Mythen in Schottland:Hugos Zauberbirne

Mythen in Schottland: Schauplatz einer sagenhaften Koboldarmee: die Ruinen von Yester Castle.

Schauplatz einer sagenhaften Koboldarmee: die Ruinen von Yester Castle.

(Foto: mauritius images)

Im schottischen Yester Castle lebte im Mittelalter angeblich ein Magier, der seiner Tochter ein zweifelhaftes Geschenk machte. Die Nachkommen sollen mächtig viel Ärger damit gehabt haben.

Von Sofia Glasl

Birnen sind ein seltsames Hochzeitsgeschenk. Doch wenn der Brautvater gerade knapp bei Kasse ist, tut es auch ein Stück Obst. Der gute Wille zählt. Dass die Frucht jedoch nicht verzehrt, sondern in einem Silberkästchen aufbewahrt werden solle, um der neu gegründeten Familie Glück und Wohlstand zu schenken, klingt eher mysteriös.

Margaret de Giffard hat sich vermutlich bei ihrer Hochzeit mit Sir George Broun gewundert, als ihr Vater, Hugo de Giffard, ihr eine Birne mit ebenjener Gebrauchsanweisung überreichte.

Dies trug sich Ende des 13. Jahrhunderts in Yester Castle zu, vierzig Kilometer östlich von Edinburgh. Hugo de Giffard stammte aus einer normannischen Familie, die um 1139 nach East Lothian an der englischen Grenze gekommen war. Unter König William dem Löwen war de Giffards Vorfahre, ebenfalls Hugo, in den Adelsstand erhoben und etwas Land zugesprochen worden.

Die Bevölkerung fürchtete sich vor Monstern, die aus dem Keller krochen

Darauf baute er Yester Castle und gründete eine Familie, Hugo jr. wurde 1225 auf der Burg geboren. Später baute er die Burg weiter aus und ließ einen unterirdischen Saal errichten, der im Volksmund als "Goblin Hall" bekannt war, als Saal der Kobolde. Denn Hugo de Giffard wurde auch der "Wizard of Yester" genannt, der Zauberer von Yester. Das erklärt auch die unkonventionelle Wahl für die Mitgift seiner Tochter.

Hugos Ruf als dunkler Magier und die Vorstellung, er sei einen Pakt mit dem Teufel eingegangen, hatte das Gerücht ins Leben gerufen, er könne eine ganze Koboldarmee heraufbeschwören, die auch ebenjene unterirdischen Hallen gebaut haben soll.

Heute geht man davon aus, dass damals Sklaven aus Südeuropa oder Nordafrika ins Land gebracht worden waren und deren dunklerer Teint der einfachen Landbevölkerung Angst einjagte. Auch die Frischwasserquelle im Kellerbereich wurde später mit Steinen und Geröll zugeschüttet, da die Bevölkerung sich vor Zauberwesen und Monstern fürchtete, die angeblich aus der Quelle heraufzukriechen drohten.

Weshalb Hugo de Giffard übernatürliche Kräfte zugeschrieben wurden, ist nicht klar. Man kann jedoch davon ausgehen, dass er sich für Natur- und Geisteswissenschaften interessierte. Hugos Zeitgenosse Michael Scot etwa gilt auch heute noch als einer der wichtigsten Intellektuellen des Mittelalters, jedoch nannte Dante Alighieri ihn in seiner "Göttlichen Komödie" einen Zauberer.

Wie Michael Scot wurde auch Hugo de Giffard in einer der Balladen des Schriftstellers Sir Walter Scott als Wahrsager bezeichnet. In "Marmion" (1808) besucht der schottische König Alexander III. ihn vor einer wichtigen Schlacht gegen die Dänen und bittet um eine Prophezeiung. Hugos Ruf als Zauberer hielt sich also über mehrere Jahrhunderte hinweg.

Die Burg ging im 14. Jahrhundert durch Heirat an den Hay-Clan, der sie durch die schottischen Unabhängigkeitskriege hindurch immer wieder verteidigen und mit Mauern aufrüsten musste. Von einem Eingriff der Koboldarmee gibt es zwar keine Berichte, doch wird immer wieder betont, dass die Burg sehr widerstandsfähig war - zumindest geschickte Baumeister müssten die Giffards und Hays gewesen sein.

Mitte des 16. Jahrhunderts wurde der Burgherr John Hay in der Schlacht von Pinkie von den Engländern gefangen genommen und in den Londoner Tower geworfen. Wenig später verließen die Hays die Burg und zogen in ein anderes Anwesen in der Nähe.

Yester Castle verfiel zusehends, die Bevölkerung nahm die Steine als Baumaterial für ihre Häuser. Heute sind nur noch Reste des Turms und des Gemäuers erhalten, doch die unterirdische Goblin Hall ist wie durch Zauberhand beinahe unversehrt.

Wer die Burg besichtigen will, muss sich durch undurchdringliches Dickicht schlagen, wie in einem Dornröschenschlaf liegt sie verschluckt vom umliegenden Wald. Augenzeugen berichten von einer dunklen Präsenz und im Wind wehenden Gesängen und schreiben diese den Kobolden zu, die heute noch die Goblin Hall bewachen sollen.

Ein fataler Biss

Und die Birne? Sie ging als "The Coulston Pear", die Birne von Coulston, dem Wohnsitz der Brouns, in die Mythologie ein und wurde unangetastet von Generation zu Generation weitergegeben. Doch das änderte sich im Jahr 1692. Als George Brouns Nachfahre, wiederum ein George, seine bereits schwangere Verlobte Lady Elizabeth Mackenzie heiratete, öffnete die hungrige Braut das Silberkästchen.

Der Sage nach fand sie die nun bald 400 Jahre alte Birne unversehrt und frisch darin vor. Sie biss herzhaft hinein, woraufhin die Frucht angeblich sofort zusammenschrumpelte und steinhart wurde. Im Nu brach Unglück über die Familie herein: George musste das Familienanwesen Coulston House wegen Spielschulden an seinen Bruder verkaufen, der wurde kurz darauf mit seinen Söhnen in einer Kutsche von einer Springflut davongeschwemmt und ertrank.

War die Birne verzaubert? Das Familienerbe hatte sich jedenfalls nach dem Rückschlag wieder erholt, die Brouns konnten in Coulston House bleiben. Angeblich befindet sich das Trockenobst immer noch in Familienbesitz, sicher ist sicher. Der jetzige Hausherr Ludovic Broun-Lindsay verwahrt das Silberkästchen im Geheimen, hat jedoch mehrere Reproduktionen im Haus verteilt und gibt freudig Auskunft über seine verschrobenen Vorfahren.

Der kinderlose Witwer hat in dem Herrenhaus neben einem kleinen Bed and Breakfast eine Kochschule eingerichtet. Hochzeitsgesellschaften können das Anwesen mieten. Noch heute werden bei den Festmahlen gerne Birnen gereicht - garantiert unverzaubert.

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