Bundesverfassungsgericht zu Intersexualität:Das dritte Geschlecht - eine Revolution

Vanja wäre gern 'divers'

Seit 2014 kämpfen Vanja und die Unterstützerkampagne "Dritte Option" für die Einführung eines dritten Geschlechts - Karlsruhe hat der Verfassungsbeschwerde nun stattgegeben.

(Foto: picture alliance / dpa)

Das Bundesverfassungsgericht beendet die bloße Mann-Frau-Betrachtung der Geschlechtlichkeit im deutschen Recht. Das ist ein historischer Spruch.

Kommentar von Heribert Prantl

Der biblischen Schöpfungsgeschichte zufolge hat Gott die Menschen ausschließlich als Mann und Frau geschaffen. Aber das stimmt so nicht ganz - weil es nun einmal seit jeher Menschen gibt, die männliche und weibliche Geschlechtsmerkmale haben. Selbst sehr religiöse Menschen werden nicht leugnen wollen, dass auch die Intersexuellen Geschöpfe Gottes sind. Fundamentalisten werden gleichwohl den Karlsruher Beschluss, der die Intersexualität als drittes Geschlecht anerkennt, heftig attackieren. Sie hätten es lieber, die Intersexuellen würden gezwungen, sich einem dieser beiden Geschlechter anzupassen, wie das seit jeher der Fall war. Das Bundesverfassungsgericht verlässt diesen Weg endgültig und grundsätzlich. Es erkennt ein drittes Geschlecht an.

Das Bundesverfassungsgericht hat schon viele Entscheidungen getroffen, die als außerordentlich oder spektakulär, als bahnbrechend oder bewusstseinsprägend gelten. Der Karlsruher Beschluss, mit dem ein drittes Geschlecht ausdrücklich anerkannt wird, verdient jede dieser Beschreibungen: Dieser Beschluss ist außerordentlich und spektakulär und bahnbrechend und wohl auch bewusstseinsprägend. Dieser Beschluss stellt mit verfassungsrechtlicher Kraft fest, dass es nicht nur Männer und Frauen, sondern auch ein drittes, ein unbestimmtes Geschlecht gibt - und dass dieses dritte Geschlecht von der gesamten Rechtsordnung anerkannt und respektiert werden muss. Damit ist die bloße Mann-Frau-Betrachtung der Geschlechtlichkeit jedenfalls im deutschen Recht zu Ende. Das ist eine juristische und gesellschaftspolitische Revolution.

Die mentale Binarität muss aufgebrochen werden

Sie hat Auswirkungen, die auf die Schnelle gar nicht überschaubar sind. Zunächst muss das Personenstandsgesetz geändert werden: Danach war es bisher in den amtlichen Registern so, dass entweder "m" für männlich oder "f" für weiblich oder aber - so galt es seit einer Gesetzesänderung zum 1. November 2013 - gar nichts eingetragen wurde. "Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche rechtliche Angabe in das Geburtenregister einzutragen". So lautete der einschlägige Paragraf seit vier Jahren. Diese Leerstelle genügt dem Bundesverfassungsgericht nicht; es will, dass ein drittes Geschlecht positiv, also ausdrücklich, einzutragen ist - die gesetzlichen Änderungen dafür müssen bis Jahresende vorgenommen werden.

Das allein wird nicht genügen. Die gesamte Rechtsordnung, auch noch die sogenannte Ehe für alle, ist bisher auf binäre Geschlechtlichkeit ausgerichtet - Mann/Frau, Frau/Frau, Mann/Mann. Dass ein Mensch mit unbestimmten Geschlechtsmerkmalen mit einem anderen Menschen mit unbestimmten Geschlechtsmerkmalen eine Ehe eingehen darf - das zum Beispiel ist bisher nicht ausdrücklich geregelt; vieles andere auch nicht. Die bisherige sprachliche Zweigeschlechtlichkeit der Rechtsordnung muss reformiert und die mentale Binarität aufgebrochen werden. Ersteres wird leichter sein als Letzteres. Das geht hinein bis in die Anrede: "Meine sehr verehrten Damen und Herren" - das ist künftig eigentlich keine ausreichende Begrüßung mehr. Wenn es nun ein drittes Geschlecht gibt, wird man vielleicht "Liebe Leute" sagen müssen - oder sich ganz neue Formeln überlegen müssen.

Intersexuell sind Menschen mit nicht eindeutigen körperlichen Geschlechtsmerkmalen, früher hat man von Hermaphroditen gesprochen. Diese Intersexualität ist von der Transsexualität zu unterscheiden: Transsexuell sind Menschen, die körperlich eindeutig zum männlichen oder weiblichen Geschlecht gehören, sich aber als Angehörige des anderen Geschlechts fühlen und als solche anerkannt werden wollen. Für sie gibt es das Transsexuellen-Gesetz, das dies und die Voraussetzungen für eine juristische Geschlechtsanpassung zu regeln versucht. Es geht um das gefühlte, um das empfundene und gelebte Geschlecht. Bei Intersexuellen gibt es diese gefühlte Eindeutigkeit nicht. Das Bundesverfassungsgericht will es diesen Menschen nicht nur ersparen, sich eindeutig zu einem Geschlecht bekennen zu müssen - es anerkennt ihre Uneindeutigkeit ausdrücklich als drittes Geschlecht.

Das ist ein historischer Spruch. Vorderhand fügt er sich ein in eine lange Reihe von Entscheidungen, in denen Karlsruhe die Rechte von Minderheiten anerkannt und ausgebaut hat: von Strafgefangenen, von Pazifisten, von Homo- und Transsexuellen, von nichtehelichen Kindern, den Armen in dieser Gesellschaft. Karlsruhe hat ihre Rechte gestärkt. Aber die Entscheidung zur Intersexualität geht über die Stärkung der Rechte einer kleinen Minderheit hinaus. Das Gericht sagt: Es gehört zur eigenen Identitätsstiftung der Intersexuellen, dass sie nicht als geschlechtliches Nullum behandelt, sondern in ihrer geschlechtlichen Identität ernst genommen und anerkannt werden. Die Nichtanerkennung des intersexuellen Geschlechts, so sagen die höchsten Richter, stelle eine Diskriminierung dieser Menschen dar. Das ist eine richtige, wichtige Entscheidung.

Der Erste Senat weist den Gesetzgeber darauf hin, dass er auch darauf verzichten könnte, am Geschlecht als wesentlichem Merkmal für den Personenstand weiter festzuhalten. Dies ist in der Logik der Entscheidung konsequent. Aber es wird sich wohl noch lange an der Wirklichkeit reiben - denn die Einteilung in Mann oder Frau ist eine, die nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt gängig ist und bisher als Anknüpfungspunkt für spezifische Rechte dient.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist in einer Welt, die zunehmend illiberaler wird, ein Höhepunkt an aufgeklärter Liberalität.

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