Britney Spears wird 30:Ein Punk vor dem Herrn

Sie wurde in aller Öffentlichkeit erwachsen, hemmungslos, wild und ohne jeden Respekt fürs Überleben. Doch anders als ihre männlichen Kollegen erntet Britney Spears, einer der letzten Punks im Popgeschäft, keine Anerkennung - sondern Hohn.

Martin Wittmann

Man stelle sich vor, ein bekannter Musiker würde, sagen wir, runde 60 Jahre alt. Die Gratulanten blicken zurück auf sein Leben, kopfschüttelnd vor Ehrfurcht: Wie der Sänger brav als Kinderstar anfing, später als keusches Jugendidol funktionierte und sich irgendwann nicht nur verabschiedete aus dieser brechreizend heilen Welt, sondern diese auch massiv zu schocken wusste. Und zwar nicht kalkuliert wie Marilyn Manson oder Lady Gaga, sondern impulsiv, bar jeder Vernunft und ohne eigene Reality-TV-Kameras. In echt.

Britney Spears wird 30

Zuletzt ist es ruhig geworden um Britney Spears. Fast scheint es, als hätte sich die Sängerin zu ihrem 30. Geburtstag wieder gefangen. Spears bei der Bambi-Verleihung 2008.

(Foto: dpa)

Wie er sich in den Clubs besoffen und benebelt daneben benahm. Wie er den immer aufdringlicher werdenden Paparazzi seine Genitalien entgegenstreckte und später, als die Fotografen und Fotografinnen sein Haus belagerten, eine von ihnen einfach abschleppte. Wie er von einer Angestellten angezeigt wurde, weil er im Haus immer nackt herumgelaufen sei und sie sich dadurch sexuell belästigt gefühlt habe (außerdem rieche der Kettenraucher chronisch nach Tabak und habe ständig gefurzt und in der Nase gebohrt, ohne sich im Geringsten dafür zu schämen, sagte die Angestellte einem britischen Klatschblatt).

Wie er von Journalisten und Bloggern immer wieder hämisch niedergeschrieben wurde, wegen seines simplen White-Trash-Alltags, den er trotzig lebte, ohne Zugeständnisse an die Ästhetik der Pop-Beaus oder an den Pseudo-Intellektualismus vieler Kollegen. Wie er sich eines Abends eine Glatze rasierte und dem Haarkult der Glitzerwelt damit blanken Trotz entgegensetzte.

Wie er als nächstes erst von allen guten Geistern verlassen und dann entmündigt wurde und die Nachrichtenagentur AP dazu provozierte, einen Nachruf vorzubereiten. Wie er die Forderungen der Kritiker nach Neuerfindung missachtete und sich treu blieb, statt wie ein Getriebener sein Image mit jeder flüchtigen Mode zu wechseln. Wie er eine Jugendfreundin in Las Vegas heiratete, es sich zwei Tage später wieder anders überlegte und die Ehe annullieren ließ. Wie er eine hübsche Tänzerin aus einem seiner Videos zur Frau nahm und mit ihr zwei Kinder bekam, bevor er sich von ihr trennte.

Britney ist wie Lemmy, Mick und Keith

Wie er seinen Vornamen mit insgesamt mehr als 100 Millionen verkauften Platten als Marke etablierte. Wie er auf der Bühne Madonna küsste und sie davon mehr profitierte als er. Wie er erst im August den MTV Video Music Award für das beste Popvideo bekam - und eine Auszeichnung für sein Lebenswerk.

Dieser Mann wäre in aller Augen ein Punk vor dem Herrn, er wäre alles, was die vom Scheiß-drauf-Leben gezeichneten Lemmys, Keiths und Micks, die für ihre Zähigkeit gefeierten Eastwoods und Dylans und die als Sturköpfe verehrten Bierbichlers und Depardieus dieser Welt ausmacht. Tatsächlich aber ist das alles eine junge Frau: Britney. Und sie wird an diesem Freitag erst 30 Jahre alt. In Worten: dreißig.

Und der Respekt fürs Überleben? Gleich null.

Die jüngsten Meldungen über die derzeit tourende Britney Spears handeln von der Unerhörtheit der zweifachen Mutter, kurze Bühnenkleidchen zu tragen, ohne dabei über-fit zu sein. Klatschblätter glauben sie mit den entsprechenden Bildern exponieren zu können, und machen sich dabei doch lächerlich, weil sie auf der gleichen Seite scheinheilig gegen den Magerwahn im Showbiz wettern. Dabei mutwillig übersehen wird ihre Bilanz, für die man auch gar nicht tief im Archiv graben muss: Sechs ihrer sieben Alben haben in den USA die Charts angeführt, zuletzt im Frühling dieses Jahres (in Deutschland erreichten alle die Top Ten). Ihre derzeitige Hallentournee ist laut Branchenmagazin Billboard zu 90 Prozent ausverkauft. Die erfolgreiche TV-Reihe "Glee" widmete ihr eine ganze Folge, in der Serie "How I met your mother" trat sie zweimal selbstironisch als Semi-Irre auf. Beim Twittern folgen ihr elf Millionen Menschen, ihr Slogan lautet dabei schlicht: "It's Britney, Bitch".

Doch die breite Öffentlichkeit belächelt die Sängerin wegen jener Attribute der Unangepasstheit - Radikalität, Rasanz, Rebellion -, derer wegen andere Schwerenöter zu Halbgöttern in Leder gehypt werden. Aber warum nur? Dass die meisten ihrer Entscheidungen kein Ausdruck von Freiheit sind, sondern Kollateralschäden einer außer Kontrolle geratenen Karriere, darf als Argument nicht gelten, sondern liegt in der Natur der Rock 'n'Roll-Sache. Vielleicht ist der Grund für die Schmähung die Fallhöhe von zuckersüß zu sauerbitter, vielleicht ist es das Dauerfeuer der Klatschpresse, sicher aber ist es der Sexismus der Branche, aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls hat die Welt mit der Sängerin aus McComb, Mississippi, keine Nachsicht, und man kann Frau Spears zum Geburtstag nur eines wünschen: dass ihr das am vielkritisierten Arsch vorbeigeht.

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