Brustentfernung zum Schutz vor Krebs:Das Ende der Angst

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"Meine Brust war nie ein Körperteil, über das ich mich gefreut habe. Es war eigentlich immer gruselig und angsteinflößend": Nadja Gotzein ist heute froh, dass sie sich zu dem Eingriff entschlossen hat.

(Foto: Foto: Valentin Birkner)

Nadja Gotzein lebte jahrelang mit dem Wissen, dass sie das Brustkrebs-Gen in sich trägt. Mit 25 Jahren ließ sie sich die Brüste amputieren. "Nicht, weil ich so mutig bin. Sondern weil ich Angst hatte", sagt sie. Und fühlt sich seitdem wie befreit.

Von Lara Wiedeking

Bevor Nadja Gotzein ins Krankenhaus ging, um sich die Brüste abnehmen zu lassen, lud sie Freunde und Familie zu einer "Goodbye Boobies"-Party. Im Keller ihres Elternhauses feierten sie bis zum frühen Morgen und stießen immer wieder an - darauf, dass der Operateur einen besonders guten Tag haben würde. Auf einen keimfreien OP, lustige Krankenschwestern, eine nette Zimmernachbarin. Darauf, dass alles problemlos verheilen und die Operation gelingen würde.

Fünf Jahre später sitzt Nadja Gotzein, 30, in der Wohnküche im Dachgeschoss ihres Elternhauses in Bonn. Sie hat kurze dunkelbraune Haare, die knapp bis zu den Ohren reichen und eine Brille mit dunklem Rand umspielen. Ihre kleine Tochter liegt auf der Krabbeldecke unterm Spielbogen und brabbelt vor sich hin. Vor drei Jahren ist Gotzein hier mit ihrem Ehemann eingezogen, in der Wohnung darunter leben ihr Vater und ihre Stiefmutter. Doch mit ihrer Familie teilt sie mehr als die Adresse.

Wie viele Frauen in der Familie ist Nadja Gotzein Trägerin der BRCA1-Genmutation, die zu einer aggressiven Form von Brustkrebs in jungen Jahren führen kann. Detailliert erzählt sie von ihrer Familiengeschichte, warum sie sich am Ende dafür entschieden hat, sich die Brüste abnehmen zu lassen. Wie gut sie sich jetzt damit fühlt. Sie spricht ganz offen, ganz abgeklärt. Wenn man hier eine Emotion heraushören möchte, dann höchstens Erleichterung.

Wie ein Befreiungsschlag

Am Dienstag veröffentlichte die New York Times einen Artikel der Schauspielerin Angelina Jolie, und seitdem weiß die ganze Welt, was sich hinter der Chiffre BRCA1 verbirgt. In Jolies Fall: eine Brustkrebs-Wahrscheinlichkeit von 87 Prozent. Eine Eierstockkrebs-Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent. Sie habe sich vorsorglich beide Brüste amputieren lassen, schrieb Jolie: "An alle Frauen, die das hier lesen: Ich hoffe, es hilft euch zu wissen, dass es Optionen gibt." Für Nadja Gotzein, die aus ihrer eigenen Brust-OP nie ein großes Geheimnis gemacht hat, war das trotzdem wie ein Befreiungsschlag. Wenn ein Star wie Angelina Jolie zu diesem Schritt stehen kann, dann können das andere auch. "Ich denke, viele Frauen werden sich nun trauen, darüber zu reden. Und sie sehen jetzt auch, dass man nach einem solchen Eingriff nicht entstellt ist."

Die Angst, dass sie Brustkrebs bekommen und sterben könnte, begleitete Nadja Gotzein seit der Pubertät. Sie war 15 Jahre alt, als ihre Mutter an Brustkrebs starb. Ihre Cousine bekam die Diagnose mit 25, sieben Jahre später war auch sie tot. Weil eine Erkrankung bei jungen Frauen auf die Genmutation hindeutet, ließ sich schließlich die ganze Familie testen. "Alle Frauen in meiner Familie, die das Gen in sich tragen, sind an Krebs erkrankt", sagt Gotzein, "und von denen, die an Brustkrebs gestorben sind, ist keine 40 Jahre alt geworden." Sie verschränkt die Arme vor der Brust, es ist eine gruselige Statistik. Nur zwei verwandte Frauen mit dem Gen leben noch - sie ließen sich die Brüste amputieren und die Eierstöcke entfernen.

Nach dem Tod der Mutter war der Horror vor dem Krebs allgegenwärtig. Trotzdem wartete Nadja Gotzein, bis ihre jüngere Schwester volljährig war. Dann ließen sie sich beide auf BRCA1 testen. Sechs lange Wochen warteten sie nach der Blutentnahme auf das Ergebnis. "Ich habe immer damit gerechnet, dass ich das Gen in mir trage", sagt sie, zuckt mit den Schultern und lächelt. Es sei dann kein Schock gewesen, als das Ergebnis kam. Im Gegenteil, sie war ein wenig erleichtert - weil wenigstens ihre kleine Schwester die Mutation nicht geerbt hatte. "Was ich selbst habe, damit kann ich umgehen", findet sie. "Aber wenn Menschen betroffen sind, die ich liebe, ist das viel schlimmer."

Mit dem Test war aus ihrer diffusen Befürchtung Gewissheit geworden: Sie hatte eine etwa 80-prozentige Wahrscheinlichkeit, Brustkrebs zu bekommen. Sie war 19 Jahre alt. "Ich habe mich dann selbst verrückt gemacht und ständig zu Sebastian gesagt: Hier, fühl mal, da ist doch was!" Ihren Freund Sebastian hat Nadja Gotzein vor vier Jahren geheiratet. Er ist Kfz-Mechaniker, zwei Jahre jünger als sie und zwei Köpfe größer. "Sebastian hat immer gesagt: Mach das, ich bin immer da, ich nehme dich mit Narben, ich nehme dich mit Brust, ich nehme dich ohne Brust."

Die richtige Entscheidung

Nach der Diagnose ging Nadja Gotzein regelmäßig zur Untersuchung in die Kölner Uni-Klinik. Dort befindet sich eines von 15 deutschen Zentren für familiären Brust- und Eierstockkrebs, wo Gentests durchgeführt, Früherkennung und Beratung angeboten werden, gefördert von der Deutschen Krebshilfe. Die Professorin Rita Schmutzler hat schon mehrere Frauen aus Gotzeins Familie betreut. "Frauen wie Nadja haben oft schon als Jugendliche erlebt, wie andere Familienmitglieder an Krebs erkrankt und gestorben sind", sagt Schmutzler. "Diese Frauen kommen mit klaren Vorstellungen zu uns. Sie wissen, wie die weitere Behandlung oder Vorsorge ablaufen soll." Für Nadja Gotzein sei der Eingriff die richtige Entscheidung gewesen - das Risiko zu erkranken, war bei ihr sehr hoch. Was nicht für alle Frauen gilt, die sich operieren lassen wollen.

Im Kölner Brustkrebszentrum hat Rita Schmutzler zuletzt einen unguten Trend festgestellt: Frauen entscheiden sich mitunter recht schnell und unbedarft dafür, eine Mastektomie, also eine Entfernung des Brustdrüsengewebes, vornehmen zu lassen. Manchmal auch dann, wenn sie die BRCA1-Mutation gar nicht haben. Sie sind verunsichert, weil sie im Internet Statistiken gefunden haben, nach denen jede zehnte Frau an Brustkrebs erkrankt. "Das klingt natürlich beängstigend", sagt die Ärztin. "Aber diese Zahl bildet eine mögliche Erkrankung im Laufe eines ganzen Lebens ab. Das Risiko wächst auch nicht stetig an, sondern ist in verschiedenen Lebensphase sehr unterschiedlich." Viel wichtiger für eine fundierte Entscheidung sei das konkrete Risiko in einer bestimmten Lebensphase - "in einem überschaubaren Zeitraum von zum Beispiel fünf bis zehn Jahren". Bei einer eher geringen Wahrscheinlichkeit, in diesem Zeitraum zu erkranken, ist eine Operation nicht unbedingt die beste Lösung.

Bei Nadja Gotzein waren die Prognosen eindeutig. Als die Ärzte mit ihr über eine Mastektomie sprachen, war sie sofort entschlossen: "Für mich war die Operation ein Ausweg aus dieser quälenden Situation, wo du dir ständig Gedanken machst, jeden einzelnen Tag." Darum ist es ihr auch unangenehm, wenn andere Frauen bemerkenswert finden, was sie getan hat, sie für ihre Tapferkeit loben. "Ich habe es ja nicht gemacht, weil ich so mutig bin. Sondern weil ich Angst hatte. Weil ich sehr große Angst davor hatte, krank zu werden."

Mit 25 Jahren lässt sie sich operieren - es ist das Alter, in dem ihre Cousine an Brustkrebs erkrankt ist. Gotzein hat zu diesem Zeitpunkt ihre Ausbildung zur Krankenschwester abgeschlossen und ist in einer stabilen Beziehung, es ist der richtige Zeitpunkt. Ihr Freund Sebastian besucht sie jeden Tag im Krankenhaus. "Viele Frauen haben wahnsinnige Angst davor, sich ihren Körper so zerstören zu lassen", sagt sie heute. "Aber so habe ich das mit meiner Familiengeschichte nie empfunden. Meine Brust war nie ein Körperteil, über das ich mich gefreut habe. Es war eigentlich immer gruselig und angsteinflößend."

Vor fünf Jahren war an der Uni-Klinik Köln nur eine Brustrekonstruktion mit Implantaten möglich. Diese müssen allerdings gewechselt werden - und zwar im Abstand weniger Jahre. Das war keine Option für sie. "Bei meiner Mutter haben sie immer einen Knoten nach dem anderen entfernt und so scheibenweise die Brust abgenommen. Salamitaktik sozusagen. Ich wollte das Thema nach einem Eingriff beenden." Darum entschied sie sich für das Brustkrebszentrum der Klinik in Düsseldorf, wo schon damals Brüste mit Eigengewebe vom Bauch rekonstruiert werden konnten. "Am Bauch hatte ich eigentlich immer schon genug. Darum dachte ich mir, nehmen wir es doch einfach dort weg." Sie lacht.

Der Eingriff verlief problemlos, ihre neuen Brüste haben heute die gleiche Form und Größe wie die alten. Nur die Brustwarzen fehlen. "Natürlich könnte ich mir welche modellieren lassen. Aber das ist für mich eine Schönheits-OP, und die brauche ich nicht." Völlig schmerzfrei war die Prozedur natürlich nicht. Einen Monat lang war ihre Brust noch geschwollen, der Bauch spannte wegen der Gewebeentnahme und der anschließenden Bauchdeckenstraffung. "Sebastian hatte nach der Operation Angst, dass er etwas kaputt macht. Aber ich habe ihm gesagt, er darf mich drücken, umarmen und anfassen. Ich melde mich, wenn es wehtut."

Rückblickend erinnert sie sich vor allem an ein völlig neues Gefühl von Sicherheit in ihrem Körper. Ein Wohlgefühl, das sie nach dem Tod ihrer Mutter nicht mehr kannte.

Im November sind Nadja und Sebastian Gotzein Eltern geworden. Die Schwangerschaft verlief reibungslos, Marie kam ohne Kaiserschnitt zur Welt. Nadja Gotzein kann ihre Tochter nur mit der Flasche füttern - "das ist das Einzige, was ich nach der Mastektomie wirklich schade finde". Die Gotzeins wollen noch mindestens ein weiteres Kind bekommen. Aber eines Tages, wenn die Familienplanung abgeschlossen ist, wird Nadja Gotzein sich die Frage stellen müssen, ob sie sich nun auch die Eierstöcke entfernen lässt. Das BRCA1-Gen bedeutet eben auch ein stark erhöhtes Risiko für Eierstockkrebs.

Sollte sie sich für diese zweite Operation entscheiden, müsste sie bis zu ihrem 50. Lebensjahr Hormone einnehmen, um nicht frühzeitig in die Wechseljahre zu kommen. Die Ärzte raten ihr dazu, doch sie zögert. Mit diesem Gedanken will sie sich jetzt noch nicht beschäftigen.

Ob ihre kleine Tochter die Genmutation geerbt hat, wissen die Eltern noch nicht. Sie müssen bis zu ihrem 18. Lebensjahr warten, um Gewissheit zu haben. Was wird Nadja Gotzein tun, wenn auch Marie das Brustkrebs-Gen hat? Ein Lächeln, ein Schulterzucken. Für sie da sein, sie bei all ihren Entscheidungen unterstützen. Was denn sonst?

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