Dem Geheimnis auf der Spur:Das Ende des Seidenkönigs

Dem Geheimnis auf der Spur: Playboy, Geheimagent, Seidenproduzent, Kunstsammler: Jim Thompson führte ein glamouröses Leben, bis er sich scheinbar in Luft auflöste.

Playboy, Geheimagent, Seidenproduzent, Kunstsammler: Jim Thompson führte ein glamouröses Leben, bis er sich scheinbar in Luft auflöste.

(Foto: privat)

Der amerikanische Geschäftsmann und Agent Jim Thompson verschwand 1967 spurlos in Asien. Seitdem wird spekuliert, was damals wirklich geschah: Wurde er etwa von Geheimdiensten entführt und ermordet?

Von Michael Winter

Das Jim-Thompson-Anwesen liegt mitten im Verkehrsmoloch Bangkok - und ist trotzdem ein Ort unglaublicher Ruhe. Das Ensemble aus alten, nordthailändischen Teakholzhäusern ist in einem kleinen tropischen Urwald in der thailändischen Millionenstadt versteckt. Es beherbergt heute ein Museum, das die ungewöhnliche Geschichte des ehemaligen Besitzers erzählt, der diese Häuser 1959 eigens wieder zusammensetzen ließ. Im Hauptgebäude befindet sich eine der kostbarsten südostasiatischen Kunstsammlungen. Über dem alten Schreibtisch von Thompson hängen zwei gerahmte Horoskope. Eines prophezeit ein Unglück, das demjenigen im Alter von 61 Jahren zustoßen wird, der im Jahr des Pferdes geboren wurde. Thompson wurde 1906 geboren, im Jahr des Pferdes - und verschwand 1967 spurlos, mit 61 Jahren.

James Harrison Wilson Thompson, genannt Jim, war nach dem Zweiten Weltkrieg der wohl bekannteste Amerikaner in Südostasien. Er wuchs in Greenville auf, einem Villenvorort von Wilmington, Delaware. Sein Vater war ein erfolgreicher Textilfabrikant. Thompson studierte Architektur in Princeton, arbeitete zwischen 1932 und 1940 auch als Architekt für eine New Yorker Firma, schloss sein Studium aber nie ab. Der attraktive Mann führte das Leben eines Playboys und wurde schließlich Direktor der "Monte Carlo Ballet Company", der Vorgängerin des "New York City Ballet".

Der frühere Playboy machte Seide aus Thailand wieder zur weltweit begehrten Marke

Als die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten, ließ er sein altes Leben hinter sich und heuerte beim Militär an. Er absolvierte Überlebenstrainings im Dschungel und schloss sich dem neu gegründeten amerikanischen Geheimdienst OSS an, dem Vorgänger der CIA, dessen Chef ein Bekannter seines Vaters war. Gerade als Thompson auf dem Weg hinter die japanische Front in Kambodscha war, kapitulierte Japan, und er wurde in Bangkok zum Leiter des örtlichen OSS-Büros ernannt.

Thompson war fasziniert von dem südostasiatischen Land, quittierte bald den Dienst und baute als einer der Direktoren das legendäre, aber verwahrloste Oriental Hotel wieder auf. Zu dieser Zeit hatte Thailand seine traditionsreiche Produktion hochwertiger Seide so gut wie aufgegeben und importierte lieber billige Seide aus anderen Ländern. Thompson begann von 1947 an die vernachlässigte Herstellung wiederzubeleben, verbesserte die Qualität der Stoffe und der Färbemittel und machte die Thai-Seide durch geschicktes Marketing zur Weltmarke.

Ob er je aufgehört hat, den US-Geheimdiensten Informationen zu liefern, konnte auch anhand der kürzlich freigegebenen OSS-Archive nicht geklärt werden. In seinem Haus gab er fast jeden Abend Partys mit Gästen aus der Bangkoker High Society und Stars wie Katharine Hepburn, Truman Capote oder Elizabeth Taylor. Doch nicht alle gönnten ihm seinen Erfolg. Einheimische warfen ihm vor, dass er sich thailändischer gab als die Thailänder selbst. Amerikanische Offizielle verübelten ihm seine Kritik am Vietnamkrieg.

Im März 1967 flog Thompson mit einer langjährigen Bekannten in die nordmalaysische Bergregion nahe der Provinzstadt Tanah Rata, um auf Einladung des Chemikers Dr. Tien Gi Lin und seiner Frau, in deren "Villa Moonlight" Ostern zu verbringen. Das Haus im Tudor-Stil steht, über eine Straße erreichbar, auf einem einsamen Hügel, nur umgeben von undurchdringlichem Dschungel.

Der 26. März 1967 ist ein Ostersonntag. Die Gruppe fährt am Vormittag zum Gottesdienst in die anglikanische Kirche nach Tanah Rata. Thompson läuft die Strecke zu Fuß. Nach einem Picknick fahren alle zurück zur Villa. Statt wie sonst einen Mittagsschlaf zu halten, lässt Thompson seine Sachen auf der Veranda liegen und wandert die Straße hinunter. Seitdem ist er spurlos verschwunden, seine Leiche wurde nie gefunden - und seitdem spinnen sich die absurdesten und Regale füllenden Geschichten um sein Schicksal.

Mit 1400 Helfern, Polizei, Militär und Hubschraubern wird eine der größten Suchaktionen in der Geschichte Malaysias gestartet. Die Führer der Spürhunde - zwei unzuverlässige Tiere, wie sich später herausstellt - sagen aus, die Spur habe nicht im Dschungel, sondern auf dem Fahrweg geendet. Man schloss daraus, dass Thompson in ein Auto gestiegen sei. Andere Zeugen wollen mehrere Geländewagen gesehen haben. Dr. Ling sagte aus, es habe sich Tage später ein merkwürdiger Mensch bei ihm gemeldet, der behauptet habe, Thompson werde in einem Haus in Tanah Rata festgehalten.

Im Dschungel wurden später Knochenreste gefunden, aber die Polizei verlor die Beweismittel

Es gab viele Theorien, wieso der Geschäftsmann plötzlich verschwand: Entführung und Ermordung durch Rebellen oder auf Veranlassung der thailändischen Militärregierung, durch geschäftliche Rivalen, konkurrierende Geheimdienste während des Vietnamkriegs oder durch Neider auf dem Kunstmarkt. Diese Vermutungen konnten aber nie bestätigt werden. Auch die Thesen, Thompson sei von einem Tiger gefressen worden oder habe einfach ein neues Leben woanders auf der Welt angefangen, sind nicht bewiesen. Ein Geschäftsfreund behauptete, ihn auf Tahiti gesehen zu haben. Später wurden Knochen im Dschungel um Tanah Rata gefunden, aber sie sind auf einer Polizeistation abhandengekommen. Wenige Monate nach Thompsons Verschwinden wurde seine ältere Schwester Katharine in ihrem Haus nahe Greenville ermordet. Auch dieser Fall ist bis heute ungeklärt. Einige Jahre später beging der Sohn der Schwester Selbstmord.

Im kommenden März ist es 50 Jahre her, dass sich Jim Thompson scheinbar in Luft aufgelöst hat. Aus diesem Anlass hat der amerikanische Weltreisende Llewellyn Toulmin den Fall neu aufgerollt, alle bekannten Theorien und Dokumente gesammelt und die Ergebnisse seiner Recherchen ins Netz gestellt. Er nimmt an, dass sich der Geschäftsmann ganz banal im Urwald abseits der abgesuchten Pfade verirrt hat. Thompsons Grab ist demnach der Dschungel, und die immer wieder aufflammenden Theorien um sein Verschwinden sind wohl dem Umstand geschuldet, dass man mit einfachen Lösungen für Rätsel keine Bücher verkaufen kann.

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