Dänemark:Das ist den Dänen am wichtigsten

Ferienort Henne Strand in Dänemark

Gemütlichkeit - hygge - wie in einem Ferienhaus an der dänischen Küste; das zählt für die meisten Dänen zu ihren wichtigsten Werten.

(Foto: dpa)

Freiheit, christliches Erbe - und Hygge: In dem skandinavischen Land wurde abgestimmt, welche zehn Werte Dänemark ausmachen - nicht jeder ist mit dem Ergebnis glücklich.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Völlig zufrieden ist Bertel Haarder nicht mit den Dänen. Der frühere Kulturminister hat sie darüber abstimmen lassen, welche zehn Werte Dänemark ausmachen. Als "Danmarkskanon" sollen diese zehn Punkte zum Lehrbuch über das Dänischsein werden. Nun hat es ausgerechnet hygge unter die Top Ten geschafft, dieses Konzept von Wohlbefinden und gemütlichem Zusammensein, für das die Dänen so beneidet werden. Bertel Haarder hat den Kanon am Montag vorgestellt und gleich erklärt, ihm wäre das gute alte dänische Handwerk lieber gewesen als die Hygge-Philosophie. Doch die Abstimmung gilt, so ist das mit der Demokratie. Wobei: Demokratie stand auch zur Wahl und ist durchgefallen.

Andere grundlegende Prinzipien haben es in den Kanon geschafft: Freiheit, Wohlfahrtsstaat, ein christliches Erbe, Werte also, die man nicht ausschließlich mit Dänemark verbindet. Trotzdem: Der Kanon könne den Dänen bewusst machen, "was das Wichtigste ist, an dem wir in der dänischen Kultur in einer Zeit der internationalen Konflikte und der Einwanderung festhalten sollten", sagt Haarder, der zur liberal-konservativen Partei Venstre gehört. Der 72-Jährige ist Ende November als Minister abgelöst worden, als zwei neue Parteien der Regierung beitraten. Seinen Kanon durfte er zu Ende bringen, er soll etwa in den Schulunterricht einfließen. Außerdem möchte das Kulturministerium, dass er beim Einbürgerungstest genutzt wird. Haarder hat stets erklärt, der Kanon solle Einwanderern helfen, sich zu integrieren.

Seit er seine Idee vor einem Jahr vorstellte, wurde viel darüber diskutiert. Hauptsächlich per Facebook und Twitter trugen Dänen 2425 Vorschläge zusammen. Ein Gremium aus sechs Experten suchte 20 Werte aus, über die dann mehr als 66 000 Dänen online abstimmten. Der öffentlich-rechtliche Sender Danmarks Radio organisierte eine Gegenabstimmung mit 20 Werten, die es nicht in die Auswahl des Ministeriums geschafft hatten. Die beliebtesten Optionen da: Legosteine, Würstchenstand und Johannisbeersaft. Alles keine echten Werte, sagte Bertel Haarder.

Der Kanon soll Zuwanderern als Integrationshilfe dienen. Mancher hält das für ziemlich naiv

Doch auch sein Konzept ist umstritten. Er glaube nicht an eine Definition dafür, was es bedeutet, Däne zu sein, sagt etwa Sune Lægaard, Forscher für politische Philosophie an der Uni Roskilde, jeder habe seine eigene Vorstellung. Die Idee, der Kanon könne als Integrationshilfe dienen, hält Sune Lægaard für naiv. Menschen, die nach Dänemark kommen, würden mit vielen Erwartungen konfrontiert. "Es ist problematisch, wenn das bedeutet, dass sie so werden sollen wie wir", sagt er.

Integration ist in Dänemark keine einfache Sache. Im Wahlkampf vergangenes Jahr sind die beiden Spitzenkandidaten in einem TV-Duell gefragt worden, ob Dänemark ein multikulturelles Land sei. "Nein, ich denke nicht", sagte die damalige Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt von den Sozialdemokraten. "Nein, aber wir laufen Gefahr, eines zu werden", sagte der Liberal-Konservative Lars Løkke Rasmussen, der heute mit Unterstützung der einwanderungskritischen Dänischen Volkspartei regiert. Immer, wenn an dieser Frage gerüttelt wird, wird im ganzen Land hitzig diskutiert.

Mehmet Ümit Necef, Nahost-Forscher an der Süddänischen Universität, war einer der sechs Experten, die die 20 wichtigsten Werte vorausgewählt haben. Er widerspricht der Kritik, Nicht-Dänen würden durch den Kanon ausgeschlossen. "Wenn die dänische Gesellschaft ihnen nicht explizit sagt, woran sie glaubt, wie sollen Einwanderer sich dann anpassen?", fragt er. Necef hat Geschlechtergleichheit als Wert vorgeschlagen, die Dänen haben das in den Kanon gewählt. Ein Signal an alle Neuankömmlinge: "Ihr müsst das respektieren, wenn ihr kommt, um hier zu leben."

Nun sind die Kanon-Werte an sich wenig kontrovers, auch die Opposition hat keine Einwände. Mogens Jensen, kulturpolitischer Sprecher der Sozialdemokraten, findet die Diskussion grundsätzlich gut. Allein: Zehn Werte reichten nicht aus, um fünfeinhalb Millionen Dänen gerecht zu werden. Ihm fehlten bereits in der Vorauswahl Solidarität und die in Dänemark geringe Schere zwischen arm und reich.

Der Sozialdemokrat hat den Kulturminister zudem in Verdacht, dass dieser mit dem Kanon von den krassen Budgetkürzungen in seinem Ressort ablenken wollte. Es ist ja auch nicht die erste Liste dänischer Errungenschaften, die eine bürgerliche Regierung aufstellt. Die Zeitung Politiken zählt allein sechs auf, darunter den Demokratiekanon von 2008, den Kulturkanon von 2006. Vielleicht ist der Kanon an sich etwas typisch Dänisches.

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