Brettspiele:Wenn der Spieler zum Baum wird

Brettspiele: Die Neuerscheinung „Photosynthesis“ schickt die Spieler in den Wald, um Chlorophyll zu bilden.

Die Neuerscheinung „Photosynthesis“ schickt die Spieler in den Wald, um Chlorophyll zu bilden.

(Foto: Daniel Wüllner)

Würfeln, ziehen, rausschmeißen - das war einmal. Die neuesten Brettspiele verlangen den Akteuren ganz anderes ab.

Von Daniel Wüllner, Essen

Es ist lange her, dass es auf der fiktiven Insel Catan nur Wälder, Äcker, Weiden und Berge gab und zwischen ihnen ein paar versprengte Siedlungen. Neuerdings steht auf dem vielleicht bekanntesten Spielbrett Deutschlands eine Mauer, ein Bollwerk aus Plastik, das eigentlich aus einer anderen fiktiven Welt stammt, nämlich vom Kontinent Westeros aus der Fantasy-Fernsehserie "Game of Thrones". Kürzlich ist im Kosmos-Verlag die x-te Variante der Catan-Brettspiele erschienen, "A Game of Thrones Catan", in der Catan und Westeros zu einem einzigen Schauplatz verschmelzen.

Das Spiel ist eine von mehr als tausend Neuheiten, die traditionell im Herbst auf den Markt kommen, wenn die Abende lang sind und sich Familien oder Freunde gerne um den Spieltisch versammeln. Gefühlt vergeht kein Jahr, in dem es nicht irgendeine Catan-Neuerung gibt. Der Spieleautor Klaus Teuber, der die Insel vor mehr als 20 Jahren erfunden hat, hat es geschafft, mit seiner Idee den Markt der Gesellschaftsspiel-Klassiker aufzumischen und sich einzureihen in die Riege von Spielen wie "Cluedo", "Risiko" und "Monopoly", die seit Jahrzehnten die Grundversorgung in deutschen Haushalten bilden.

Seit "Die Siedler von Catan" 1995 zum Spiel des Jahres gewählt wurde, hat Teuber sein Spiel zusammen mit seinen Söhnen beständig weiterentwickelt, es gibt diverse Erweiterungen und Sondereditionen, ein Karten- und ein Kinderspiel, digitale Varianten und eine eigene Internetseite. Seit zwei Jahren heißt das Spiel nur noch "Catan", ohne das sperrige "Siedler". So lässt es sich international besser vermarkten. Der nächste logische Zug in der Catan-Welt ist Virtual Reality.

Der Markt der Gesellschaftsspiele ist unüberschaubar

Wird es nicht langsam Zeit für eine neue Erfolgsgeschichte nach dem Modell Catan? Der Markt der Gesellschaftsspiele mit seinen Hunderten Neuerscheinungen ist so unüberschaubar, dass es selbst Spiele mit tollen Grundideen schwer haben, von einem breiten Publikum wahrgenommen zu werden. Neben den großen Verlagen wie Hasbro oder Ravensburger buhlen zahlreiche Kleinverlage mit ihren oft komplexen Spielen um Käufer. Oft richten sich diese Spiele mit etwas abseitig anmutenden Themen an Vielspieler und Fans, die schon mal zwei Stunden Beschreibungen lesen, ehe sie die erste Figur setzen. Zuletzt ist aber zu beobachten, dass diese Spiele immer zugänglicher werden und sich zunehmend an ein breites Publikum richten, indem sie zum Beispiel bekannte Spielideen auf neue Themenfelder übertragen. Bei den aktuellen Neuerscheinungen, die kürzlich auf der Spielemesse in Essen vorgestellt wurden, sind einige vielversprechende Kandidaten dabei.

Der Verlag Corax Games hat in seinem Spiel "Viral" das Prinzip von "Risiko" übernommen und von der Weltkarte in den menschlichen Körper verlagert. Die Spieler agieren als Viren und versuchen, möglichst viele Organe zu kontrollieren und sie zur richtigen Zeit zum Kollabieren zu bringen. Ein Feldzug im Inneren. Noch etwas ist anders als in "Risiko": Statt auf nicht enden wollende Würfelei setzt "Viral" auf einen einfachen Kartenmechanismus. Spieler entscheiden geheim, in welchem Organ ihre Viren was machen sollen. Was makaber klingt, ist farbenfroh umgesetzt und sieht aus wie ein klassisches Familienspiel. Gleichzeitig macht die Vielzahl an Entscheidungsmöglichkeiten "Viral" zu einem komplexen Spiel, durchaus für Spiel-Aficionados geeignet.

Man fühlt sich fast wie ein echter griechischer Baumeister

Ein weiteres Beispiel für die Adaption eines bekannten Spielprinzips ist das Zweispieler-Spiel "Santorini", benannt nach der griechischen Insel mit ihren kalkweißen Häusern und blauen Kuppeln. Ziel des Spiels ist es, kleine weiße Plastikhäuschen in drei Etagen zu bauen und seine Figur als erste auf das dritte Stockwerk zu stellen. Klingt einfach, erfordert aber eine Menge Nachdenken - und erinnert an "Mühle", nur weniger abstrakt und von der Aufmachung her unterhaltsamer. Man fühlt sich fast wie ein echter griechischer Baumeister, der versuchen muss, seinen Kontrahenten zu überlisten.

In eine eigene Welt tauchen die Spieler auch bei der Neuerscheinung "Photosynthesis" ein. Der französische Verlag Blue Orange schickt die Spieler in den Wald, um Chlorophyll zu bilden. Klingt akademisch, aber da die Regeln einfach sind, findet man intuitiv ins Spiel: Sonne drehen, Licht sammeln, neuen Baum pflanzen. "Photosynthesis" startet mit einer Lichtung und ein paar Karton-Bäumchen am Rand. Wer Licht sammelt, kann es wieder ausgeben, um seinen Baum wachsen zu lassen oder um Samen zu verteilen. Licht wird zur Währung. Die anderen Spieler haben eigene Bäume, die auch Licht wollen. Stellen die Gewächse der anderen die eigenen Setzlinge in den Schatten, wird aus dem idyllischen Setting schnell ein hinterlistiges Gerangel um den Platz an der Sonne. "Photosynthesis" hat alle Anlagen zum nächsten modernen Klassiker - wie einst Catan.

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