Dahin muss es ein Schauspieler erst mal schaffen:Wiener Wucht

Nicholas Ofczarek spielt, als ziehe er in die Schlacht: immer mit vollem Einsatz. Im Fernsehen und am Burgtheater ist er ein Star - verehrt und gefürchtet.

Von Cathrin Kahlweit

Das Foto hängt in einem kleinen Pausenfoyer des Theaters; es zeigt einen kräftigen, dunkelblonden Mann, der nichts als eine altmodische Herrenunterhose, Socken und Schuhe trägt - und auf einem Mülleimer am Rand der stark befahrenen Praterstraße steht. Ansonsten sieht man in den Wandelgängen des altehrwürdigen Hauses mehrheitlich bedeutende, verstorbene Bühnenstars in Öl vor Stuck. Ein praktisch nackter Mann auf dem, was Wiener als "Mistkübel" bezeichnen, ist die Ausnahme. Und despektierlich ist es auch.

Aber so sieht der Künstler Erwin Wurm nun mal einen der populärsten österreichischen Schauspieler: als etwas Normal-Besonderes. Erwin Wurm ist dem breiteren Publikum unter anderem durch seine "One Minute Sculptures" bekannt, in denen er Menschen mit Alltagsgegenständen posieren lässt - und beides auf schräge Weise kombiniert. Die These dürfte nicht allzu gewagt sein, dass ein Meister der bildenden Kunst einen Meister der Schauspielkunst hier etwas weniger grandios herzeigen wollte, als das Burgtheater mit seiner k.u.k.-Vergangenheit seine Stars früher inszenierte. Weniger Pomp, mehr Pop.

Nicholas Ofczarek, der Mann auf dem Bild, ist Burgtheater-Star und Fernseh-Star, er war der Salzburger Jedermann, brillierte in Serienerfolgen wie "Braunschlag" oder internationalen Coproduktionen wie "Das Team". Und seit seinem Ganzkörper-und Ganzseeleneinsatz als Psychopath im Frankfurter "Tatort" "Die Geschichte vom bösen Friederich", in dem er im Unterhemd und mit dem Charme eines Borderliners die Kommissarin stalkte, ist er auch ein Lieblingsbösewicht der Deutschen.

Ofczarek gilt als Tier, als Berserker. Diesen Ruf gilt es zu verteidigen

Wer Nicholas Ofczarek treffen will, muss einen Timeslot erwischen: Er dreht, zuletzt einen Landkrimi in Niederösterreich, er gastiert an anderen Häusern, immer wieder auch mal am Münchner Residenztheater, er probt für eine Coproduktion mit den Salzburger Festspielen, und nur, wenn man viel Glück hat, sieht man ihn in der Nähe seiner Wohnung auf der Josefstädter Straße im achten Bezirk, wo er einen schnellen Kaffee trinkt. Oder im Burgtheater zwischen der Probe mit Dieter Dorn ("Endspiel" von Samuel Beckett) und der abendlichen Aufführung ("Die Affäre Rue de Lourcine" von Eugène Labiche).

Burgtheater Wien

Vor und hinter den Kulissen wird gespielt und manchmal auch gekämpft: das Wiener Burgtheater.

(Foto: Georg Soulek)

Er stürmt in einer Mischung aus Freizeit- und Jogginganzug heran, von der Probe sind die Haare verklebt, aber das kann so bleiben: In seiner Rolle als jung gebliebener Rentner am Abend wird er ohnehin eine außerordentlich hässliche Perücke tragen müssen, bei der ihm dünnes Resthaar quer über den Schädel geklebt ist. Ofczarek ist das egal; er ist eitel, aber weniger, was das Aussehen als was seine Wirkung angeht. Er will sich ganz und gar zeigen und will ganz und gar gesehen werden, als einer der letzten Österreicher an einem von Deutschen gekaperten Haus die Luft- und die Deutungshoheit über das haben, was er als Unterschied zwischen Handwerk und Kunst versteht. Er will nicht "verflachen, nicht auswechselbar sein". Seine Kollegen lieben und fürchten ihn: Ofczarek gilt als "Tier", als "Berserker", als Ausnahmeschauspieler unter Ausnahmeschauspielern. Diesen Ruf gilt es zu verteidigen.

Das Kunstwerk von Erwin Wurm präsentiert Ofczarek noch eilig, bevor er vor der Vorstellung in die Maske muss - und er tut es mit der nachlässigen Geste von einem, der weiß, dass er längst angekommen ist. Wer in der Burg nicht nur spielt, sondern auch hängt, der hat es in den Olymp der Republik geschafft. Auch wenn, wie Ofczarek grinsend anmerkt, seiner Tochter das Foto bei einer Führung mit der ganzen Klasse durch das Burgtheater ziemlich peinlich gewesen sei.

Dabei war das Privileg, an der Burg zu spielen, früher mal das Nonplusultra für einen Schauspieler. Ist es für sehr viele immer noch. Oskar Josef Bschließmayer etwa, der später als Oskar Werner Weltruhm erlangte, meldete sich mit 16 zum Vorsprechen im Burgtheater an. "Größenwahnsinnig, nicht wahr?", fragte er kurz vor seinem Tod den Kollegen Michael Degen, der ihm in seinem Buch "Der traurige Prinz" ein Denkmal setzte. "Und was glauben Sie? Es klappte." Sehr jung sei er also Burgschauspieler geworden und habe dazu die schriftliche Einwilligung seiner Mutter gebraucht. Die habe aufgeheult und dann zur Nachbarin gesagt: "Jetzt hat er durchdraht. Er glaubt tatsächlich, er wird im Burgtheater auftreten."

Oskar Werner blieb nicht lange. Andere bleiben ein Leben lang. Und nutzen die Möglichkeiten des Hauses, um auch in den digitalen Parallel-Universen zu reüssieren. Das "K.K. Hoftheater nächst der Burg" war schon vor zwei Jahrhunderten Sehnsuchtsort, Wallfahrtsort. Hier waren die Damen und Herren auf der Bühne nicht fahrende Gesellen, sondern Götter der Wiener Gesellschaft. Bis 1983 durfte kein Burgtheaterschauspieler, außer Gästen und Debütanten, vor dem Vorhang den Jubel der Zuschauer entgegennehmen; Kaiser Joseph II. hatte 1778 ein entsprechendes Verbot erlassen, "auf dass keiner der Mitglieder, wenn ihm Beifall gespendet wird, erscheinen dürfe, weil dadurch der Eindruck der Handlung gestört würde". Der wahre Grund für das Vorhangverbot dürfte ein anderer gewesen sein: Der Habsburger duldete keine Monarchen neben sich.

Tatort: Die Geschichte vom bösen Friederich; Tatort Die Geschichte vom bösen Friederich hr

Seit seinem Ganzkörper-und Ganzseeleneinsatz als Psychopath im Frankfurter "Tatort" ist Ofczarek auch ein Lieblingsbösewicht der Deutschen.

(Foto: HR/Bettina Müller)

Und was gab es da nicht alles für sagenumwobene Gestalten: Katharina Schratt, Geliebte von Franz Joseph I., die der Kaiser regelmäßig an der Burg bewunderte. Oder Paula Wessely: Wenn "die Wessely", Gattin des ebenso legendären Attila Hörbiger, in der Nachkriegszeit an der Burg auftrat, waren die Vorstellungen über Monate komplett ausverkauft. Überhaupt, der ganze Hörbiger-Clan: Bis heute stellen die Nachfahren von Attila und Paul einen Teil des berühmten Ensembles. Oder: der Heltau! Der Brandauer! Der Voss! Gott hab' ihn selig. Schillernde Namen, großes Vermächtnis. Die Burg ist also, selbst wenn sie mittlerweile nur noch ein Theater unter vielen ist und zuletzt mit einem Finanzskandal Schlagzeilen machte, selbst wenn die Inszenierungen bisweilen brav sind und das Publikum eher bieder ist, eben immer noch etwas Besonderes: das zweitälteste europäische und das größte deutschsprachige Sprechtheater. Das Haus schmückt sich, wie sollte es in Österreich anders möglich sein, immer noch mit Titel-Gedöns: Kammerschauspieler, Ehrenmitglieder. Als solches werden Burgschauspieler nach ihrem Tod auf der Feststiege, durch die früher der Kaiser das Theater betrat, aufgebahrt und dann in einer schwarzen Limousine zu feierlicher Musik einmal ums Haus gefahren, bevor sie in einem Ehrengrab beigesetzt werden.

"Wenn ich auf den Status schaue, verliere ich den Hunger. Ich habe mich immer am wohlsten gefühlt, wenn man mich unterschätzt hat."

Aber: Alles ändert sich. Sogar die ewige Burg, und vor allem die Rolle, die ein Burgschauspieler im wirklichen Leben spielen will. "Status darf nicht wichtig sein", sagt Ofczarek, der Umjubelte. "Wenn ich auf den Status schaue, verliere ich den Hunger. Ich habe mich immer am wohlsten gefühlt, wenn man mich unterschätzt hat." Und überhaupt: Ein Leben für die Burg? Und dann als schöne Leich ums Haus gefahren werden? Was als höchste Ehre galt, klingt für die Jungen bisweilen gruselig. "Noch einmal 22 Jahre - ich weiß nicht", sagt Ofczarek, der mit Anfang 20 engagiert wurde. Jetzt ist er 45. Gehört zu den am besten beschäftigten Darstellern am Haus, zu den Großen und Gefürchteten in der Branche, weil ihm der Ruf vorauseilt, sich nie zufriedenzugeben. Einer, der sich nie zufrieden gibt, kann anstrengend sein. Und empfindlich. Er hadert bis heute mit der Erinnerung an den mühsamen Start, mit den Demütigungen, die er als Debütant durchlitt. Ofczarek, Sohn zweier Opernsänger, war unter Peymann engagiert worden, dem Deutschen, dem Schwierigen, dem Revoluzzer. Der Anfänger hatte damals gerade an einem Off-Theater eine tolle Rolle gespielt, dann kam der Anruf, oder besser: Der Anruf. Die Burg. Peymann wolle ihn sehen.

Der Intendant probte gerade mit Ulrich Mühe "Peer Gynt" auf einer sehr schrägen Bühne, wie sich Ofczarek erinnert. Er habe dann aber jemandem anderen vorgesprochen, während er auf eben dieser sehr steilen Bühne einen festen Stand suchte und ihm die Knie zitterten. "Hier, schlag mal in diesem Textbuch Seite 77 auf", sei er angewiesen worden, "und lach dich zwei Minuten lang über die Zeilen zwei und drei tot." Ofczarek lachte sich zwei Minuten lang tot, "bis ich einen Zwerchfellkrampf" hatte, wurde engagiert, spielte aber erst einmal wenig bis nichts. "Peymann hatte Angst vor jungen Schauspielern. Mit mir konnte er wenig anfangen. Er sagte, ich solle mir was in Heidelberg oder Heilbronn suchen."

Ofczarek blieb und wurde in einem Kinderstück eingesetzt: Rudyard Kiplings "Dschungelbuch". Er spielte den Tiger. Zwei Tage vor der Premiere "entfernte Peymann den Regisseur und das Bühnenbild. Der Regisseur saß dann mit einer Bierflasche in der letzten Reihe und schaute zu." Nach der Premiere hörte der Tiger-Darsteller Ofczarek, wie ein kleines Mädchen zu seinem Vater sagte: "Papa, tu die Giraffe da weg." Selbstbewusstseinsschübe für einen Schauspieler sehen anders aus.

Dahin muss es ein Schauspieler erst mal schaffen: Imposant: Nicholas Ofczarek bei einer Aufführung in Wien.

Imposant: Nicholas Ofczarek bei einer Aufführung in Wien.

(Foto: Reinhard Maximilian Werner)

Vom Durchbruch einige Jahre später erzählt Ofczarek durchaus selbstironisch, wobei alte Verletzungen auch hier durchklingen: "Romeo und Julia" stand auf dem Spielplan. "In dem Stück gibt es jede Menge tolle Rollen für junge Männer, aber nicht für mich. Ich spielte den Diener der Amme, der sonst immer gestrichen wird." Aus Verzweiflung habe er selbst das Kostüm gebastelt und einen "körperlich und geistig behinderten Weisen, einen sehenden alten Jungen" gespielt. Das saß. Da war es plötzlich, das Gefühl, endlich angenommen, angekommen zu sein. "Beim Schlussapplaus hatte ich genauso viele Vorhänge wie Mercutio."

Mittlerweile ist er: der Ofczarek! Immer wieder überlegte er zu wechseln, an eine deutsche Bühne vielleicht, denn "ich war hier nicht durchgängig glücklich." Die Kollegen warnten: Man werde in Deutschland als Schauspieler "nicht so adoriert". Man gewöhnt sich halt daran, adoriert zu werden, wer wollte das missen?

Ofczarek, der sich auf der Bühne wahlweise in einen fetten Säufer, geilen Macho, brutalen Polizisten, Blödian, Kasper, Mörder, Gecken verwandeln kann, ist im wirklichen Leben ein eher kantiger Mensch. Präzise, intelligent, fordernd, herausfordernd. Wenn er sich für den Abend vorbereitet, wird er noch konzentrierter. "Ich kriege eine Wut, wenn ich Dummheit und Machtspielen begegne. Und ich sehe zu viel Vorführtheater nach der Machart: Ich behaupte, ich bin eine Person, seht ihr es auch? Ich will nicht, dass Zuschauer alles fertig verpackt bekommen. Eine Rolle braucht Raum, der Inhalt soll was auslösen, Inhalt vor Form. Im Kopf muss sich ein Film entwickeln. Ich nehme es ernst, vielleicht zu ernst, dieses Theater, unser Theater."

Schon als junger Schauspieler war er etwas dreist: "Ich bin gern der Chef, verstehst du?"

Er sei auf der Bühne einer, der alles gebe, heißt es, alles von allen fordere, am meisten aber von sich selbst, einer, dem es egal sei, wie hässlich er aussieht, wenn es der Sache diene, einer, der seinen Körper ganz einsetze, auch gern nackt. Er selbst sagt trocken: "Ich mache es mir eben nicht bequem." Es gibt da durchaus Stimmen von Kollegen, die nicht zitiert werden möchten und die vor ihm zittern: arrogant sei er, cholerisch, ein "Ungustl". Doch auch euphorische Stimmen von Schauspielern sind zu hören, die mit ihm kämpfen, aber auch von ihm profitieren. Burgtheater-Star Barbara Petritsch, seit 30 Jahren am Haus, das sie früher als "vermottet" empfand, heute aber liebt, erklärt sich die Unbedingtheit des Kollegen Ofczarek so: "Er mag halt keine Schauspieler, die Text nicht können und keine Regisseure, die Stück nicht gelesen haben." Stefanie Dvorak, 17 Jahre dabei, nennt ihn einen "tollen Wahnsinnigen. Er legt die Latte hoch, ist auch schwierig, aber das verzeiht man, es geht ja um die Sache." Und Regina Fritsch, auch seit drei Jahrzehnten am Haus, schwärmt: "Er exponiert sich und macht sich angreifbar. Man kann sich mit ihm fetzen."

Theater ist Spiel und Machtkampf zugleich, vielleicht ist Nicholas Ofczarek deshalb ein außerordentlicher Schauspieler, weil er gern Macht im und über das Spiel hat. Elisabeth Orth, Doyenne an der Burg (noch so ein Ehrentitel: Er wird der Schauspielerin zuteil, die durch ihre "hervorragenden künstlerischen Leistungen das Haus als würdigste Vertreterin repräsentiert"), macht das in ihrer Autobiografie "Aus euch wird nie was" auf wunderbare Weise deutlich. Sie spielte Maria Stuart, der junge Kollege Ofczarek kam in der Rolle des Mortimer auf die Probebühne. Er zu ihr, leise: "Ich mag das gar nicht, dass du da der Chef bist." Sie zu ihm: "Entschuldige Niki, das ist doch angesagt. Ich bin die Königin." Er zu ihr: "Ich mag das trotzdem nicht, ich bin gern der Chef, weißt du?" Sie dachte: "Der meint das ernst. Aber er wird sich noch wundern." Es sei dann aber, erinnert sich Elisabeth Orth lakonisch, noch eine "sehr schöne Szene" daraus geworden.

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