindbilder?

Simon: Feindbilder bedürfen wie auch die Heldenverehrung der Idealisierung. Damit tun wir uns in Deutschland - Gott sei Dank - schwerer als in früheren Phasen unserer Geschichte. Übrigens auch schwerer als in den USA oder in England.

SZ: Was ist mit Managern, die größtenteils trotz der Krise immer noch Millionengehälter und fette Boni einstreichen? Sind das keine guten Zielscheiben?

Simon: Doch, Josef Ackermann etwa hat vorübergehend als Feindbild gedient. Aber er ist auf Dauer nicht so geeignet, da er als biederer Schweizer nicht richtig dämonisiert werden kann.

SZ: In England wird Spitzenmanagern inzwischen geraten, nicht mehr im Nadelstreifenanzug auf die Straße zu gehen, in Frankreich sind gerade Firmenchefs von Arbeitern als Geiseln genommen worden.

Simon: Dass nun einzelne Personen als Schuldige identifiziert und sogar als Geisel genommen werden, hat damit zu tun, dass Menschen generell zu Personalisierungen neigen, und wenn sie sich als Opfer sehen, brauchen sie irgendjemanden, den sie dafür verantwortlich machen können. Das gibt uns das Gefühl, irgendetwas tun zu können und Kontrolle über die Situation zu gewinnen. Allerdings trifft es die vermeintlichen Schuldigen in diesem Fall nicht ganz zu Unrecht. Denn jahrelang haben sie den Heldenmythos des Managements gepflegt. "Leistung muss honoriert werden", das war das Argument für exorbitante Managergehälter. Aber der Erfolg eines Unternehmens ist nie einer einzelnen Person zuzuschreiben. Dafür sind Unternehmen zu komplexe Systeme.

SZ: Im Vergleich mit anderen Ländern wird hierzulande weniger protestiert - sind die Deutschen lethargischer?

Simon: Es stellt sich die Frage: Gegen wen demonstrieren? Wir erleben unsere Regierung nicht so schnell als feindlich. Auch jetzt zeigt sie sich ja bemüht, verschenkt Geld für neue Autos. Warum sollte man da demonstrieren? Die Lethargie wird durch großen Eifer ersetzt, wenn es darum geht, die Abwrackprämie zu beantragen. Die Hoffnung, durch kollektive Aktionen Wirkung zu erzielen, scheint mir in Deutschland nicht sehr groß. Wir suchen eher individuell nach Lösungen, auch wenn wir mit gesellschaftlich bedingten Problemen konfrontiert ist.

SZ: Sind die Menschen egoistischer geworden?

Simon: Egoistischer wohl nicht. Aber vielleicht privatistischer. Es gibt einen Rückzug ins Private. Die Menschen versuchen, ihre individuellen Sorgen zu bewältigen und für das ökonomische Überleben ihrer Familien zu sorgen. Sie verlassen sich mehr auf sich selbst als auf den Staat.

SZ: Was müsste noch passieren, damit die Leute auf die Straße gehen?

Simon: Ich glaube nicht, dass wir das erleben werden. Es sei denn, wir bekommen eine Massenarbeitslosigkeit wie in der Weltwirtschaftskrise.

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