Design aus Schweden: Bruno Mathsson:Der Herr der Stühle

Auf der Suche nach der perfekten Sitzgelegenheit zelebrierte der Designer und Architekt Bruno Mathsson schon vor 60 Jahren zwei Dinge: ergonomisches Design und "Power Napping".

Judith Hammer

Die Nachmittagssonne fällt auf geschwungenes Birkenholz und geflochtene Sattelgurte: Eva, Miranda und Pernilla locken mit ihren organischen Formen und versprechen bequemes Sitzen. Die Stühle im Bruno Mathsson Center in Värnamo/Südschweden könnten von einem jungen, unbekannten Designer eines schwedischen Möbelkonzerns stammen. Doch der Mann, der sie entwarf, hieß Bruno Mathsson (1907-1988), und er tat es vor mehr als 60 Jahren.

Bruno Mathsson

Ruhesessel Miranda - ein Klassiker von Bruno Mathsson.

(Foto: Foto: Judith Hammer)

Der Schwede gilt als einer der bedeutendsten Designer und Architekten seines Landes. Seine Werke vertreten nicht nur im landeseigenen Nationalmuseum die Schwedische Moderne, sie stehen auch im Museum of Modern Art in New York.

Seit 25 Jahren fördert die Bruno-Mathsson-Stiftung innovative nordische Designer, wie die Dänin Louise Campbell, den Finnen Ilkka Suppanen oder die norwegische Designergruppe Norway Says. Jedes Jahr am 20. September verleiht die Stiftung den Bruno-Mathsson-Preis. Diesmal erhält Anna Kraitz die begehrte Auszeichnung, und zwar für "Formen, angepasst an das physische Wohlbehagen" - dem wichtigsten Grundsatz von Mathsson.

Nach der Laudatio zu urteilen ist Anna Kraitz eine Frau, die "ihren eigenen Weg mit starker künstlerischer Intuition" geht. Die 35-Jährige, die in Stockholm und Budapest studierte, wünscht sich aber auch für ihre Kreationen einen ganz eigenen Weg: "Ich möchte, dass meine Dinge ihren Platz einfordern, im Interieur wie in Situationen, gerade so, als ob es Individuen mit unterschiedlichen Ansichten wären. Sie sollen ihre eigene Geschichte haben und zu denen, die sie nutzen, sprechen", sagt die Stockholmerin.

Innovatives nordisches Design, das erwartet den Besucher auch im Bruno Mathsson Center. Für die leichten, klaren Möbel, die hier stehen und heute für viele den schwedischen Stil verkörpern, brach Bruno Mathsson in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts mit der Tradition.

Der Autodidakt

Gegenüber der gläsernen Ausstellungshalle in Småland steht ein großes weißes Holzhaus, sein Elternhaus. "Bruno lebte bei seinen Eltern, bis er über 30 war, das war selten damals", erzählt die Museumsführerin. "Er wartete eben, bis er die Richtige fand." Klingt nach jemandem, der keine halben Sachen macht. Die Schule soll ihn nicht besonders interessiert haben. Also verließ er sie mit 16 Jahren und arbeitete in der Schreinerei seines Vaters. "Karl Mathsson, Möbelsnickeri" steht auf dem Emailleschild an der Tür, hier setzte Mathsson die Familientradition fort, als Schreiner in der fünften Generation. Doch nicht nur das alte Handwerk faszinierte ihn - es war vor allem die Möglichkeit, damit etwas Neues zu erschaffen.

Neugierig verschlang er aktuelle Fachzeitschriften und Bücher über Design und Holzverarbeitung. 1930 stellte er seinen ersten eigenen Entwurf aus und gewann auf Anhieb ein Stipendium für den Besuch der Stockholmer Ausstellung für Architektur und Design. Diese Ausstellung, so schreibt er später, beeindruckte ihn nachhaltig und habe ihn vom Stildenken befreit. Architektur, Einrichtung und Möbelkunst seien dort für ihn zu einer Einheit geworden. In einem Interview mit dem Svenska Dagbladet sagt er 1940 über sich selbst: "Ich schäme mich nicht, zu sagen, dass ich vollständiger Autodidakt bin, keine höhere Schulbildung habe (...). Aber wenigstens beherrsche ich etwas, das die meisten Möbeldesigner nicht gelernt haben: Das Schreinerhandwerk."

Die Suche nach dem perfekten Sitz

Mit der Ausstellung in Stockholm hielt der Funktionalismus Einzug in Schweden und im traditionsbewussten Småland. Doch Bruno Mathsson wollte mehr. "Bequemes Sitzen ist eine Kunst, was es nicht sein sollte", hat Mathsson einmal über Sitzmöbel gesagt. Vielmehr solle die Fertigung von Sitzmöbeln mit solcher "Kunst" geschehen, "dass es keine 'Kunst' ist, in ihnen zu sitzen". Sein Leben lang beschäftigte ihn die Frage, wie der Mensch am besten sitzt, dazu experimentierte er mit verschiedenen Werkstoffen und Formen. Das erste sichtbare Ergebnis war Gräshoppan, ein Stuhl, den Mathsson 1931 für das Krankenhaus in Värnamo entwarf. Leider fand das Personal die "Heuschrecke" so scheußlich, dass es sie auf den Speicher verbannte. Damals hatte man noch nicht viel übrig für durchscheinendes Sattelgurtgeflecht und Beine aus heller Birke und Buche, sondern wollte gediegene Polstermöbel.

Für Mathsson hingegen zählte etwas anderes: dass die Sitzkurve optimal berechnet war. Um hinter das Geheimnis der perfekten Sitzposition zu kommen, forderte er verschiedene Personen auf, sich in den Schnee zu setzen und studierte die Abdrücke ihrer Hintern. Flexibel und stabil zugleich sollten seine Stühle sein, und die Form der Wirbelsäule unterstützen, das zeigen bereits die allerersten Modelle. In den siebziger Jahren entwickelte Mathsson den Stuhl Support, der den Rücken besonders bei der Arbeit - in der Werkstatt oder am Schreibtisch - unterstützen sollte. Längst hat die Möbelindustrie für diesen Ansatz einen festen Begriff: ergonomisches Design.

Durchbruch mit einer Schlafliege

Mathssons ehemaliges Atelier steht im Garten hinter dem Haus. Es ist nur ein Raum mit Oberlicht und einer Glasfront. Darin steht der Zeichentisch des Designers, davor der Arbeitsstuhl Eva, dessen erste Version 1934 entstand. Das Atelier sieht übersichtlich aus; es ist der Arbeitsplatz von jemandem, der sich auf das Wesentliche konzentriert. Vertraute sagen über ihn, er arbeitete immer nur an einem Projekt. Das könnte das Erfolgsrezept des vielseitigen Schweden gewesen sein.

Eine weitere Regel auf die er schwor: jeden Mittag eine Ruhepause. Auch dafür hat die moderne Arbeitswelt inzwischen einen gängigen Ausdruck gefunden - "Power-Napping". Seinen täglichen Kurzschlaf vollzog der Künstler am liebsten auf seiner eigenen Schöpfung, dem Tagesbett Paris, das auf der Pariser Weltausstellung 1937 nicht nur einen Preis, sonder auch gleich den Namen der französischen Hauptstadt erhielt. Diese Weltausstellung brachte Bruno Mathsson den internationalen Durchbruch: Der renommierteste Auftraggeber war das Museum of Modern Art in New York, das 1939 Arbeitsstühle bei ihm bestellte.

Die Entdeckung der Architektur

Die Schwedische Moderne, ein sanfterer Funktionalismus, entstand in den vierziger Jahren und fand zuerst in Europa und dann in den USA immer mehr Anhänger. Aber Mathsson, der gelernte Schreiner, beschränkte sich nicht auf Möbel und Inneneinrichtung. Es war die Einheit von Inneneinrichtung und Gebäude, die ihn faszinierte, die Ideen von Walter Gropius (1883-1969) und Alexander Klein (1879-1961) weckten sein Interesse für die neuen Wege der Architektur: Helle, großzügige Räume, angepasst an die Bedürfnisse der Menschen sollten es sein.

Bruno Mathsson reiste nach dem Ende des Krieges in die USA und traf dort Architekten und Designer wie Walter Gropius, Charles und Ray Eames und Marcel Breuer. Nachdem er bereits in den vierziger Jahren damit begonnen hatte, Häuser zu entwerfen, machte er nun - nach seiner Rückkehr - damit weiter. Die Ausstellungshalle in Värnamo ist ein Mathsson-Original: Riesige Glasflächen statt Fenstern, nur eine Wand ist aus Stein. Der Wohnraum scheint in den Garten überzugehen, gleich neben dem Zeitschriftenständer beginnt der gepflegte Rasen.

Mathssons Vision war, Wohnraum mit Natur zu verbinden, durch Häuser aus Glas eine Einheit zu schaffen. Dafür entwickelt er eigens die dreischichtige Glasverbindung Brunopane, die Wärme speichert und isoliert. Doch mit seinen Häusern, die derart viel Einblick gewährten, stieß er mitunter bei Nachbarn und Behörden auf Kritik.

Um seine Ideen umzusetzen, bediente sich der Autodidakt nach Bedarf bei Kunst, Architektur und Design. Doch er setzte sie nicht nur um, er behauptete sich auch: "Bruno Mathsson wusste, was er wollte und setzte es auch gegen Widerstände durch", liest man über ihn. Man könnte aber auch sagen, er war eigensinnig und stur. Dasselbe weiß man auch von Astrid Lindgren und Carl von Linné. Ob das typisch für die Menschen in Småland ist? Die Antwort eines Landsmannes fällt diplomatisch aus: "Hier in Småland gab es eben nicht immer das, was wir wollten - so haben wir uns unsere eigenen Wege gesucht, um es zu bekommen."

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