Burger und Haute Cuisine:Abgespeist

Vor 60 Jahren wurde der erste McDonald's eröffnet - ein guter Anlass, um die Ähnlichkeit zwischen Molekularküche und Fastfood zu untersuchen.

Gottfried Knapp

Schon die ahnungslosen Organisatoren der jüngsten Documenta in Kassel haben es gewusst: Dieser Mann ist ein Künstler - ein Zauberkünstler. Wer Rindfleisch in Gummibärchen verwandeln kann, Gemüse als Wackelpudding feilbietet, Säfte wie Kaviarperlen serviert und jedem, der seinen auf minus 200 Grad heruntergeschockten Ginfizz trinkt, eine Rauchfahne vor den Mund zaubert, also den Teufel austreibt, der muss ein Magier, ja vielleicht gar ein Genie sein. Die Rede ist von dem Spanier Ferran Adrià, dem wohl meistüberschätzten Koch der Gegenwart, der als Kultgastronom so unglaublich erfolgreich ist, dass ihn die Organisatoren der jüngsten Documenta nach Kassel einluden und die Bewunderer der "Molekularküche" wie einen "Picasso der Kochkunst" verehren.

Fast Food

Burger oder Molekularküche - letztendlich ist doch alles nur Chemie.

(Foto: Foto: istock)

Keine kreativen Köche, sondern fanatisierte Chemiker

Molekulare Küche - so wird der mit Michelin-Sternen überhäufte neueste kulinarische Unfug, der vor allem in Spanien und England grassiert, naturwissenschaftlich hochtrabend umschrieben. Die Erfinder und Propagandisten dieser grotesken Form der Nahrungsaufnahme sind denn auch keine kreativen Köche, sondern fanatisierte Chemiker. Sie finden es tief unter ihrer Alchimistenwürde, Nahrungsmittel in naturgegebener Form und Konsistenz zu sich zu nehmen. Sie verachten alles, was man konventionell mit Lippen, Zunge und Zähnen zu sich nehmen und zerbeißen kann.

Sie hassen Fleisch, weil es bissfest ist, Fisch, weil er nicht cremig aus der Tülle kommt, Pflanzliches, weil es individuelle Strukturen hat und nach Natur aussieht, Getränke, weil sie von sich aus fließen und nicht auf Befehl dahinschmelzen, und Eis, weil es nicht heiß ist, sondern kalt wie Eis. Alle geschmacklich bewährten Aggregatzustände, um die sich die Kochkünstler aller Zeiten heiß bemüht haben, sind den Molekular-Alchimisten zuwider. Also zertrümmern sie alles, was ihnen in die Hände kommt, und mischen es auf mit den Chemieprodukten der Food-Industrie: Sie arbeiten mit Siphons und Destillierkolben, mit Pipetten und Spritztüten, mit Emulgatoren, Füllstoffen, Gelier- und Festigungsmitteln, mit Natriumalginat, Calciumlactat, Dikaliumphosphat, Siliziumdioxid, Cellulosederivat, Xanthan, Carrageen - am liebsten aber mit flüssigem Stickstoff, diesem hochaggressiven Scherzartikel, der alles, was er in die Fänge kriegt, in Sekundenschnelle auf unvorstellbare Minusgrade herunterfriert.

Kristallwelten in Reagenzgläsern

Die so entstehenden Kristallwelten, Emulsionen und Glibberstoffe heißen Schaum oder Spiegel, Rauch oder Farce, werden in Phiolen und Reagenzgläsern serviert und fallen beim Saugen mit dem Strohhalm oder beim Schlabbern aus dem Fingerhut nur dadurch auf, dass sie schrill anders schmecken, als sie aussehen, also die Versuchspersonen zu spitzen Überraschungsschreien animieren und in ein neckisches Quiz verwickeln: "Hätten Sie's gewusst, dass Rehrücken im Molekular-Zustand wie Coca Cola aussieht und nach Kohlrabi schmeckt?"

Die Besucher der einschlägigen Lokale wollen systematisch um das Urprodukt betrogen werden; sie liefern sich gierig der Willkür der Laboranten aus, beurteilen die Speisen nur noch nach dem Verfremdungseffekt. Ja wenn bei einem Vielgängemenü zwischen den merkwürdigen Schäumen, Cremes und Gelees plötzlich ein reales Stück Natur serviert wird, wenn ein im vakuumierten Plastikbeutel angegartes und mit dem Bunsenbrenner zu Ende flambiertes Stück Thunfisch Rätsel aufgibt, halten die gläubigen Jünger das vergleichsweise pralle Objekt für eine stofflich besonders raffinierte Kreation - zum Beispiel aus Bitterschokolade, Roquefort und Verdickungsmitteln.

Auf der nächsten Seite: Was Fast Food und Molekularküche gemeinsam haben.

Abgespeist

Wir wissen, wie tief Starköche unter ihr Niveau gehen, wenn sie mit Werbung für unappetitliche Massenprodukte viel Geld verdienen können. Nun hat aber der Abgott der fortschrittsgläubigen Gourmets, Ferran Adrià, der Betreiber des auf Jahre hinaus ausgebuchten Restaurants "El Bulli" an der Costa Brava, mit einer molekularen Behauptung einen neuen Standard für werbewirksame Sprüche gesetzt: In einem Interview über die Fastfoodkette McDonald's hat er sich den Satz entlocken lassen, auch er, der Drei-Sterne-Koch, könne zum Mc-Preis keinen besseren Hamburger herstellen als die 31000 Filialen des Konzerns, ja selbst die zehn besten Köche der Welt hätten bei diesem Genre keine Chance gegen McDonald's. Diese steile Behauptung hat selbst blinde Verehrer des Meisters der Moleküle stutzig gemacht, den Hütern des hohen Geschmacks aber den Schaum auf die Lippen getrieben.

Ferran Adrià

Ferran Adrià in seinem Element. Fast Food-Küche habe mehr mit Molekularküche gemein als man denkt, behauptet der spanische Starkoch.

(Foto: Foto: AFP)

Plumpe Kreationen namens "Hamburger"

Da uns aber der Verdacht beschleicht, dass der Mann mit seiner naiven Selbstbeschuldigung der Wahrheit näher sein könnte, als vielen lieb sein kann, ja dass es zwischen den Verfremdungskunststücken der molekularen Küche und den Denaturierungsritualen der Firma McDonald's sogar gewisse Ähnlichkeiten geben könnte, haben wir uns - nein, nicht undercover von hinten wie ehedem Günter Wallraff, sondern von vorn durch den Haupteingang jenen obskuren Objekten der Begierde genähert, die so ganz anders aussehen als die gleichnamigen Bürger einer deutschen Hansestadt. Wir wollten im Selbstversuch das Geheimnis ergründen, warum vernunftbegabte Menschen seit nunmehr sechzig Jahren zu den plumpen Kreationen namens "Hamburger" greifen, die ja nicht eben besonders preiswert und erwiesenermaßen nicht ausdrücklich gesund sind.

Der Tastsinn gilt gemeinhin als einer der schwächeren Sinne; Schocks vermag er kaum auszulösen. Wenn aber ein sensibler Erwachsener zum ersten Mal in seinem Leben einen "Hamburger" anfasst, macht er eine grausige Erfahrung: Seine zupackenden Finger brechen durch eine papierdünne Haut, versinken haltlos in einem schwammig weichen Etwas, das sich wie altes Fettgewebe vom Druck nur langsam erholt. Ist das ein Kinderspielobjekt aus Schaumgummi, das verzehrt sein will, oder sind wir schon mitten drin in der Molekularphysik? Statt einer knusprigen, schmackhaften Kümmelsemmel mit tragfähigem Rücken und einer weichen, saftigen Leberkässcheibe schälen wir einen bleichen weichen Gummiball aus dem Papier, ein zweigeteiltes luftiges Wattepolster, das, über hartes Fleisch gezogen, quasi als Kondom im Einsatz ist.

Warum McDonald's die Buns, diese schaumigen Überzieher, backen lässt, ist klar: Damit die Käufer den plattgedrückten heißen Fleischklops anfassen und ohne Gabel zum Munde führen können. So erspart sich die Firma Geschirr, Besteck und Spülküche. Dafür überzieht sie ganze Städte mit Plastikmüll, der von der öffentlichen Hand entsorgt werden muss.

Bei McDonald's frisst der Kunde also aus der Hand. Es soll Leute geben, die bei dieser Tätigkeit auch die saugfähigen Haltebäusche um das Fleisch und die triefenden Saucen in Gänze mitverzehren - eine schaurige Vorstellung. Schon der erste Bissen belehrt einen, dass diese salzlosen, aber leicht gezuckerten Teiggriffe in ihrer Charakterlosigkeit lediglich die neutrale Folie für die hineingeschmierten Einheitssaucen sein sollen; denn auch das flachgewalzte Hackfleisch beteiligt sich nicht mehr richtig am Gesamtgeschmack, ja es versucht sogar hartnäckig zu leugnen, dass es von einem Tier stammen könnte.

McDonald's fast diätverdächtig

Früher troffen die McHack-Rundlinge vor Fett; sie waren doppelt so dick und so gründlich gesalzen, gezuckert und geschmacksverstärkend überwürzt, dass ein beträchtlicher Teil der Kundschaft beim Verzehr der Bomben und beim Löschen mit Cola die Kontrolle über den eigenen Leib verlor und zum Ballon anschwoll. Heute gibt man sich bei McDonald's - zumindest im Internet - fast diätverdächtig karg und ökologisch korrekt. Doch der Grusel hat nur sein Aussehen geändert.

Nach wie vor werden - von den paar zerfledderten Salatblättern abgesehen - alle Produkte schockgefrostet in die Filialen geliefert und in der Küche quasi nur schockentfrostet. Die Pattys der Burger - so nennt man die millimeterdünnen kreisrunden Fleischscheiben in der Mitte - sind heute so grob gehackt, so saftlos, hart und grau, dass man sie für geflochtene kleine Bastmatten, für Filzunterleger, ja für Bierdeckel halten könnte und versucht ist, ein überschäumendes Bierglas - bei McD ein frommer Wunsch - darauf abzustellen.

Beim höchst beliebten Big Mac beginnt der lernwillige Fastfood-Laie den mitgelieferten Esshandschuh als Schutzschild zu schätzen, denn wer hier herzhaft zubeißt, aber die seitlich heraustretende Stapelmasse nicht mit beiden Händen wie einen Schneeball zusammendrückt, dem spritzt der im Inneren lauernde lauwarm-fade Käse-Salat-Saucen-Brei unkontrolliert ins Gesicht.

Auf der nächsten Seite: Die Vielfalt der Chicken Wraps.

Abgespeist

Am deutlichsten lässt sich die angestrebte molekulare Verunklärung der Grundbestandteile beim Hamburger mit dem polyglotten Namen "Filet-o-Fish" erleben: Da ragen aus dem üblichen Teigrundling vier aggressiv knusprige Zipfel eines panierten Fischquadrats heraus. In dieser Kombination kulminiert die molekulare Verwandlungskunst des Hauses. Die Semmel ist rund und kissenweich, der Fisch viereckig und knackighart, die Sauce: nass, der Geschmack: null. Übrigens: Saucen unterscheiden sich bei McD weniger durch ihren Geschmack als durch ihre Farbe.

Die Brüder McDonald

Vor genau 60 Jahren, am 20. Dezember 1948, haben die Brüder McDonald im kalifornischen San Bernardino ihr erstes Selbstbedienungslokal im Mc-Stil eröffnet. Seither hält sich der Hamburger mit seinen mehrgeschossigen Varianten so hartnäckig im Bewusstsein der Menschheit, dass selbst anspruchsvollere Lokale ihm zeitweilig Reverenz erwiesen haben. Bei McDonald's ist zum Urtyp nicht mehr allzu viel dazugekommen. Ob die aus der Hühnerbrust geschnittenen und panierten McNuggets irgendwann geräuchert worden sind, wagen wir nicht zu entscheiden; an unserem Tag schmeckten sie so, als seien sie über einem Aschenbecher gegart worden.

Dass dem Fäustling namens Hamburger, diesem archaischen Vorläufer der Fingerfood-Mode, irgendwann andere essbare Nahrungsgreifgeräte folgen würden, hätte man erwarten können. Mit einem maulartig geöffneten Hamburger lässt sich beispielsweise sperriges Grünzeug nur schwer schnappen. Aus diesem Grund hat ein Fastfood-Ingenieur den "Wrap" erfunden, den essbaren "Umhang", in den sich alles Denkbare stopfen lässt. Seit diese quergeschnittenen, hautig schlaffen Teigbeutel in Vitrinen liegen, sind weibliche Stehcafébesucher für etwas anderes kaum mehr zu haben; ja vielerorts wurde die Wurstsemmel schon abgeschafft.

Die Unterschiede der Chicken-Wraps

Bei McD knüllt der Wrapper einen kleinen, runden, mit Sauce beschmierten Pfannkuchen zu einer Tüte zusammen und steckt oben ein paar Sachen hinein. Als wir den "Chicken Wrap" aus dem Papier wickelten, rollte er sich von selber auf und legte sich flach auf den Rücken wie ein Hund, der gekrault werden will. So konnten wir den spärlichen Inhalt inspizieren, ohne das Ganze verzehren zu müssen. Auf dem Saucenfleck waren ein paar Salatkrümel und ein halbierter Riesen-McNugget hängengeblieben; die herausgeschleuderten trockenen Käsespäne lagen verstreut auf dem Papier herum.

Von dieser erdhaften Kreation gibt es auch eine gehobene Variante: Wird in den Beutel ein einziger kleiner Tomatenschnitz gesteckt, heißt das Ganze "Chicken Wrap Caesar". Eine ungelernte Küchenhilfe kann also aus einer einzigen Tomate circa zwanzig stolze Caesaren schnitzen. Das soll mal jemand nachmachen. Armer Gaius Julius! Tiefer ist der Mann, der von sich sagen konnte: "Ich kam, ich sah, ich siegte!", wohl nie gesunken als in der glitschigen Pfannkuchenhöhle von McDonald's, wo ein paar Eisbergsalatkrümel seine einzigen Gesprächspartner sind.

Übrigens: Bei McDonald's werden Pommes frites nach dem Frittieren schockgefrostet, in Molekularküchen werden sie vor dem Frittieren durch Vakuumierung entwässert - wir wagen heute nicht zu entscheiden, welche der beiden Methoden für den Geschmack oder die Gesundheit besser ist.

Nach dem Besuch im Fast-Food-Lokal, der übrigens keineswegs auffällig billig war, sind wir in die nächstbeste Kneipe essen und trinken gegangen. Zufällig gab es dort frische Fine-de-Clair-Austern. Gerade mal zwei waren davon noch übrig; sie haben mit Baguette und gesalzener Butter übrigens nicht mehr gekostet als ein Big Mac, wirkten aber nach Wrap und molekularen Gedanken wie die pure Erfüllung: endlich etwas, an dem nicht chemisch oder kältetechnisch herumexperimentiert worden ist, etwas, das nicht in dicken Teigtaschen oder Panaden versteckt werden muss oder in Richtung Einheitsgeschmack manipuliert worden ist, sondern so sein und schmecken darf wie es gewachsen ist: herb, rotzig, ordinär - mit einem Wort: himmlisch!

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