Brigitte Zypries im Interview:"Zutiefst ungerecht"

Die Justizministerin spricht vor dem Christopher Street Day über die Benachteiligung von Homosexuellen - und mögliche Gesetzesänderungen.

Susanne Höll

Zum Christopher Street Day am kommenden Samstag fordern deutsche Schwulen- und Lesbenverbände eine Grundgesetzänderung: Niemand soll wegen seiner sexuellen Orientierung benachteiligt werden. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) setzt sich für die Gleichstellung und Gleichbehandlung von homosexuellen Lebenspartnerschaften ein.

Brigitte Zypries Homosexuelle Christopher Street Day Gleichbehandlung; dpa

Justizministerin Brigitte Zypries erwägt eine Verfassungsänderung zugunsten der Rechte Homosexueller.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Frau Zypries, zum Ende der großen Koalition kündigen Sie an, sich in der nächsten Legislaturperiode für einen Schutz gleichgeschlechtlicher Beziehungen im Grundgesetz einzusetzen. Warum haben Sie das in den letzten vier Jahren nicht versucht?

Brigitte Zypries: Wir sind ja schon bei vergleichsweise kleinen Änderungen wie der Hausratsverordnung für gleichgeschlechtliche Paare in der großen Koalition auf heftigen Widerstand gestoßen. Mit der Union waren sachlich-vernünftige Gespräche zum Thema Lebenspartnerschaften sehr schwierig. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat dürfen wir uns auch für die nächste Legislaturperiode keinen Illusionen hingeben.

SZ: Weil Sie für Grundgesetzänderungen im Bundestag und im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit brauchen, die ohne Zustimmung von CDU und CSU nicht erreicht werden kann.

Zypries: Genau. Alle Vorhaben, die auch nur den Hauch einer Besserstellung oder gar einer Gleichstellung bedeuten, hat die Union blockiert. Das ist schon fast reflexhaft.

SZ: Die Mehrheitsverhältnisse werden sich aber in den nächsten Jahren nicht dramatisch ändern.

Zypries: Wir werden in der Tat viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, und ich bin mir nicht sicher, ob wir in den nächsten vier Jahren schon entscheidende Schritte vorankommen. In jedem Fall muss das Thema auf die Tagesordnung. Der deutsche Lesben- und Schwulenverband hat eine Grundgesetzänderung zur zentralen Forderung für den diesjährigen Christopher Street Day erhoben. Der Verband möchte Artikel 3 des Grundgesetzes dahingehend ergänzen, dass auch niemand wegen seiner sexuellen Orientierung benachteiligt werden darf. Ich habe darüber hinaus angeregt, auch über eine Änderung von Artikel 6 nachzudenken und den verfassungsrechtlichen Schutz des Staates von Ehe und Familie auf Lebenspartnerschaften auszuweiten. Denn die persönliche und rechtliche Verantwortung, die Menschen in diesen Beziehungen füreinander übernehmen, verdient genauso viel Respekt und rechtliche Anerkennung wie die Ehe.

SZ: Könnte es sein, dass Ihr Plädoyer für eine Verfassungsänderung dem Bundestagswahlkampf geschuldet ist, dass Sie um SPD-Stimmen von Schwulen und Lesben werben?

Zypries: Ich glaube nicht, dass sich Schwule und Lesben in der Wählerschaft so einfach ködern ließen. Sie kennen sich sehr gut aus, sind sehr gut informiert und vor allem wissen Sie, dass ich mich nicht erst seit gestern für ihre Gleichstellung einsetze.

SZ: Warum braucht man eigentlich eine Grundgesetzänderung? Warum reichen nicht einfache Gesetze, für die man keine Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat braucht?

Zypries: Konkrete Verbesserungen müssen natürlich auf einfachgesetzlicher Ebene getroffen werden. Daran haben wir in der Vergangenheit hart gearbeitet und vieles erreicht, vor allem im Familien- und Erbrecht. Es fehlt aber noch die Gleichstellung etwa im Steuerrecht, bei der Beamtenversorgung oder bei der Beihilfe. Auch im Adoptionsrecht sehe ich noch Lücken.

SZ: Könnte man die Lücken mit einer Verfassungsänderung leichter füllen?

Zypries: Genau. Zunächst wäre eine Grundgesetzänderung ein deutliches gesellschaftliches Signal. Vor allem aber würde sie es der Union erschweren, auf bestehende Ungleichbehandlungen in den einfachen Gesetzen zu beharren. Die rot-grüne Bundesregierung hat 2001 das Lebenspartnerschaftsgesetz durchsetzen können, weil der Bundestag nicht auf die Zustimmung des unionsdominierten Bundesrates angewiesen war. Änderungen im Steuerrecht etwa müssen die Länder aber mittragen. Würde die Verfassung geändert, könnte eine einfachgesetzliche Gleichstellung nicht mehr ohne weiteres verhindert werden. Denn für die Gleichbehandlung streitet dann die Verfassung. Mit ihr müssen die einfachen Gesetze in Einklang stehen.

SZ: Wer sind eigentlich Ihre Verbündeten bei diesem Projekt?

Zypries: Das sind alle, die nicht verstehen können, warum wir ein Recht auf Lebenspartnerschaft haben, aber nicht auf Gleichbehandlung. Gleichgeschlechtliche Paare haben die gleichen Pflichten wie Ehepaare, nicht aber deren Rechte. Ich empfinde das sowohl menschlich als auch juristisch als zutiefst ungerecht.

SZ: Ihre Verbündeten in der Politik?

Zypries: Sicherlich die Grünen. Interessant wird die Haltung der FDP, die sich ja gerne als Bürgerrechtspartei sieht. Ich habe mich zumindest gefreut, dass die FDP in Bayern gegen die CSU das Standesamt auch für die Lebenspartner durchgesetzt hat. Ich weiß, dass auch einzelne Politiker der CDU/CSU offen für Verbesserungen sind. Sie haben in ihren eigenen Reihen aber einen schweren Stand.

SZ: Kritiker halten Ihnen vor, Artikel6 schütze nicht die heterosexuelle Ehe an sich, sondern die Ehe als Voraussetzung für Familie, sprich ein Leben mit den Kindern.

Zypries: Das ist ein großer Irrtum. Nach der Verfassung stehen sowohl die Ehe als auch die Familie unter dem besonderen Schutz des Staates - gleichermaßen und unabhängig voneinander. Ansonsten ließe sich das geltende Ehegattensplitting, das nur die Ehe bevorzugt, gar nicht rechtfertigen. Die Rechtsprechung sieht in der Ehe eine Verbindung zwischen Frau und Mann. Die Familie ist dagegen der Ort, wo Kinder sind, also die Gemeinschaft der - auch unverheirateten - Eltern mit ihren Kindern. Beides wird durch das Grundgesetz geschützt.

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