Das Phänomen Taizé:Tanzen, Schweigen, Beten

Taizé ist ein Mekka für Gläubige und Sinnsuchende aus aller Welt. Eine Art christliches Dauer-Woodstock. Doch das Taizé-Gefühl lässt sich längst nicht mehr nur in dem französischen Dorf erleben - derzeit treffen sich 30.000 Anhänger der Bewegung in Berlin. Eine Annäherung.

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34. Europaeisches Jugendtreffen

Quelle: dapd

Mit 6000 Menschen gemeinsam singen. Schlangestehen für eine Tasse lauwarmen Tee. Stundenlanges Schweigen. Babylonisches Sprachengewirr beim Küchendienst. Händchenhalten unterm Sternenhimmel. Hochgeistige Diskussionen. All das zusammen macht das Taizé-Gefühl aus.

Taizé, ein Dorf im Burgund, ist seit 1944 Sitz einer ökumenischen Bruderschaft - und eine Art christliches Dauer-Woodstock. Selbst Menschen, die an Gott zweifeln, können an dem südfranzösischen Pilgerort einen neuen Zugang zum Glauben finden.

Seit 1978 finden auch internationale Taizé-Treffen statt; 30.000 junge Christen aus ganz Europa kommen von diesem Mittwoch an bis zum 1. Januar in Berlin zusammen. Aus diesem Anlass: eine Annäherung an das Phänomen Taizé in zehn Schritten.

(Titus Arnu)

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Das Phänomen Taizé:Die Idee

FRANCE-RELIGION-TAIZE-BROTHER ROGER-DEATH

Quelle: AFP

Die Gemeinschaft von Taizé verbindet eine Lebenshaltung, weniger eine eigene Philosophie. 1940 kommt Roger Schutz (im Bild) aus der Schweiz in das kriegszerstörte Dorf, beherbergt Juden und Widerständler, muss vor der Gestapo fliehen. 1944 kehrt er mit drei Freunden zurück. Dreimal am Tag beten die Männer, sie versprechen, zölibatär, arm und gehorsam zu leben.

Eine zuerst evangelische, dann ökumenische Gemeinschaft mit dem charismatischen Frère Roger als Prior entsteht. "Sei unter den Menschen ein Zeichen der Liebe und Freude", heißt es in der Ordensregel. Einige der Männer gehen in die Slums der Welt; die anderen machen Taizé zu dem, was es heute ist: Jeder ist willkommen, der sich auf das einfache Leben dort einlässt, den Rhythmus von Gebet und Gesang und Stille.

(Matthias Drobinski)

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Das Phänomen Taizé:Die Bruderschaft

TAIZE

Quelle: KNA

14. August 2005, der Schock: Eine psychisch kranke Frau ersticht den 90-jährigen Frère Roger. Die Gemeinschaft aber schafft den Übergang. Der 57-jährige deutsche Katholik Frère Alois ist seit sechs Jahren Prior von rund 100 Brüdern aus 25 Ländern; die Gemeinschaft finanziert sich aus dem Erlös ihrer Arbeit.

Der Ort im Burgund ist nach wie vor eine Art spirituelles Woodstock in ewiger Wiederholung: Im Sommer vermatschen bis zu 6000 Pilger den Boden zwischen den Zelten, füllen die Versöhnungskirche mit dem in Orange gehaltenen Altarraum. Zu den europäischen Jugendtreffen kommen Zehntausende.

Ein Problem mag sein, dass mancher Sucher von einst nun im Mittelklassewagen vorfährt und seinen Kindern zeigt, wie es war, das wilde, fromme Leben in den Siebzigern.

(Matthias Drobinski)

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Das Phänomen Taizé:Die Stille

34. Europäisches Jugendtreffen Taize

Quelle: dpa

Wie sagte Frère Roger? "Wir wollen vor allem Menschen sein, die anderen zuhören. Wir sind keine Lehrmeister." Aber Zuhören impliziert meist auch, dass jemand redet - und bei 200.000 Besuchern jährlich darf man davon ausgehen, dass es in Taizé oft ähnlich laut zugeht wie in Lourdes, Tschenstochau, Rom oder Altötting.

Macht aber nichts. Es gibt ja die ehrenamtlichen Nachtwächter, die hier Nightwelcome-Helfer heißen und für ruhigen Schlaf sorgen. Es gibt den Garten der Stille, gleich unten am Klärteich. Und es gibt die Kapelle zur stillen Kontemplation.

Aber sonst, zwischen Morgen- und Abendgebet, dürfen die unterschiedlichen Weltsichten und Theologien junger Menschen ruhig laut und leidenschaftlich aufeinanderprallen. Manchmal wird gar Liebe draus.

(Martin Zips)

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Das Phänomen Taizé:Die Prominenten

Eurovision Song Contest - Finale

Quelle: dpa

Es ist kein besonders glamouröser Ort, dieses Taizé, entsprechend überschaubar ist das Prominentenaufkommen. Zur Beerdigung von Frère Roger waren Bundespräsident Horst Köhler und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy nach Taizé gekommen. Aber sonst?

Immerhin, Lena war schon da und das wurde bekannt, als noch alles interessant war, was Lena so machte. Lena Meyer-Landrut, die junge Sängerin, die 2010 beim Eurovision Song Contest für Deutschland gewann. Und wer da genau hinsah, konnte es sehen. Lena trug das Taizé-Kreuz. Viel über ihren Glauben reden wollte sie nicht, der gehöre ihr alleine, wenn schon ihr Gesicht allen gehöre, hat sie gesagt. Nur so viel: "Es ist eine Gemeinschaft, wie ich sie noch nie erlebt habe, die jedem vergönnt sein sollte."

(Katja Auer)

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Das Phänomen Taizé:Die Landschaft

Bauklötze der Maßlosigkeit: Cluny feiert 1100 Jahre Abteigeschichte

Quelle: dpa-tmn

Zwei der längsten Flüsse Frankreichs kommen sich hier so nahe, dass sie für das Département mit der Ordnungsnummer 71 gemeinsam zu den Namenspaten erkoren wurden: Saône-et-Loire. Ineinander fließen die beiden nicht; nach der Annäherung drehen sie wieder ab, die Loire nach Nordwesten, die Saône stracks südwärts.

Ähnlich verhalten sich die Menschen, die oft hinauf ins Beaujolais abbiegen, hinunter ins Rhônetal oder hinüber in die Vulkanlandschaft der Auvergne. Einzig Taizé und die zehn Kilometer südlich gelegene Klosterruine von Cluny ziehen Besucher an. Entsprechend hat die hügelige, waldreiche Region ihren ländlichen Charakter bewahrt. Der Lebensrhythmus ist gemächlich. Was nicht zuletzt dazu führt, dass man sich hier bestens auf den Weinbau versteht.

(Stefan Fischer)

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Das Phänomen Taizé:Die Musik

34. Europaeisches Jugendtreffen

Quelle: dapd

So etwas kann einem Rammstein nicht bieten: herrliche vierstimmige Gesänge, beruhigend schlicht in Text und Melodie. Gerade durch die Musik kommt der Besucher der Communauté de Taizé zur Ruhe. Vieles von dem, was in Taizé gesungen wird, wurde dort auch komponiert - von den Brüdern Robert Giscard oder Jacques Berthier beispielsweise. Zu den bekanntesten Taizé-Liedern gehört "El Senyor", das auf Deutsch "Meine Hoffnung und meine Freude" heißt.

Der besondere Reiz ist, dass die meisten Taizé-Lieder problemlos gleichzeitig in verschiedenen Sprachen geträllert werden können. Das erhöht das internationale Gemeinschaftsgefühl. Und darum geht es ja: Wir Menschen gehören alle zusammen. Also lasst uns die Erde retten. Frieden, Frieden. Singt dem Herrn.

(Martin Zips)

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Das Phänomen Taizé:Das Essen

TAIZE

Quelle: KNA

Tausende junge Leute entwickeln eine Menge Hunger, und dementsprechend lange sind die Schlangen an der Essensausgabe. Zum Frühstück gibt's: ein Stück Baguette, ein Stück Butter, ein Stück Blockschokolade, eine Schale Tee oder wässrigen Kakao - und kein Besteck. Anfänger schmieren die Butter mit der Blockschokolade auf das Baguette. Geübte haben ein Taschenmesser dabei, das auch als Gabel dient.

Mittags und abends gibt es Eintopf mit mysteriösen Zutaten, dazu Kekse und Obst - und sogar einen Löffel. Gegessen wird auf dem Boden, mit dem Teller auf dem Schoß. Die bunten Plastikteller schmecken immer nach der legendären roten Taizé-Suppe, über deren Zusammensetzung wilde Theorien existieren. Doch die Suppe ist bis heute nicht entschlüsselt.

(Titus Arnu)

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Das Phänomen Taizé:Die Ableger

"MUSIK-SESSION" NACH DEM ABENDGEBET

Quelle: EPD

Taizé ist überall. Die Lieder sind einfach und klingen gut ohne Orgel, Texte und Bildsprache sind international, das erleichtert die Verbreitung. In vielen Kirchengemeinden gibt es Gebetskreise, die wöchentlich (mal besser, mal weniger gut) einen auf Taizé machen; auf evangelischen Kirchen- und auf Katholikentagen sind die Hallen überfüllt, wenn es um diese Gemeinschaft geht.

Die Texte sind ins Mongolische übersetzt worden und in die kambodschanische Sprache Khmer; in der vietnamesischen Ho-Chi-Minh-Stadt gibt es jeden Dienstag ein Treffen. Taizé-Lieder werden in Brasilien gesungen, wo es im armen Norden seit 1979 eine Niederlassung der Gemeinschaft gibt. Und in Anchorage/Alaska, wo man auf die wärmespendende Kraft des Kerzenlichts hinweist.

(Matthias Drobinski)

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Das Phänomen Taizé:Die Party

Jugendliche bereiten Taize-Treffen in Berlin vor

Quelle: dapd

Sommerferien in Taizé? Das kann anstrengend sein. Tausende Jugendliche campieren in Zelten, und trotz der geballten Spiritualität geht es dort auch weltlich zu. Nach dem Abendgebet trinken die einen im Oyak Café noch ein Glas Wein, andere sitzen singend im Kreis, Liebespaare schlendern in Richtung Weinberge. Zikaden zirpen, die Nacht ist jung, alle wollen feiern.

"Eine Party mit vielen Menschen und Gott!", schwärmt ein Taizé-Besucher - und das ist ganz im Sinne der Bibel: "Wisst ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt?" (1. Kor 6, 19.20)

(Titus Arnu)

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Das Phänomen Taizé:Die Souvenirs

34. Europäisches Jugendtreffen Taize

Quelle: dpa

Was soll man schon mitnehmen aus Taizé, wo man doch gerade erfahren hat, dass man eigentlich nichts braucht außer dem Taizé-Gefühl. Heimkehrer reden noch wochenlang von der Gemeinschaft, und dazu singen sie die gerade erlernten Lieder, auch wenn die in der barockbeladenen Dorfkirche nur halb so bewegend wirken. Und um den Hals tragen sie Taizé-Kreuze. Die Anhänger aus Holz, Stein oder Silber erinnern an eine Taube.

Wen es nicht ganz so erwischt hat, der kann einfach eine gute Flasche Rotwein mitbringen. Oder Steinzeug aus den Werkstätten der Brüder.

(Katja Auer)

© SZ vom 29.12.2011/jobr
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