Charisma:Teurer als Geld und Ruhm

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John F. Kennedy hatte es schon immer, Madonna nur kurz, Angela Merkel allerdings nie. Doch wann hat eigentlich jemand: Charisma?

Michael Jürgs

Etwas ist gewiss: dass "Charisma" aus dem Griechischen kommt und sich als "Gnadengabe" übersetzen, aber wertfrei nicht bestimmen lässt. Adolf Hitler oder Benito Mussolini oder Josef Stalin waren charismatische Politiker, doch "gottgesandt, vorbildlich und übermenschlich", so die Definition von Charisma, waren sie zweifellos nicht.

Ohne Frage, er hatte es: John F. Kennedy war einer der charismatischsten Politiker des vorigen Jahrhunderts. (Foto: Foto: Reuters)

Die Macht autoritärer Führer ist nicht von Gott ver-, sondern vom Teufel geliehen. Dämonische Verführer wie jenes Trio Infernal sind schon aus Prinzip in ihren Prinzipien unmoralisch. Alle Mittel heiligt ihnen der Zweck, Herrschaft zu erringen und mordend um jeden Preis die Macht zu erhalten. Das scheinbar unwiderstehlich.

Übernatürliche solcher Despoten, zu deren Art ebenso eine Heerschar afrikanischer Schlächter der Idi-Amin-Sorte zählt, wirkt aber nur so lange verführerisch, wie sie abliefern, was sie versprochen haben. Das kann Arbeit fürs Volk sein, kann aber auch der Besitz derer, die sie enteigneten, verjagten, ermordeten, kann als blutiger Siegespokal fürs Volksempfinden die Eroberung anderer Länder und Unterdrückung anderer Nationen sein.

Wäre Hitler schon nach dem Bau der Autobahnen vom Teufel geholt worden, würden viele seiner Landsleute wahrscheinlich heute noch sein Charisma erwähnen, weil er qua Geburt ein Österreicher war. Da er Europa mit Krieg überzog, sechs Millionen Juden vernichten ließ, die freie Welt in ihrer Existenz bedrohte, ist der Verbrecher aus Braunau jedoch ein Deutscher. Die Hölle sind laut Sartre immer die anderen. Hunderttausende, die Hitler in Wien feierten, als er sie heimholte ins Reich, hatten die Rechte selbstredend nicht etwa zum Heil-Gruß erhoben, sondern in Wahrheit "Moment mal!" gerufen und diesen Einspruch händereckend unterstrichen.

Nach falschen Propheten kommt bekanntlich die Sintflut, denn ein so verführerisches Charisma ist nicht einfach auf einen nachgeborenen Schurken übertragbar, selbst dann nicht, wenn die tragende Ideologie - Faschismus, Kommunismus, Terrorismus - laufend Kinder der Unvernunft gebiert. Auch aktuelle Reaktionäre und Fanatiker wie Jean-Marie Le Pen oder Silvio Berlusconi oder Christoph Blocher oder Osama bin Laden haben große Anziehungskraft, doch auf die Idee, sie charismatisch zu nennen, käme wohl niemand.

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