Dem Geheimnis auf der Spur:Geistergleise

SUBWAY

Ein Palast unter der Erde: der verlassene U-Bahnhof City Hall Station.

(Foto: Ruby Washington/NYT/Redux/laif)

In der New Yorker U-Bahn gibt es mysteriöse Bahnhöfe, die es gar nicht gibt - und geheime Tunnel, die nur Präsidenten benutzen dürfen.

Von Sofia Glasl

Hexen und Zauberer müssen am Bahnhof King's Cross in London nur entschlossen genug auf die Wand zwischen den Bahnsteigen neun und zehn zulaufen und krachen dann eben nicht gegen die Ziegel, sondern gelangen durch ein Portal auf den Bahnsteig neundreiviertel. Von dort aus fährt der Hogwartsexpress Harry Potter und seine Kommilitonen nonstop zur Schule für Hexerei und Zauberei. Der Zug ist eine Zeitmaschine in eine magische Parallelwelt. Wer hat sich nicht schon einmal gewünscht, an einen solchen Ort zu entfliehen?

Nicht nur in fantastischen Geschichten, auch in der Realität gibt es verborgene Bahnsteige, die nicht öffentlich zugänglich sind und deshalb von einer geheimnisvollen Aura umgeben sind. Das können Geisterbahnsteige sein, also Gleise, die nicht mehr in Betrieb sind, oder Geheimstationen, die nur bestimmten Personen vorbehalten sind.

Nach der Endhaltestelle passiert der Zug in der Wendeschleife ein prächtig gekacheltes Gewölbe

Mit der New Yorker U-Bahnlinie 6, die zwischen der Bronx und der Brooklyn Bridge verkehrt, gelangt man zum Beispiel auch heute noch zu einem der prachtvollsten Geisterbahnhöfe der Stadt: Unter dem Rathaus liegt die City Hall Station, 1904 als Vorzeigebahnhof der ersten U-Bahnlinie erbaut. Bleibt man nach der Endhaltestelle einfach sitzen, passiert man mit dem Zug in der Wendeschleife ein prächtiges, bunt gekacheltes Gewölbe. Durch verglaste Dachfenster in den Kuppeln flutet das Tageslicht hinein. Alte gusseiserne Leuchter lassen das einstige Glitzern der Wände, die auch heute noch makellos erhalten sind, bei abendlicher Beleuchtung erahnen. Wie eine Zeitreise in das vergangene Jahrhundert fühlt sich diese kurze Fahrt an. Angesichts der sonst so zweckmäßigen und schmuddeligen U-Bahnhöfe in der Millionenstadt kann man kaum glauben, immer noch in New York zu sein. Kurz wähnt man sich in der mondänen Vorhalle eines Grand Hotels oder eben in Hogwarts.

Der Bahnhof wurde 1945 stillgelegt, als steigende Fahrgastzahlen längere Züge und somit auch längere Bahnsteige erforderten. Die Modernisierungsmaßnahmen wären zu kompliziert gewesen. Die Haltestelle wurde kurzerhand mit der Brooklyn Bridge Station zusammengelegt, deren Bahnsteig auch heute noch genutzt wird. In unregelmäßigen Abständen veranstaltet das New York Transit Museum geführte Touren durch die Station.

Es ist nicht der einzige geheimnisvolle Abschnitt der Bahn in der Metropole. Um den Old Atlantic Avenue Subway Tunnel in Brooklyn, den weltweit ersten unterirdischen Tunnel für Zugverkehr, rankten sich von Beginn an Gruselgeschichten. Beim Bau soll ein irischer Arbeiter vor Erschöpfung gestorben und in eine Wand eingemauert worden sein. Als der Betrieb 1861 wieder eingestellt wurde, mehrten sich die Schauergeschichten. 1893 erschien in der New York Times eine Schauergeschichte, die von Piraten erzählt, die den Tunnel einst für Schmuggelei nutzten. Echte Fundstücke zeugen von illegalen Destillerien, in denen heimlich Schnaps gebrannt wurde zur Vermeidung der Alkoholsteuer. Zeitungsberichte von herumlungernden Gangs und der damalige schlechte Ruf der Gegend machten diese mysteriösen Geschichten noch glaubhafter.

Der Horrorautor H. P. Lovecraft erzählte in seiner 1925 veröffentlichten Shortstory "Horror At Red Hook" von Vampiren in den Katakomben um den Bahntunnel. Die Bezeichnung "Geisterbahnhof" bekommt da gleich eine beunruhigende zweite Bedeutung. Die Polizei und sogar das FBI öffneten den mittlerweile zugeschütteten Tunnel über die Jahrzehnte immer wieder, um den Gerüchten nachzugehen. Beweise wurden aber nie gefunden. 1980 wurde er wiederentdeckt und kurzfristig für Führungen geöffnet. Seit 1989 ist er denkmalgeschützt und somit wieder das perfekte Setting für Räuberpistolen und Schauermärchen.

Einer der sagenumwobensten Orte der Stadt befindet sich direkt am Grand Central Terminal, einem der größten Bahnhöfe der Welt. 67 Gleise führen hierhin, eines erscheint jedoch nie auf den Anzeigetafeln: Gleis 61 endet direkt unterhalb des Luxushotels Waldorf Astoria, ein paar Blocks die Straße hinauf. Das frühere Abstellgleis diente nach dem Bau des Hotels 1929 angeblich als Privatzugang für VIPs. Die New York Times berichtete im September 1929, dass jeder, der über einen eigenen Eisenbahnwagen verfüge, direkt im Untergeschoss des Hotels parken und unbeobachtet in die Lobby gelangen könne. Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt soll so 1944 das Hotel betreten haben, um seine Lähmung zu vertuschen. Und Andy Warhol soll hier 1965 eine legendäre Party veranstaltet haben, belegt ist das allerdings nur dürftig. Angeblich ist das Gleis auch heute noch als Notausgang in Betrieb, wenn Präsidenten im Hotel residieren.

Im Jahr 2003 untersuchte der Vorsitzende der New Yorker Metropolitan Transportation Authority die Gleise unterhalb des Astoria - und er war sehr überrascht als ihn plötzlich bis an die Zähne bewaffnete Männer in schwarzen Anzügen aufhielten. Es stellte sich heraus, dass Präsident George W. Bush zu dieser Zeit wegen einer Versammlung der UN in dem Hotel wohnte und der Secret Service das Bahngleis für den Notfall absicherte. Eine Diesellok für eine etwaige schnelle Flucht habe bereitgestanden. Diese urbane Legende lässt sich wild fortspinnen - von Geheimagenten im Format eines James Bond, von Schmuckdieben und heimlichen Liebschaften, von unterirdischen Verfolgungsjagden und Schießereien. Im Film "The Amazing Spider-Man 2" von 2014 ist hier ein verstecktes Labor angesiedelt. Der Codename: Roosevelt.

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